Es war gespenstisch. Zwei Auktionen, an zwei verschiedenen Abenden in zwei verschiedenen Auktionshäusern, zwei verschiedene Bilder eines Künstlers – aber exakt beim gleichen Preis fiel der Hammer: 356.500 britische Pfund, umgerechnet rund 510.000 Euro. Zeitgleich zur fast schon unerträglich hippen Londoner Kunstmesse »Frieze« veranstalten Sotheby‘s und Christie‘s in ihren Londoner Dependancen Abendauktionen mit zeitgenössischer Kunst. Sotheby‘s legte diesmal vor, am 12. Oktober kamen 68 Bilder zur Auktion, vor allem derzeit brachial gut verkäufliche zeitgenössische chinesische Kunst, aber auch die großen westlichen Megaseller waren dabei, Andy Warhol, Mark Rothko, Gerhard Richter, Jean-Michel Basquiat, Sigmar Polke, Damien Hirst, außerdem ein beachtlicher Posten jüngerer deutscher Malerei. Am Ende des Abends waren knapp 35 Millionen Pfund umgesetzt. Zwei Tage später zog Christie‘s mit 81 Losen und dem »Post-War and Contemporary Art Evening Sale« nach. Die Künstlernamen waren fast exakt die gleichen, der Umsatz war es auch, knapp 32 Millionen Euro, nur dass hier noch mehr junge deutsche Malerei zum Verkauf stand als schon bei Sotheby‘s.
Doch die allesentscheidende Frage ist eine ganz andere: Warum wird im Zusammenhang mit Neo Rauch und dem, was die »Neue Leipziger Schule« genannt wird und als dessen Vorreiter allgemein Rauch gilt, eigentlich fast nur noch von Preisen geredet? Der Blick auf das Werk des 47-Jährigen wird zunehmend verstellt durch Hype, Auktionsergebnisse und die sagenhafte Warteliste, die seine Galerie Eigen + Art angeblich für seine Bilder unterhält. Dieser verstellte Blick ist nicht nur, aber vor allem ein journalistisches Problem.
Wann platzt sie denn nun endlich, die Blase? Mittlerweile gibt es zu dieser Frage zwei regelrechte feuilletonistische Erzählgenres, das der Preisbejubelung und das der Katastrophenbeschwörung. Ersteres nutzt sich auf Dauer ab, letzteres hat ein Problem mit dem bisherigen Nichteintreten der Vorhersagen. Die Lieblingsvokabel der Katastrophenbeschwörer, deren Zahl ständig zunimmt, ist die von der »Überhitzung«. Die Logik dahinter ist die, mit dem Wirtschaftsjournalisten einen käuferbestimmten Aktienmarkt betrachten: Die Nachfrage ist größer als das Angebot, das lässt die Preise erst explodieren und hält sie dann weiter hoch. Aber irgendwann muss die Nachfrage einbrechen und damit die Spekulation auf die hohen Preise. Bloß ist die Kunstmarktblase seltsamerweise auch nach Jahren der Hausse bislang nicht geplatzt. Diese unbestreitbare Tatsache aber ficht die Katastrophenbeschwörer nicht an, sie raunen einfach so lange weiter, bis der Ernstfall vielleicht doch noch eintritt. Zum Beispiel dann, wenn die neuen Sammler – Erben aus dem Westen, Oligarchen und Neureichen aus dem Osten – irgendwann die Lust verlieren an der sexy Aktie Kunst. Spätestens dann, wenn die Preise wirklich anfangen zu fallen.
Bis dahin lässt sich auch noch eine andere Katastrophe beschwören, die ästhetische: Je größer der Nachfragedruck, desto schlechter, kurzfristiger, skandalöser, konsumierbarer, letztlich marktförmiger muss notwendigerweise auch das Angebot werden. Das lockende Geld verdirbt ja doch immer den Charakter, auch den von Künstlern. Es schwemmt zudem welche nach oben, denen es an Talent, Vision und Durchhaltekraft mangeln muss und deren Werk sich später als wenig haltbar erweisen wird. Und dann gibt es ja noch das Phänomen der Wartelisten: Galeristen verkaufen schon Bilder, die noch nicht mal gemalt sind, Sammler kaufen schon Bilder, von denen sie nicht mal wissen, was darauf zu sehen sein wird – und die Künstler mittendrin liefern sogar! Die Katastrophenbeschwörung braucht also gar nicht das von ihr halb befürchtete, halb ersehnte Fanal. Sie muss nur ihre eigenen Vorurteile kultivieren.
Angesichts dieses publizistischen Umfelds muss man fast allein schon Hochachtung dafür entwickeln, wie ungerührt zum Beispiel Neo Rauch weitermalt. Dass ihn die Wahrnehmung seines Werks unter dem Vorzeichen der vermeintlichen Marktgängigkeit dennoch beschäftigt, lässt sich den wenigen öffentlichen Aussagen entnehmen, die der eher interviewscheue Rauch getätigt hat. Bei einem Werkgespräch im Mai diesen Jahres im Prager Goethe-Institut gab er seine »Gereiztheit« zu Protokoll darüber, dass offenbar manche Kritiker glaubten, er habe seinen Erfolg am Schreibtisch geplant. Und zwar indem er »ein cleveres Konzept ersonnen hätte, mittels dessen ich den amerikanischen Markt erobern könnte – Ostnostalgie und verrotteter Sozialismus-Chic kombiniert mit ein wenig Pop.« Dabei sei seine Bildwelt »bloß so geworden«: »Weil es beizeiten anfing, sich aus ganz bestimmten Ingredienzien zusammenzusetzen, fast als würde ich dabei keine Rolle spielen, als würde es vor mir entstehen, zwischen mir und der Leinwand.« Im Malvorgang also konkretisiert sich für Rauch das Unbewusste. Oder besser: das Unterbewusste, um surrealistisch zu argumentieren. Denn tatsächlich sind es diese drei kunsthistorische Bezüge, die im Zusammenhang mit Rauchs Gemälden immer wieder genannt werden: Surrealismus, sozialistischer Realismus, Pop. Deren Kombination, so der Verdacht, mache Rauchs Werk so marktgängig.
Dass alle drei Bezüge in stilistischen Anleihen bei Rauch auftauchen, würde der Maler vermutlich nicht mal selbst bestreiten. Er bestreitet vielmehr jegliches Kalkül. Das ist sein gutes Recht. Denn zunächst ist es eine allzu simple Beweisumkehr, wenn man dem Werk eines Künstlers seine Beliebtheit in einer bestimmten Zeit vorwirft – das spricht doch erst einmal nur für die Relevanz, die einem Werk in seiner Zeit zugemessen wird. Umgekehrt ist ja auch das Verkanntwerden eines Werks von und in seiner Zeit noch kein Qualitätsmerkmal. Und die Frage nach der Überzeitlichkeit eines Werks – die beantwortet die Zukunft. Im Jetzt und Hier lässt sich allenfalls trennen zwischen bloß Modischem und Universellerem, das in Mode gerät – und da hat Rauch mindestens die Indizien auf seiner Seite. Die gerade in seinen Bildern aus den 90er Jahren häufig wie ausgebleicht wirkenden Farben sind eben keine Kolorierungen für ein Ostalgie-Gefühl, sondern die Farben der Leipziger Welt aus stillgelegter Industrie und Brache, die Rauch vor Augen hatte, bevor sie im Unterbewussten des Malprozesses zu Traumlandschaften wurden und zur Kulisse für Rauchs Figurenkabinett; die Figuren, fast immer sind es Männer, sind stets im Begriff etwas zu tun, heroisch ist ihre Pose, und doch sind sie im Kern tatenlos, stillgelegt von den Umständen, aber das sind nicht einfach ausrangierte DDR-Arbeiter; und schließlich verweben sich in Rauchs assoziativen Bildräumen ganz unterschiedliche Zeiten jenseits eines bloßen Abmalens irgendeiner Gegenwart oder irgendeines Gegenwartsgeschmacks. Sowenig wie diese Gemälde einer räumlichen, perspektivischen Logik folgen, darin durchaus surrealistisch, sowenig folgen sie eben einer zeitlichen Logik: Die Zeiten fallen ineinander, Industriezeitmenschen stecken in klassischen Kostümen und sind mitunter in Handlungen des Computerzeitalters verstrickt.
Decodierbar ist das alles nur im Ansatz, das macht ja gerade das anhaltende Geheimnis der Bilder aus. Darin auch unterscheidet sich Rauch am wesentlichsten von den etwas jüngeren Malern der jungen deutschen Malerei, von Eberhard Havekost, Tim Eitel, Martin Eder, Daniel Richter: Paradoxerweise produziert gerade das Figürliche bei Rauch mehr Fragen als Antworten. Das seltsam Theatralische, das in vielen von Rauchs Bildern zu finden ist, wird nie ganz aufgelöst, auch nicht bei den neuen Arbeiten, die jetzt im Max Ernst Museum Brühl zu sehen sind: dreizehn eigens für diese (aus dem Metropolitan Museum of Art in New York kommende) Ausstellung geschaffene Werke, ergänzt durch weitere Leihgaben. Jagdzimmerszenen sind das nun häufig, seltsam Bäuerliches, gebrochene Handwerkeridyllen, Familien-Epen, archaische und doch zutiefst moderne Bilder, und wie schon immer bei Rauch scheint sich von Bild zu Bild eine Erzählung weiterzuentwickeln, ohne dass die ihm zur vorhersehbaren Serie auf irgendein Thema geriete. Auch das ist eine besondere Qualität von Rauchs Werk: Es hat sich nach den eher wilden Anfängen kaum in harschen Brüchen, sondern eher wie eine Fortsetzungsgeschichte weiterentwickelt, die immer reicher wurde an neuen Erzählsträngen, ohne bislang einem inhaltlichen oder formalen Ende nahe gekommen zu sein. Wo sich bei Eitel die universelle Lounge-Atmo kaum mal verändert hat, wo bei Eder der Kitsch zu überzuckern droht, wo bei Richter die abstrakten Elemente auch mal ins Zufällige kippen, da ist bei Rauch eine gewaltige Assoziationsmaschine am Werk, die immer neue und doch nie unbekannte, immer buchstäblich merkwürdige und doch nie bloß redundante Elemente immer neu hervorbringt und immer neu miteinander kombiniert.
Das ist die eigentliche Altersversorgung Rauchs, nicht die horrenden Preise, die für seine Bilder gezahlt werden: Der Mann kann sich als Künstler anscheinend gar nicht auserzählen. Und damit ist er jeden Cent wert, die Sammler für sein Werk auszugeben bereit sind.
Neo Rauch para, 28.10.2007–30.3.2008. Katalog (116 S., ist im DuMont Verlag, Köln) 24,- €. Tel.: 01805-743465. www.maxernstmuseum.lvr.de