TEXT: GUIDO FISCHER
Hätte Christina Pluhar nicht diese auffallend gardinenlange Mähne im Bronze-Ton, man würde sie übersehen. Bei ihren Barock-Revues sitzt sie meist bescheiden am Rand. Zudem verschanzt sie sich am liebsten hinter einer spektakulären Laute im XXL-Format. Doch ohne sie läuft gar nichts. Als Oberhaupt einer ausgelassenen Rasselbande packt sie seit einem Jahrzehnt die Alte Musik-Szene gehörig bei den Naturhörnern und Darmsaiten. Mit ein, zwei strammen Akkorden erteilt Pluhar ihrem Ensemble L’Arpeggiata die Lizenz zum Swingen. Wenn dann etwa Star-Countertenor Philippe Jaroussky sein Sakko wie ein Lasso über dem Kopf herumwirbelt, heißt es endgültig: It’s Showtime! Als cooler Gigolo schnippt er sich durch Arien von Claudio Monteverdi. Die robuste Stimm-Matrone Lucilla Galeazzi bildet mit dem säuselnden Jazz-Klarinettisten Gianluigi Trovesi ein ungleiches, doch schönes Paar. Zwischendurch legt Maria di Nardò hemmungslos eine Tarantella aufs Parkett, dass auch Christina Pluhar große Augen bekommt.
Denn für sie ist jedes Konzert immer noch eine große Wundertüte, trotz des in Fleisch und Blut übergegangenen Kernrepertoires, das sich vor allem der italienischen Kunst- und Volksmusik des 17. Jahrhunderts widmet. Aber was so alles auf dem Programmzettel und den Notenpulten steht, ist lediglich ein grober dramaturgischer Leitfaden. Zusammen mit der Stammmannschaft von L’Arpeggiata sowie ständig wechselnden Solisten macht Pluhar das, was bislang eigentlich nur von Jazzmu-sikern bekannt war. Man improvisiert und jamt über Melodien, was Phantasie und Spiellaune hergeben. Das ist ebenso abenteuerlich wie unterhaltsam und hat selbst dickköpfigste Puristen der Alten Musik-Szene zu Pluhar-Fans gemacht.
Als sie im Jahr 2000 mit L’Arpeggiata begann, frischen Wind in die Originalklangbewegung zu bringen, konnte sie bereits auf einen immensen Erfahrungsschatz zurückgreifen. An der Laute und der Barockharfe war sie eine viel gefragte Teamplayerin – nur mit und bei den Besten. Sie arbeitete mit Jordi Savall, René Jacobs, Marc Minkowski und Il Giardino Armonico. In den zehn Jahren zuvor war sie Mitglied des Spezialisten-Ensembles La Fenice, mit dem sie sich intensiv mit Monteverdi beschäftigte.
Auch heute noch kehrt Pluhar, die in Paris lebt, mit L’Arpeggiata durchaus zu abendfüllenden Meisterwerken zurück, darunter zu Monteverdis Marienvesper. Oder sie entdeckt, gerade erst bei den Potsdamer Musikfestspielen, eine Opernrarität des Barock-Komponisten Giovanni Andrea Bontempi. Doch scheint Pluhar inzwischen in die Kunst der Improvisation und den rhythmischen Drive derart vernarrt, dass sie nach solchen Ausflügen wieder ein musikalisch buntes Breitwandpanorama produzieren muss.
Für die Ruhrtriennale sowie das Düsseldorfer Altstadtherbst-Festival (14. Sept. bis 3. Okt.) hat sie zwei Projekte konzipiert, die sich nur auf dem Papier ähneln. In »Salto!« und »Dance around the World« kann man mit Gesang und Tanz einmal um den Globus reisen und dabei auch sich in Trance drehende Derwische bestaunen. Aber im Grunde sind beide Abende komplett verschieden. Was nicht allein am Gast-Auftritt der Fado-Sängerin Mísia in »Salto!« liegt. Wenn Maria di Nardò sich hier wie dort wieder die Füße wund tanzt oder Doron Sherwin am Zink ein Solo zwischen Monteverdi und Miles Davis bläst, ist das aus einer Spontaneität geboren, die unwiederholbar ist.
Ruhrtriennale: 10. Sept., Jahrhunderthalle Bochum; www.ruhrtriennale.de
Altstadtherbst: 23. Sept., Theaterzelt/Burgplatz, Düsseldorf; www.altstadtherbst.de