// Das Ende der Geschichte gleich mal vorweg. Der Kulturjournalist Daniel Mandelkern entschließt sich, statt eines überfälligen Porträts des verschrobenen Kinderbuchautors Dirk Svensson sieben Postkarten an Elisabeth zu schicken, die seine Frau und als Ressortleiterin einer Wochenzeitung auch seine Auftraggeberin ist. Das darf hier verraten werden, weil Thomas Pletzinger das Ergebnis dieser eigentlich ja unspektakulären Entscheidung an den Anfang seines Debüts »Bestattung eines Hundes« stellt, dabei sogar die Bildmotive auf den Rückseiten angibt. Unsere Geschichten, so ist auf einer der Karten nachzulesen, die eine Tessiner Dorfszene zeigt, passen nicht auf eine Zeitungsseite. Wenngleich er sie nicht auf die angeforderten 16.000 Zeichen zurechtgestutzt hat, liefert Mandelkern die Geschichte Svenssons dann doch noch; und seine eigene, die seiner krisenhaften Ehe und vielleicht sogar die seiner Generation gleich mit. In Form eines wilden Textkonvoluts, das der Post beigefügt ist. Interviews, Tagebucheinträge und Teile eines Manuskripts Svenssons. Daraus puzzelt der 1975 in Münster geborene, in Hagen aufgewachsene Thomas Pletzinger souverän einen Roman zusammen, der sich auf der letzten Seite zum Kreis schließt, dabei aber einen unglaublichen Sog entfaltet. Wie das Leben, das, so schreibt Mandelkern an Elisabeth, eben kein Strich, sondern ein Wirbel sei.
Mandelkerns eigener Daseinsentwurf folgte lange Zeit einer schwachen, wie mit Bleistift gezogenen, vermeintlich radierbaren Linie. Wenn er sich für etwas entschieden hat, dann dafür, keine definitiven Entscheidungen treffen zu wollen. Ein Zimmer der geräumigen Altbauwoh- nung, in der Mandelkern und Elisabeth wohnen, steht leer. Sie nennen es »Gästezimmer«. Ein Kind soll dort einziehen. Doch Mandelkern ist unentschlossen, ob er eines möchte. Seine Promotion hat er zurückgestellt, verdingt sich halbherzig in Elisabeths Redaktion, als Experte für Exotisches und besondere Aufgaben. Als solcher reist Mandelkern an den Luganer See, wo Svensson zurückgezogen mit einem dreibeinigen Hund lebt. Dort wird der an Malinowski geschulte Ethnologe auf der Suche nach Svenssons Geheimnis zum »teilnehmenden Beobachter«: »Manchmal komme ich mir wie Svensson vor, ich habe unsere Geschichten verrührt.«
Mandelkerns Feldforschung zeitigt jedoch keine Pygmalioneffekte, nicht er formt Svenssons Bild nach seinen Prämissen, sondern das dramatische Leben des schweigsamen Autors wird Mandelkern zum schicksalsschweren Gegenmodell und zugleich zum Zerrspiegel, der mehr und mehr seine eigene Existenz kenntlich macht.
Es ist eine ganze Menge Stoff, den Pletzinger, Absolvent des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, in »Bestattung eines Hundes« bemerkenswert elegant in Form bringt: den Terroranschlag auf das World Trade Center, die hahnenkampfgleiche Rivalität zweier Männer um eine schöne Frau in Brasilien, die Sinn- und Lebenskrisen seiner Generation, die unentwegt unterwegs ist in der Welt und zu sich selbst, angereichert mit drastischem Sex, ein paar Todesfällen und literarisch anspielungsreich grundiert von ethnologischer wie psychoanalytischer Theoriebildung.
All das wirkt nicht wirklich aufdringlich, und Pletzinger gelingt es, die existenzielle Schwere dieser Identitätssuche mit großer Leichtigkeit zu umspielen. Geschickt montiert er Svenssons autobiografisches Textfragment zusammen mit Mandelkerns Tagebucheinträgen, schneidet Zeiten und Räume hart gegeneinander. Dabei verleiht er den Stimmen der beiden Männer einen je eigenen, ganz unterschiedlichen Ton, wodurch sich die Konfrontation der beiden Lebensentwürfe auch in den Erzählstimmen niederschlägt. So ist »Bestattung eines Hundes« ein durchaus gewagtes, von großer Lust am Erzählen getragenes Buch, das beide glücklich macht: Die Anwälte des Lebens und der Wirklichkeit in der Literatur genauso wie die Verteidiger ihres Form- und Traditionsbewusstseins. //
Thomas Pletzinger: Bestattung eines Hundes; Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 352 Seiten, 19,95 Euro