TEXT UND INTERVIEW: STEFANIE STADEL
Braque, Beckmann, Beuys, Kirchner, Klee und Kandinsky, Matisse, Magritte und Mondrian…. Man streift durch die Ausstellungsräume und fragt sich schon gar nicht mehr, warum fast ausschließlich Werke männlicher Künstler an den Wänden hängen. Denn es ist ja überall das Gleiche. Frauen spielen bei der musealen Revision der klassischen Moderne allenfalls eine Nebenrolle. Auch – vielleicht sogar noch eklatanter als anderswo – in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen klaffen diese Löcher. In einem Haus, das ja durchaus den Anspruch erhebt, einen Kanon zu repräsentieren. Und das auch entsprechend wahrgenommen wird – als ›Idealgalerie der Moderne‹, als ›heimliche Nationalgalerie‹.
Vor 50 Jahren gegründet, wurde die Düsseldorfer Sammlung sehr bald und sehr lang von Werner Schmalenbach geprägt, der in seiner 28-jährigen Amtszeit mit absolutem Qualitäts- und Eliteanspruch manch ein Epochenbild nach Düsseldorf holte. Selbstgewiss schwor er auf sein untrügliches Auge – ›atemberaubend‹, ja ›unwiderstehlich‹ musste sein, was davor Bestand haben sollte. Werke von Künstlerinnen fielen offenbar durch. Oder machte Schmalenbach sich hier vielleicht gar nicht die Mühe, genau hinzusehen? Sein Nachfolger Armin Zweite, ab 1990 im Amt, zeigte sich schon etwas künstlerinnenfreundlicher – was aber die Lücken, vor allem in der Klassischen Moderne, kaum kleiner machte.
Nicht umsonst sieht Marion Ackermann als neue Frau auf dem Düsseldorfer Chefsessel Handlungsbedarf. Dabei ist sie natürlich nicht die erste. Das Künstlerinnen-Thema geht bereits seit einigen Jahren in der Museumslandschaft um. Hat längst auch den Kunstmarkt erreicht, wo die Preise für die verkannte Frauenkunst des 20. Jahrhunderts rasant steigen. Löcher zu stopfen, ist damit noch schwieriger geworden.
Für das Sammlungsprojekt »Grandes Dames« im K20, der Kunstsammlung am Grabbeplatz, geht Ackermann einen preisgünstigeren Weg: Sie kauft nicht, sondern leiht für einige Monate, was in der ständigen Sammlung fehlt. Ergänzt etwa Werke von Ljubow Popova und Natalja Gontscharowa, von Gabriele Münter, Marianne von Werefkin oder Paula Modersohn-Becker, von Käthe Kollwitz und Meret Oppenheim.
Parallel dazu werden im K21 sechs neue Künstlerräume ausschließlich von Frauen installiert. Vorträge und Diskussionen rund um die Frauenfrage in der Kunst begleiten das Ganze. Und gegen Ende des Monats folgt als Krönung die Großausstellung »Auf der anderen Seite des Mondes« mit acht Künstlerinnen, die in der so ereignisreichen Zeit zwischen den Weltkriegen maßgeblich an den ästhetischen Neuerungen in Europa beteiligt waren, ohne dass man davon gebührend Notiz genommen hätte.
Mit K.WEST sprach Ackermann über Ideen wie Ziele ihrer Bemühungen um die Künstlerinnen. Und darüber, wie es nach dem weiblich geprägten Herbst-Aufgebot weitergehen soll mit den Frauen in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.
K.WEST: Warum halten Sie eine solche Künstlerinnen-Offensive in Düsseldorf für notwendig? Haben Ihre beiden Vorgänger Werner Schmalenbach und Armin Zweite beim Sammeln etwas versäumt?
ACKERMANN: Man versäumt immer etwas beim Sammeln. Es ist das alte Spiel, dass jeder etwas versäumen muss, das dann der Nachfolger – mit einem vielleicht etwas anderen Blick – ausgleicht. Auch meiner Nachfolge wird es zwangsläufig einmal so gehen. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ist ja keine private Sammlung, sondern eine öffentliche, deren Vorteil eben darin liegt, dass unterschiedliche Blicke auf die Kunstgeschichte gerichtet werden.
K.WEST: Der Blick von Werner Schmalenbach ging offenbar vorbei an der weiblichen Moderne.
ACKERMANN: Schmalenbach gehörte natürlich zu einer Generation, in der es noch nicht so üblich war, Werke von Künstlerinnen als eigenständige Positionen zu sehen. Nehmen wir zum Beispiel Gabriele Münter – die hat man seinerzeit allein als Lebensgefährtin von Wassily Kandinsky wahrgenommen. Erst seit rund 15 Jahren wird ihr Werk auch gelöst davon betrachtet. Außerdem haben viele Künstlerinnen aufgrund biografischer Umstände in sehr kleinen Formaten oder auf Papier gearbeitet. Auch deshalb wurden ihre Werke wohl in großen ›staatstragenden‹ Sammlung, wie unsere ja eine ist, so wenig berücksichtigt. Ein weiterer Grund für den schlechten Stand der Frauen liegt darin, dass sie oftmals schon zu Lebzeiten gar nicht als Teil der Moderne im Mittelpunkt der Avantgarde standen. Wie Hannah Höch, die zwar sehr wichtig war, aber zu entscheidenden Ausstellungen, die kanonprägend waren, nicht eingeladen worden ist.
K.WEST: Wie erklären Sie sich, dass dieser schon zu Lebzeiten der Künstlerinnen angelegte Kanon so lange maßgeblich bleiben konnte?
ACKERMANN: Eine große Rolle spielt hier bestimmt die bei uns so weit verbreitete Blockbuster-Mentalität. Sie führt dazu, dass immer nur das ohnehin Vertraute bestätigt wird. Das finde ich ganz fürchterlich – diese Bestätigungskultur. Sie präsentiert uns die einstmals radikale Moderne auf eine überhaupt nicht mehr radikale Weise. Es geht nur noch um die Inszenierung der Schlange: Immer wieder wird bestätigt, was großen Zustrom verspricht.
K.WEST: Gibt es Ausnahmen? Kennen Sie eine öffentliche Institution, in der Künstlerinnen annährend gleichberechtigt behandelt werden?
ACKERMANN: Da muss man unterscheiden. Denn in der zeitgenössischen Kunst gleicht sich das zunehmend an. Eine Entwicklung, die etwa seit den 80er Jahren zu beobachten ist. Und in unserem 21. Jahrhundert – das hoffe und denke ich – werden männliche und weibliche Künstler gleichberechtigt dastehen. Vielmehr ist es ein Thema, das die Klassische Moderne betrifft. Von den Sammlungen mit einem Schwerpunkt im 20. Jahrhundert kenne ich keine einzige, die ein ausgeglichenes Bild widerspiegelt.
K.WEST: Nun haben sich ja bereits vor Ihnen einige Institutionen dieses Missverhältnisses angenommen.
ACKERMANN: Ja, es gibt sogar ganz konkrete Vorläufer für unser Projekt »Grandes Dames«. Lars Nittve hat als Leiter des Moderna Museet in Stockholm vor einigen Jahren etwas Ähnliches unternommen. Damals ging es in Schweden um Frauenquoten in der Regierung und in Aufsichtsräten. Nittve hat das zum Anlass genommen, darauf hinzuweisen, dass in der Sammlung des Moderna Museet nur neun Prozent der Werke von Künstlerinnen stammen. Mit dem Ziel, dies zu ändern, forderte er einen Basisetat von fünf Millionen Euro. Die Regierung gestand ihm 500.000 Euro zu. Und eine Spendenaktion erbrachte in den folgenden zwei Jahren die restlichen 4,5 Millionen. Das Pariser Centre Pompidou schloss sich an und zeigte wenig später in einer großen Ausstellung seinen kompletten Bestand an weiblicher Kunst. Es war schon interessant zu beobachten, wie viel doch in Bewegung kam, sobald sich die männlichen Kollegen – die ›mächtigen Männer‹ – dem Thema genähert hatten.
K.WEST: Dem Stockholmer Vorstoß lag die Idee der Quote zugrunde. Halten Sie so etwas wirklich für sinnvoll?
ACKERMANN: Nein, Quoten finde ich schwierig. Wichtig ist aber, sich die Anteile klar zu machen. Damit es einem nicht unterläuft, dass man vorwiegend Künstler kauft und ausstellt, weil die stärker in der Diskussion sind, vielleicht häufiger in den Medien erscheinen.
K.WEST: Können denn allein Künstlerinnen vorbehaltene Ausstellungen der richtige Weg sein, für Ausgleich zu sorgen?
ACKERMANN: Ich sehe es schon als unsere Aufgabe, Zusammenhänge immer wieder anders zu beleuchten. Aber wir dürfen die Moderne nicht zähmen, sie lediglich zur populären ›Unterhaltung‹ werden lassen. Um einen neuen Blick bemühen wir uns zum Beispiel auch in der Ausstellung »Auf der anderen Seite des Mondes«, in der es ja um acht Künstlerinnen der 20er und 30er Jahre geht. Dabei wollen wir die Brisanz der Kunstgeschehens dieser Zeit verdeutlichen. Und da sind die einzelnen, individuellen Künstlerinnen ganz wichtig – auch weil sie besondere Radikalität bewiesen haben.
K.WEST: Besteht nicht die Gefahr, dass die Düsseldorfer Künstlerinnen-Offensive am Ende ein Strohfeuer bleibt? Wie soll es weitergehen mit den Frauen in der Kunstsammlung NRW?
ACKERMANN: Mein Ziel ist, die Sammlung entsprechend zu erweitern. Ein großes öffentliches Museum hat unter Umständen noch die Möglichkeit, den Blick hier und da zu korrigieren, das Verschwinden der weiblichen Moderne aufzuhalten.
K.WEST: Welche Frauen vermissen Sie denn besonders schmerzlich in der Sammlung?
ACKERMANN: Paula Modersohn-Becker und Meret Oppenheim, Agnes Martin und Eva Hesse. Unter den Künstlerinnen der Gegenwart Rosemarie Trockel, von der sich kein einziges Werk in der Sammlung findet. Oder auch die 2009 verstorbene Nancy Spero – im Rahmen der Künstlerinnen-Räume im K21 werden wir Zeichnungen präsentieren, die sie in Reaktion auf den Vietnam-Krieg geschaffen hat. Da möchte ich auch etwas für die Kunstsammlung erwerben. Zwar befinden sich die Preise auf dem steilen Weg nach oben, aber bei Spero ist der Ankauf möglich – noch. Für Größen wie Modersohn-Becker, Münter oder Meret Oppenheim, die natürlich auch in die Kunstsammlung gehören würden, ist es leider definitiv zu spät – dies nicht unbedingt wegen des Preises, sondern weil die Hauptwerke bereits in öffentlichen Sammlungen sind.
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf; K21 Ständehaus; Neue Künstlerinnenräume; 5. Oktober 2011 bis 29. April 2012.
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf; K20 Grabbeplatz; Grandes Dames – zu Gast in der Sammlung; 6. Oktober 2011 bis 29. Januar 2012.
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf; K20 Grabbeplatz; Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde; 22.10.2011 – 15.01.2012. Tel. 0211/8381204. www.kunstsammlung.de