TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
»Wir sind in Japan bekannter als in Essen!«, sagt Young-Jae Lee. Das hängt aber weniger damit zusammen, dass man die »Keramische Werkstatt Margarethenhöhe« nicht in der schmucken Mustersiedlung im Essener Süden, sondern auf dem Gelände der Zeche Zollverein findet. Der Grund ist eher, dass die »KWM« trotz internationaler Ausstellungen und einer zeitlos-eleganten Produktpalette aus Vasen, Schalen und Geschirr immer noch nicht richtig ernstgenommen und in die rustikale Kunsthandwerk-Ecke gestellt wird. In der Tat, man ist zwar auf dem Kreativstandort Zollverein – Berührung mit der Designszene vor Ort gibt es aber eher selten.
Dabei war Young-Jae Lee damals die Erste auf dem Gelände. Ins Leben gerufen wurde die Werkstatt bereits 1924 von Hermann Kätelhöhn, dem künstlerischen Berater von Margarethe Krupp. Die nach ihr benannte Siedlung »Margarethenhöhe« sollte mit keramischem Schmuck ausgestattet werden. 1933 folgt dann der Umzug der »KWM« in den Stadtteil Stoppenberg, weil »die Nachbarn den Dreck aus dem Schornstein nicht mehr ertragen konnten«, lacht Young-Jae Lee. Da war der industrielle Essener Norden schon besser als Standort geeignet. In den Folgejahren spezialisiert sich die Werkstatt auf Baukeramik und geht 1968 in den Besitz der Ruhrkohle AG, der späteren RAG Aktiengesellschaft, über. Nach Still-legung der Zeche Zollverein betritt Young-Jae Lee mit ihrer Mitarbeiterin Hildegard Eggemann schwarzen Boden. Die »KWM« zieht in das ehemalige Baulager der menschenleeren Zeche; nicht mal Unkraut wuchs auf dem Gelände – »das haben wir damals mitgebracht!« 2006 übernimmt Lee die Werkstatt von der RAG. Besucht man sie und ihre Mitarbeiter heute, entdeckt man ein versteckt-romantisches Refugium unweit des Choreografischen Zentrums PACT Zollverein. Zwei eingeschossige, mit dunklem Holz verkleidete Häuser; Birken und Bambus rascheln, Rosen ranken spätsommerlich – ein wenig fühlt man sich wie auf der Museumsinsel Hombroich.
Ein Gebäude dient als Ausstellungsraum, im anderen finden sich die Werkstatt sowie Arbeits- und Wohnräume. Die Regale voller Bildbände, an den Wänden Kunst, Blumenmotive und Fotos niederländischer Architektur. Ein flaches Podest kann für asiatische Tee-Zeremonien und zum Schlafen genutzt werden. Der Kaffee wird natürlich im hausgemachten Geschirr serviert.
Young-Jae Lee wurde 1951 in Seoul geboren, studierte dort Kunsterziehung; später in Deutschland folgten das Studium der Keramik und der Formgestaltung an der FH Wiesbaden. Ab 1978 hatte sie eine eigene Werkstatt bei Heidelberg und war für drei Jahre künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gesamthochschule Kassel. Seit 1987 ist sie bei der »KWM« und nimmt, gemeinsam mit Hildegard Eggemann, das Manufakturprogramm wieder auf; eine Geschirrserie, deren 25 Grund-elemente sich nach den formalen Gestaltungsprinzipien des Bauhauses richten. Diese Tradition wird auch in der Pressmarke und heutigem Signet deutlich, die die Werkstatterzeugnisse seit 1930 führen.
Zeitgeist hat man in der »KWM« sowieso nicht nötig, zumal es auch nicht zum Konzept gehört. Die Vasen, Schalen, Tassen und Teller verströmen die klare, ruhige Formensprache der Moderne – da geht es nicht darum, ob man dekorativ »einen Henkel von unten nach oben versetzt«, wie Lees Mitarbeiterin Shoko Ishioka betont. Beständigkeit als Konzept, auch in der Farbgebung, schließlich hat man monatelang an der tonigen Farbskala herumexperimentiert – die Schattierungen reichen von Jadegrün über ein gebrochenes Weiß bis zu einem Rostbraun. Die minimale Differenz zwischen den Farben und Formen einen die Produkte der »KWM« – deswegen sind auch die Ausstellungen von Young-Jae Lee so faszinierend. Statt in Vitrinen werden die von ihr gedrehten Schalen (Pinakothek der Moderne, München; Galerie DKM, Duisburg) oder Vasen und Krüge (Museum für asiatische Kunst, Berlin) in großer Zahl auf den Boden des Museums gestellt. Auf den ersten Blick wirken sie relativ gleich, erst beim genaueren Hinsehen wird der minimale Unterschied zwischen ihnen deutlich.
Aber was sind diese handgeformten Werke eigentlich? Kunst, weil Museum? Design, das keins sein will? Oder doch Handwerk? Die Antwort von Young-Jae Lee kommt prompt und sehr bestimmt. Auch wenn die Stücke im Museum ständen, sind sie zuallererst Alltagsgegenstände, die jeder auf seinem Frühstückstisch haben könnte. Gerade die Produkte, die neben dem Manufakturprogramm in der letzten Zeit hinzugekommen sind, wie etwa Müslischalen, Espressotassen, Dosen oder Küchensiebe. Bei all der äußeren Zartheit und Sinnlichkeit der Entwürfe sind diese hart im Nehmen und konsequenterweise spülmaschinen- und mikrowellenfest. Übrigens ist auch ein Produkt aus der Zeit vor Lees Wirken erhältlich, das immer noch stark nachgefragt wird, sich aber optisch von den anderen unterscheidet. Eine große, runde, dunkelbraune Platte, mit der sich die traditionelle »Werdener Appeltarte«, ein gedeckter Apfelkuchen, zubereiten lässt.
Lee sieht sich nicht als große Designerin oder Künstlerin, sondern als Töpferin – »die bildende oder angewandte Kunst hat mich schon während meiner Ausbildung irritiert«. Trotzdem möchte sich die »KWM« in Zukunft verstärkt und selbstbewusst in der Designszene bekannt machen, wiederum ohne Trends nachzulaufen oder sich ihnen anzubiedern. Die macht man lieber selbst. Im Ausstellungsraum der »KWM«, in dem auch die aktuellen Stücke zu sehen sind, die in Farben wie Frühlingsgrün und Schwarz kontrastieren, und wie immer mit allen anderen bisherigen Stücken kombinierbar sind, hängt eine Zeitungsreklame von »Ikea«, die Schalen und Teller, die Lees Entwürfen sehr stark ähneln, zum Ramschpreis anpreist. Als abschreckendes Beispiel für billig gepresste Industrieware, der die Sinnlichkeit des Materials fehlt und der Young-Jae Lee nicht ansieht, von welchem ihrer Mitarbeiter das Stück hergestellt und gedreht wurde. Das erkennt sie nämlich an den kleinsten Details in der Verarbeitung und Form des Tons, der aus dem Westerwald geliefert wird.
Dieser wird in einem Nebenraum der stillen Werkstatt gelagert, in dem auch zwei riesige Maschinen stehen, die eigentlich mal Teig rühren sollten, jetzt aber dem Ton die richtige Materialität zur Weiterarbeitung geben. In den raumhohen Regalen stehen gedrehte Vasen und Schalen, die durch kleine Ungenauigkeiten nicht in den Verkauf kamen oder schlichtweg übrig sind; darunter auch einige hohe Vasen, auf denen dreidimensional das Essener Stadtwappen prangt. Wahrscheinlich wissen die Besitzer einer solchen Vase heute nicht, was sie da Besonderes im Regal stehen haben. Die Stadt war mal geschmackssicher: Die Behältnisse gab es früher von der Stadt Essen für besondere Anlässe, wie Jubiläen oder Geburtstage. Statt Zinnteller.
Sonderausstellung in den Räumen der »KWM«: »Doppeltruhe und Kästchen – Koreanische Möbel aus dem 19. Jahrhundert« Bis 6. November 2011. www.kwm1924.de