TEXT: GUIDO FISCHER
Gerade erschien sein neues Album »Switch«. Von zehn Stücken sind es drei, die mit ihrem rhythmischen Techno-Trommelfeuer die meditative Grundstimmung fast kollabieren lassen. Aber eben nur beinahe. Denn was Nils Petter Molværs norwegische Musikerfreunde auch an High-Tech-Gerätschaften und Dancefloor-kompatiblen Groove-Teilchen basteln und verketten, mit seiner Trompete erweist er sich als Fels in der Brandung. Nichts bringt seinen ätherisch wirkenden Ton aus der Balance. So zieht Molvær mit zenbuddhistischer Ruhe seine Bahnen. Magisch, trotzdem nie einlullend schwingt es aus seinem Instrument heraus.
Wenn er dann doch mal das Hymnische virtuos in Höhen hinaufpresst, kehrt er umgehend zu seinem radikalen Entschleunigungskurs zurück. Nach dem Vorgänger-Album »Baboon Moon«, bei dem er sich von einer überraschend offensiv rockigen Seite präsentiert hatte, ist »Switch« wieder ein typisches Molvær-Slow-Motion-Manifest, das sich herkömmlichen Genre-Zuschreibungen entzieht. Vom Trompetensound her kommen einem Jazz-Größen wie Miles Davis und Jon Hassell in den Sinn. Die sphärige Entspanntheit erinnert hingegen an die flächigen Klangprozesse des Pop-Ambient-Vaters Brian Eno. Für weltmusikalische Farben sorgen die indische Sitar und balinesisches Glockenspiel.
Mit dem elektroakustischen Stil-Gewebe kehrt der 53-Jährige etwas zu seinen diskografischen Wurzeln zurück, die seinen Durchbruch markierten. 1997 kam sein Debüt-Album »Khmer« heraus. Zuvor nur als Mitglied der norwegischen Jazzpunk-Band »Masqualero« aufgefallen, konnte er seine erste CD einspielen. Aufgenommen wurde »Khmer« beim Münchner ECM-Label mit seinem Faible für skandinavische Jazz-Musiker wie Jan Garbarek und Sidsel Endresen. »Khmer«, 100.000 Mal verkauft, erhielt den Deutschen Schallplattenpreis. Das Klangstyling, das sich bereits aus Samples, treibenden Beats und Molværs oft karg wirkenden Energieströmen zusammensetzt, machte als Filmmusik Karriere. Zudem sorgten Album-Remixes dafür, dass auch die House- und Technoszene auf »Khmer« tanzte.
So unterschiedliche Projekte Molvær seitdem realisiert hat, vorrangig interessieren ihn Klangräume, in denen die Musik sich intuitiv frei bewegt. Die Frage, wie er denn übe, beantwortet er so: »Vor allem mit dem Atem. Damit alles fließt.« Um die Wirkung des musikalischen Flusses atmosphärisch noch zu verstärken, arbeitet er bei Konzerten mit Lichtdesignern und Videokünstlern zusammen, die für psychedelisch anmutende Farbenspiele sorgen. Nicht selten verlässt das Molvær-Team die einengende Dreidimensionalität eines Saals oder Clubs und verwandelt den öffentlichen Raum in eine faszinierende Multi-Media-Bühne, etwa 2008, als die Westküste Norwegens bei Stavanger als nächtliche Traumlandschaft erschien. Der Licht- und Videokünstler Pekka Stokke tauchte eine einsame Häuserkulisse in tiefblaue Farben, und Molvær zelebrierte mit Kollegen zu der Séance seinen lyrischen Sound.
Im selben jahr hatten Molvær und Co. beim Düsseldorfer Schumannfest Station gemacht für ein Remix der »Rheinischen Sinfonie«. Damals kam Molvær mit der Dramaturgin Beate Schüler auf die Idee für ein Open-Air-Projekt, das sechs Jahre später nun beim Schumannfest realisiert wird. »Wir wollten etwas in der Dunkelheit machen und dem Publikum ein Erlebnis bieten, das so kein Konzertsaal vermitteln kann«, sagt Schüler. Da sich das Festival dem »Wald« als einem zentralen Motiv der Romantik widmet, war der Ort für die Klang- und Lichtinstallation »Lucid Dream – Klartraum« schnell gefunden.
Für das Gelände von Schloss Benrath konzipiert Molvær erneut mit Pekka Stokke und dem Sound-Designer Jørgen Larsson eine Art Stationen-Parcours, der zu später Abendstunde geöffnet wird. Über 60 unsichtbar entlang des Wegs verteilte Lautsprecher lotsen sie mit ihren geheimnisvollen elektronischen Ambient-Klängen durchs Dickicht. Die Video-Projektionen lassen Gespenster-Wesen über Baumstämme und -kronen huschen. Gleichwohl solle es aber nicht darum gehen, den Wald bunt anzumalen, hinter dem Titel verberge sich auch kein LSD-Tripp. Gewünscht wird eine individuell erfahrbare, neue Musik- und Kunsterfahrung.
Für die nötige Muße ist das Kontingent pro Rundgang auf 30 Personen beschränkt. Um das Warten zu verkürzen, wird im Innenhof des Schlosses ein Freiluft-Kino Filme zum Mythos Wald zeigen (29.–31. Mai), darunter den Disney-Klassiker »Bambi«, das mit wackliger Kamera gefilmte »Blair Witch Project« sowie den sowjetischen Kurzfilm »Igel im Nebel« von Jurij Norstein.
Wenn der Schlosswald danach von Kabeln, Boxen und Beamern leer geräumt sein wird, ist der »Lucid Dream« nicht zu Ende. In den nächsten Jahren – »unser Traum«, so Schüler – soll eine audiovisuelle Kartografie von Wäldern in aller Welt entstehen. Die nächste Station wird wohl ein Wald in Molværs Heimat sein, auf einer Insel bei Oslo.
»Lucid Dream«: 27. bis 31. Mai 2014, Schloss Benrath. www.schumannfest.de