// Vater, Mutter und drei Kinder. Die ganze Familie ist herausgeputzt zum Gruppenporträt vor dichter Waldlandschaft. Man zeigt sich stolz in ganzer Figur und edlem Tuch. Hand in Hand das Paar: Sie trägt ein schimmernd schwarzes Kleid, dazu Spitzenmanschetten. Der korpulente Gatte präsentiert sich mit blumengemusterter Pluderhose und langer Weste über dem imposant gewölbten Bauch. Ernst und sicher schaut er aus dem Bild heraus, den rechten Arm selbstbewusst in die Hüfte gestemmt. Mit seinem »Bildnis einer holländischen Familie« liefert Thomas de Keyser 1624 ein schönes Zeitzeugnis.
Heute ist er wenig bekannt, doch seinerzeit gehörte de Keyser zu den angesagtesten Porträtmalern von Amsterdam. Eifrige Auftraggeber fand er vor allem unter den zu Macht und Wohlstand gelangten Bürgern der Mittelklasse. Denn Keyser verstand es, sie höchst elegant in Szene zu setzen. Reich, stolz, selbstsicher, arbeitsam, mit ausgeprägtem Familiensinn – diese Sorte von Leuten passen perfekt ins »Goldene Zeitalter«.
Es sind vor allem Gemälde, die unsere Vorstellung von den Niederlanden des 17. Jahrhunderts prägen und bis heute lebendig halten. Was zum einen sicher an der massenhaften Bilderproduktion in dieser Epoche liegt, zum anderen an den vielfältigen Themen: Man rechnet mit 650 bis 700 Malern allein in Holland und kommt bei einem durchschnittlichen Output von 94 Gemälden auf 63.000 bis 70.000 Landschaften, Porträts, Stillleben, Genre- und Historienbilder, die Jahr für Jahr auf den Markt kamen.
Reichlich schmückendes Material für das bürgerliche Heim – es scheint, als ob das ganze Land dekoriert werden wollte. In späteren Jahrhunderten bot die Gemäldeflut schönen Stoff für etliche Ausstellungen, die das »Goldene Zeitalter« feierten. Jetzt nimmt sich das Von der Heydt-Museum erneut der glanzvollen Periode an. »Freiheit, Macht und Pracht« – unter diesem Motto versammelt das Wuppertaler Haus über 150 Werke aus rund 40 privaten und öffentlichen Sammlungen.
Diesmal liegt der Ehrgeiz weniger in der Anhäufung möglichst vieler Topwerke der ganz großen Malerstars. Zwar ist auch Prominenz vertreten: Peter Paul Rubens, Anthonis van Dyck und Jan Brueghel steuern Einzelstücke bei. Ebenso die Landschaftsspezialisten Jacob van Ruisdael und Jan van Goyen. Jan Steens humorvolle Handschrift gibt sich in einer urigen Szene mit Milchmann zu erkennen.
Wichtiger aber als das name dropping nimmt die Ausstellung das historische Drumherum. Sie geht von der Geschichte jener bewegten Jahrzehnte aus und benutzt die Kunst ausdrücklich, um in zehn Kapiteln politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Zusammenhänge zu illustrieren. So sieht man mit Blick auf platte Landschaften oder reich beflaggte Schiffe das Nationalbewusstsein der Niederländer erwachen. In eine ähnliche Richtung zielt Hendrick Cornelisz van Vliet, wenn er sehr gekonnt das Innere der Nieuwe Kerk in Delft mit dem Grabmal von Wilhelm I. von Oranien auf die Leinwand bringt – man feierte den Statthalter damals als Märtyrer, der im säkularen Kampf gegen Habsburg für die Souveränität Hollands sein Leben ließ.
In den stolzen Familienbildnissen der Schau präsentiert sich das erstarkte Bürgertum. Auf dem Markt und in der Handwerksstube lernt man den Arbeitsalltag kennen. Die vergnüglichen Seiten des Lebens kommen beim Schlittschuhlaufen oder auf dem Dorffest zur Anschauung. Selten verzichten die Maler dabei auf moralisierende Belehrungsversuche. Ein Fachmann auf diesem Gebiet ist Isaac van Ostade. Wenn er auf seinem Kirmesbild einen Kerl zeigt, der sich übergibt, dann muss klar sein, dass er sich damit nebenbei über die unmäßige Völlerei des einfachen Bauernvolkes mokiert. Geschichte in Bildern – es gibt sicher keine Epoche, die sich besser für die Wuppertaler Methode eignen würde als das 17. Jahrhundert in den Niederlanden, wo die Kunst fast alle Lebensbereiche zu erfassen schien.
Wo es um Politik und Staat geht, glänzt Rubens mit zwei wunderbaren, bisher kaum gezeigten Porträts der kunstsinnigen Erzherzöge Albrecht und Isabella, die in Brüssel residierten. Besonders wirkungsvoll die koloristischen Effekte: Der Maler zeigt seine Modelle in dunkler Tracht vor einer beleuchteten Wandverkleidung aus lichtgrüner Seide.
In den Gemälden kommen auch Kriege und Krisen zum Tragen. Davon gab es reichlich, auch wenn die dunkleren Seiten der glanzvollen Zeit von den Malern eher am Rande und selten ausdrücklich angesprochen werden. Eine Ausnahme: Der Flame Sebastiaen Vrancx mit seinem Bild der »Plünderung des Dorfes Wommelgem durch Truppen der aufständischen Provinzen«. Es schaut aus wie eine Art Wimmelbild voller Grauen und Leid. Dreschflegel und Heugabel liegen als Relikte hoffnungsloser Gegenwehr herum. Und noch immer schlagen Soldaten auf wehrlose Opfer ein.
Der »Achtzigjährige Krieg« durchzieht das »Goldene Zeitalter«. Und die Teilung der Niederlande drückt ihm einen dicken Stempel auf. Denn seit die sieben nördlichen Provinzen sich 1581 endgültig von den herrschenden Spaniern und dem Hause Habsburg losgesagt hatten, driftete die politische Entwicklung im Süden und Norden weit auseinander – und mit ihr die künstlerische. Das kann die Schau sehr schön veranschaulichen. Zwei völlig verschiedene Staats- und Wirtschaftsformen entstanden, die, jede für sich, überaus erfolgreich wurden. Im katholischen Süden, dem heutigen Belgien, hatten Adel und Klerus nach wie vor das Sagen und spielten als Mäzene und Auftraggeber für die Kunstproduktion weiterhin eine wichtige Rolle. Im protestantischen Norden bildete sich dagegen ein bürgerlich-demokratischer Staat. Der Mittelstand strebte empor. Gutbetuchte Bürger, Kaufleute, Händler, Handwerker prägten als neue Kunstkundschaft mit ihrer übergroßen Kauflust bald das Angebot auf dem freien Markt, wo sich immer mehr Maler tummelten und wie wild produzierten.
Hier im Norden zeichnet sich die Trendwende sehr deutlich ab – Biblisches war kaum noch gefragt, wie überhaupt jede Art von Historien und Allegorien. Die neuen Käuferschichten griffen lieber nach Genrebildern aus Bauernstube, Wirtschaft oder Bordell. Einen echten Boom erlebten daneben schnell gemalte, darum recht günstige Ansichten der heimischen Landschaft: Wasser, Weite, satte Wiesen. Und natürlich Windmühlen, die im 17. Jahrhundert ihre Karriere als Wahrzeichen des Landes antraten. Über ein Drittel aller holländischen Gemälde damals gehörten dem Landschaftsfach an, so zählen Experten vor.
Am Anfang dieser national-holländischen Landschaftsmalerei stand Karel van Mander mit seinem 1604 verfassten Lehrgedicht. Darin legt der Maler und Schriftsteller den jungen Kollegen dringend das Naturstudium vor den Toren der Stadt ans Herz: »Der schönen Ansichten halben, die draußen sich böten, / Wo wilde geschnäbelte Musiker flöten, / Dort sollen sie viele Ansichten genießen, / Die später dann in Landschaftsbilder fließen.«
Während die holländischen Protestanten malerische Pracht aus ihren Gotteshäusern verbannten, machten sich die katholischen Nachbarn an die prunkvoll-barocke Ausstattung alter und neu gebauter Kirchen mit monumentalen Gemälden voll Wucht und Emotion. Dramatische Martyrien machten die Runde – ein gutes Beispiel gibt in Wuppertal Jan Boeckhorst ab mit seinem Heiligen Jacobus unmittelbar vor der Enthauptung. In Holland sprachen die wenigen religiösen Bildschöpfungen der Zeit eine ganz andere, viel zurückhaltendere Sprache. Stille Trauer durchzieht etwa Jan de Brays in fahlen Farben auf die Leinwand gebrachte Beweinung Christi von 1670.
Das »Goldene Zeitalter« neigte sich in diesen Jahren dem Ende entgegen. Die Nachfrage auf dem Kunstmarkt schrumpfte. Gleichzeitig machte sich ganz plötzlich, so scheint es, ein völlig neuer Geschmack breit, der sich am Vorbild des französischen Klassizismus schulte. Überall nur Eleganz und Virtuosität – in Holland, aber auch in Flandern. Und so kommen sich gegen Ende des Parcours beide Seiten näher – in heroischen Historien und herrschaftlichen Porträts, die dem Schönheitsideal der Zeit frönen. Vom in der Vergangenheit oft konstatierten »Niedergang« oder gar »Verfall« könne angesichts dieser Werke keine Rede sein, so betont man in Wuppertal. Nur von einer »Veredlung der Künste«. Zum Beweis kann das Von der Heydt-Museum die wichtigsten Malergrößen der neuen Ära versammeln. Indes – sie mögen brillant sein, aber die Eigenständigkeit und wegweisende Wirkung der Vorgänger ist ihnen verloren gegangen.
Die Milchmänner, die Marktweiber und die maßlosen Zecher alter Zeiten haben sich verabschiedet aus ihren Bildern. Denn die junge Generation mag es lieber klassisch, höfisch, anmutig und arkadisch beschwingt. Allen voran Gerard de Lairesse, der nicht nur malte, sondern seine Überzeugungen auch schriftlich verfocht: Keinem Bettler, keinem verfallenen Gehöft solle der Maler mehr Zeit schenken. Die Landschaftskunst müsse sich fortan ganz auf die makellose Schönheit gerader Bäume und sanfter Hügel unter blauem Himmel konzentrieren. Lairesse will reife Früchte, nicht verfaulte; blühende Blumen, nicht verdorrte. Weder Gemüse noch Fisch hielt er für bildwürdig: »Kohlköpfe, Mohrrüben und Rüben gehören nicht ins Haus!« Heißt: nicht auf die Leinwand. Aber was nahrhaft für den Magen gewesen war, war es auch für das Auge. //
Von der Heydt-Museum, Wuppertal. Bis 23. August 2009. Katalog 25 Euro. Tel.: 0202/563-6231; www.niederlaender-ausstellung.de.