Fälschung im Stile Magrittes Dem gesundheitsbewussten Trendsurfer will das Herz vor Freude wackeln wie ein Lämmerschwänzchen: Die Wellness-Welle ist voll auf die Getränke übergeschwappt. Bionade-Naturlimos und viele, viele bunte Smoothies, sogenannte »Ganzfruchtgetränke«, sind die Lifestyle-Drinks der Stunde. Doch was ein mit allen Wassern gewaschener Trendwatcher ist, der schaut tiefer ins Glas bzw. die Glaskugel: Was wird man in Zukunft an gesundheitsfördernden Liquiden süffeln? Da trifft es sich gut, dass just eine Meldung, ach was, eine Heilsbotschaft aus Fernost unsere Wünschelruten anschlagen lässt. Die Asiaten, große Freunde von »reduziertem«, »antioxidativem « Wasser, die dieses bisher mit komplizierten Gerätschaften fabrizierten, können ihre Wasser-Energetik-Aufbereitungs-Ionisator-Galvanisatoren nunmehr glückstrunken von sich werfen wie der geheilte Lahme seine Krücken. Denn in den Naturkostläden von Süd-Korea und China sind unlängst erste Lieferungen eines Wunderwassers eingetroffen.
Ein legendenumwobenes Quellwasser, das laut Fachpresse von »Bild« und »Freizeit Revue« bis »Esotera« von Natur aus antioxidativ sei. Und bei allerlei Gebrechen wirke, bei Wadenreißen, Diabetes, Bluthochdruck. Grauem Star, Verdauungsmalaisen und Krebs. Wo aber liegt die Quelle dieses Zaubertranks? Die Chinesen sprechen von einem mysteriösen »Noldenauelstollenwassel «. Ins Deutsche übersetzt muss es sich um Nordenauer Stollenwasser handeln. Aus Schmallenberg-Nordenau im Sauerland. Aus einem Land, auf dem von jeher Segen ruht (Krombacher, Warsteiner, Veltins).
Rekapitulieren wir kurz den Fall: Anno 1992 führte ein gewisser Herr Tommes, 80-Betten- Hotelier im darnieder liegenden Kurörtchen Nordenau, einen Sommergast in seinen stillgelegten Schieferstollen. Der medial begabte Körper des Gastes, ein Klempner, empfing dort rätselhafte energetische Erdstrahlen und befand, Stollen sowie Stollenwasser seien heilsam. Und ließ sich vor Ort als Geistheiler nieder. Die Presse nahm sich der Sache an. Einer der ersten, der mit einem wagemutigen Selbstversuch Licht ins Dunkel der Wundergrotte brachte, war ein Korrespondent des Mirakelbüchleins »Bild«. Einer dieser eiskalten Profis, die die unheimlichsten Dinge nicht fürchten: Er habe »von dem Wasser getrunken, in der Energie-Zone. Nach fünf Minuten vibrierten meine Fingerkuppen. Ich dachte, ich stehe unter Strom.« Ähnlich aufrüttelnd sind Berichte normaler Besucher: »Mein Körper reagierte bei Einnahme der ersten Wasserrationen heftig (sofort häufiges Wasserlassen).« Auch ein Arzt, mittlerweile angestellt von Tommes, dokumentierte tolle Heilwunderberichte. So wurde die Schiefergrotte rappzapp zur Schieferheilgrotte, das Wasser zum Heilwunderwasser und Nordenau zum deutschen Lourdes. Laut »Westfalenpost«: »Tatjana trinkt wie in Trance das von den Erdstrahlen durchdrungene Elixier«. Riesenrummel mit jährlich mehr als hunderttausend Wunderwasserwallfahrern. Sechs Euro kosten die zwanzig Minuten Grottenstehen/- sitzen plus Freigetränk. Danach wird die nächste Gruppe eingeschleust; täglich von 9 bis 18 Uhr. Eindrucksvoll zu sehen, wie zuweilen von edlem Gesundungseifer beseelte Besucher ihre Mitpilger gar nicht mehr gebrechlich, sondern putzmunter vom besten Strahlungspunkt fortdrängen.
Nun mögen Zweifler die zaghaften Analyse- Befunde des Fresenius-Instituts und des Gelsenkirchener Instituts für Gesundheit und Hygiene anführen. Die ergaben keine Besonderheiten, nur dass es sich bei dem Stollenwasser um sauberes, leichtes Trinkwasser handele. Zwei wasserfeste Wunder mögen die Ungläubigen kurieren: 1. Der damals an Gästemangel krankende Kurort ist heute restlos geheilt. 2. Die edelmütigen Stollenbesitzer Tommes sen. und jun., die partout nicht reich werden wollten, sondern sich in Demut übten (»Stollen und Wasser sind Geschenke und Geschenke verkauft man nicht. Man verschenkt sie weiter.«), stehen heute fassungslos vor einem Geldvermehrungs-Mirakel. Bei bisher gut 1,7 Millionen Stollenbesuchern kämen nach einem Besuch schon gut 10 Millionen Euro zusammen; empfohlen werden von Tommes aber zwei Besuche pro Tag, machte dann über 20 Millionen. Viele kehren drei- bis fünfmal im Stollen ein (einer gar 56 Mal), was über 40 Millionen Euro ergäbe. Und jetzt noch die Wasser-Exporte nach Asien. »Pakyeokjeok!« sagt da der Koreaner: ein Wahnsinn. Des Sprudels Kern aber, sein wahrer Therapie- Verwendungszweck, blieb bis heute unerkannt: Man verabreiche das Zauberwasser (demnächst auch bei uns im Handel) dem ewigen Deutschen Fußball-Vizemeister, den Jungs von Schalke 04. Denn ist nicht sein Name ein himmlischer Fingerzeig? »Stollen-Wasser«, woll? Jawoll. Prost und Glückauf.