TEXT: GUIDO FISCHER
Als man im Jahr 2000 den 250. Geburtstag von Johann Sebastian Bach feierte, blickte die Musikwelt nicht etwa zunächst nach Weimar oder Leipzig, sondern nach Stuttgart. Dort hatte der große Bach-Kenner und -Dirigent Helmuth Rilling ein Projekt angekündigt, das völlig aus dem konfektionierten Jubiläum fallen sollte. Als Leiter der Internationalen Bachakademie hatte Rilling vier Komponisten aus vier Kulturkreisen eingeladen, um für das Projekt »PASSION 2000« die Passionsgeschichte neu zu vertonen. Was nach Bachs gewaltigen Sakral-Werken, der Matthäus- und Johannespassion, Herausforderung und Wagnis zugleich war.
Gleichwohl sagten namhafte, musikalisch ganz unterschiedlich sozialisierte Komponisten zu. Während die Russin Sofia Gubaidulina, der Argentinier Osvaldo Golijov sowie der Deutsche Wolfgang Rihm sich bei der Instrumentation in gängigen Bahnen bewegten, hatte der Chinese Tan Dun den klassischen Orchesterapparat radikal ausgedünnt. Gerade einmal Violine, Violoncello und drei Schlagzeuger stellt er zwei Sänger-Solisten sowie einem großbesetzten Chor für seine musikalische Erzählung vom Leiden und Sterben Jesu Christi zur Seite.
Für besondere Klangfarben sorgen in Tan Duns »Water Passion after St. Matthew« aber 17 mit Wasser gefüllte, transparente Klangschalen, die in stimmungsvolles Licht getaucht werden. Wasser sei für ihn »ein wichtiges Element«, so der Komponist: »Es steht nicht nur für die Taufe, sondern auch für Erneuerung, Wiedergeburt, das Zyklische. Vor diesem Hintergrund kam mir die Idee, den Klang des Wassers für die Passionsgeschichte zu nutzen.«
In den Schalen lassen es die Musiker mit ihren Händen und auch mit kleinen Röhren und Becken magisch plätschern und fließen, tröpfeln und rauschen. Dazu erklingen fließende Vokalisen. Zwischendurch sorgen die Chorsänger mit Steinen, Glöckchen und Schellen für archaische, rituell anmutende Rhythmen und Geräusche. Trotz der esoterischen Schlagseite, die diese elektronisch verstärkte Wasser-Passion bisweilen bekommt, werden einem über die 90 Minuten Spieldauer nicht die Sinne vernebelt. Vielmehr mischen sich ins Zeremonienhafte neben faszinierenden Obertongesängen auch melodramatische Chorblöcke von ungeheurer Wucht.
Zwischen asiatischer Spiritualität und abendländischem Strukturbewusstsein bewegt sich die »Water Passion«, die seit ihrer erfolgreichen Uraufführung zu einem von Tan Duns Erfolgsstücken zählt. Überhaupt gehört er zu den wenigen Komponisten aus dem Reich der Mitte, die es im Westen geschafft und Berühmtheit erlangt haben. Der 56-Jährige, der seit den 1980er Jahren in den USA lebt, hat für die New Yorker Philharmoniker, für Yo Yo Ma und Lang Lang Werke komponiert. Seine Opern wie »Marco Polo« werden international aufgeführt. Als Soundtrack-Komponist wurde Tan Dun 2001 für »Crouching Tiger, Hidden Dragon« mit einem Oscar ausgezeichnet. In seiner Musik, so John Cage, werde »offensichtlich, dass der Klang eine Stimme der Natur ist, in der wir leben und der wir zu lange nicht zugehört haben«.
Nun gastiert Tan Dun in der Karwoche in Düsseldorf mit seiner »Water Passion« und dirigiert neben dem Chor der Cappella Amsterdam Instrumentalisten und Sängersolisten, die schon damals in Stuttgart mit dabei gewesen sind.
16. April 2014, Tonhalle Düsseldorf. www.tonhalle.de