INTERVIEW: ULRICH DEUTER & ANDREAS WILINK
Er macht einen aufgeräumten Eindruck, soeben bezieht er sein noch von Handwerkern bevölkertes Eckbüro in der 12. Etage des gläsernen Stadthauses in Düsseldorf. Unüberbietbar ist der grandiose Blick über die Landeshauptstadt, in der Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff bisher als Kulturdezernent gewirkt hat. Obschon und gerade weil sich der neue Chef der Staatskanzlei und Staatssekretär für Kultur so hoch oben befindet, sagt der 55-Jährige: »Ich fühle mich ausgesprochen bodennah«. So standfest wie das von CDU-Chef Jürgen Rüttgers vor der Wahl publizierte Thesen- und Positionspapier, in dem von der Kulturpolitik Einmischung in die Wertedebatte und Abschied vom Relativismus einer postmodernen Epoche gefordert wird.
K.WEST: Glaubensbekenntnisse taugen nicht als Regierungsprogramm. Daher zweifeln viele, ob es eine andere als eine verwaltende und ermöglichende Kulturpolitik überhaupt geben kann. Gibt es eine konservative Kulturpolitik?
GROSSE-BROCKHOFF: Ich liebe zwar den Begriff nicht sehr, dennoch, ich behaupte, dass konservative Kultpolitik vielleicht zur Zeit die progressivste Kulturpolitik ist, weil sie zweierlei tut: Sie besinnt sich auf die Traditionen, aufs Herkommen, schaut auf Geschichte, auf historisch Gewachsenes, um von dieser Basis aus in die Zukunft zu blicken, was in Zeiten der Globalisierung besonders wichtig ist. Sie entwickelt Zukunftsvisionen. Aber dafür brauche ich die Basis. Ich muss wissen, woher ich komme, um zu wissen, wohin ich richtigerweise gehe. Das ist in der Vergangenheit vernachlässigt worden. Dies beinhaltet durchaus Rückbesinnung – nicht Rückwärts-Gewandtheit – auf Werte, die etwas in Vergessenheit geraten sind. Wir haben ja alle das Gefühl, ohne Boden dazustehen oder auch ins Bodenlose zu fallen. Insofern sind wir Konservative vielleicht sogar besonders progressiv oder gar avantgardistisch, indem wir sagen, dass wir uns genau bewusst sein müssen, woher wir kommen. Gerade in der Zeit nach ’45 wurden da in unserem Lande – notwendigerweise – Stränge abgeschnitten.
K.WEST: Angela Merkel hat in einem Interview beklagt, dass den Deutschen »die Kenntnis der vierten und fünften Liedstrophe, dass ihnen Gedichte, Mythen und Melodien« fehlten. Wer jetzt Folklore versteht, hat das Problem nicht begriffen. Denn jemand, der von seiner Tradition abgeschnitten ist, ist so frei wie ein Mensch ohne Einkommen. Kommt es also vornehmlich darauf an, die Tradition zu stärken?
GROSSE-BROCKHOFF: Unter anderem auch diese Tradition. Ich bewundere jeden Japaner, der Heine besser zitiert als ich. Woran liegt es aber? Der Japaner lernt das, so er – zugegebenermaßen – aus einer gewissen Schicht kommt, in der Schule und Universität. Und ich frage mich, leistet das im Moment bei uns die Schule? Da sind wir sofort bei der Frage: Muss Kulturpolitik nicht wieder sehr viel mehr Einfluss auf Bildungspolitik nehmen, müssen beide nicht sehr viel mehr zusammenwirken? Sie wissen, das ist eines meiner Lieblingsthemen zurzeit. Das zeigt sich eben an solchen Beispielen. Es geht – ja, meinetwegen – um bürgerliche Traditionen. Auch Tugenden. Ich möchte nicht missen, dass ich das im eigenen Elternhaus genossen habe. Und sage ganz klar, ich wäre heute nicht an dieser Stelle ohne jenes Erbe. Aber es geht insgesamt um das Erbe Griechenlands und Roms, um das Christliche und um die jüdische Tradition und nicht nur um das 18. und 19. Jahrhundert.
K.WEST: Dieser Tugendbegriff lässt sich leicht defensiv verstehen, man benutzt dann gern Worte wie Humanismus, Abendland, Toleranz. Aber lässt er sich nicht auch offensiver, forscher führen, sich verbinden mit Eigenschaften wie Ehrgeiz und Stolz?
GROSSE-BROCKHOFF: Ich möchte das nicht von der Hand weisen. Wir können durchaus stolz sein auf Traditionen. Dieses Land hat zwei, drei Jahrhunderte das Geistesleben Europas und Amerikas geprägt. Den Stolz darauf haben wir ein wenig vergessen. Wenn wir heute feststellen, dass wir nicht mehr – was ganz gesund ist – der Nabel der Welt sind, geraten wir in eine merkwürdig fatalistische Stimmung. Wobei uns das Erbe doch mit einem gewissen Selbstbewusstsein ausstatten könnte, nämlich, auch künftig im Geistes- und Kunstleben die Welt weiter stärker zu prägen. Da sollten wir offensiver sein. Das beginnt schon damit, um zu NRW zu kommen, dass wir uns bewusst werden, was für einen Reichtum, für eine einzigartige Kultur-Agglomeration wir hier besitzen und dass wir das auch bewusst nach außen präsentieren – sowohl in Deutschland, ich denke etwa an Berlin und München, als auch in Europa und in der Welt. Wo gibt es so etwas noch einmal? Darauf kann man stolz sein. Gewiss ist Stolz ein ambivalenter Begriff, er darf nicht dazu führen, arrogant zu werden. Das haben wir leider mindestens zweimal praktiziert in den letzten 100 Jahren.
K.WEST: Ist der mangelnde Stolz also noch mal ein speziell nordrhein-westfälisches Problem?
GROSSE-BROCKHOFF: Ja, ich denke, dass das in München und Bayern ganz anders ist, auch in Baden-Württemberg. Das bedingt natürlich die Struktur und das Nicht-historisch-gewachsen-Sein von NRW, was sich vielleicht langsam relativiert. Es fängt schon bei den Grenzen des Rheinlandes an, diffus zu werde. Und dann hat sich über Rheinland und Westfalen auch das Ruhrgebiet gelegt, das aus einem rheinischen wie westfälischen Element besteht. Wobei ich mir hier gerade von der dreigliedrigen Neugestaltung des Landes in Rheinland, Westfalen und das Ruhrgebiet die zu unserem Regierungsprogramm gehört, etwas verspreche. Darin besteht auch kulturell eine Chance. Wenn man zu dritt ist, erzeugt man leichter ein neues nordrhein-westfälisches Bewusstsein, als wenn zwei Bereiche gegeneinander stehen, wie ich das als Kind noch bei Rheinland und Westfalen erlebt habe.
K.WEST: Vom Ordnungspolitischen zurück zum Wertphilosophischen: Tradition heißt auch: Standards. Unsere Gesellschaft aber ist hochgradig ausdifferenziert, horizontal wie vertikal, sozial wie ethnisch, es gibt 100 Szenen. Das Kulturpapier der CDU fragt: »Gibt es gültige Werte, die deshalb allgemeine Anerkennung verdienen, oder gibt es sie nicht?« Frage an Sie: Gibt es sie?
GROSSE-BROCKHOFF: Sie haben schon den richtigen Plural gebildet, es wird Standards geben, nicht mehr den einen Standard. Davon zu träumen, ist Illusion, ein falsches Geschichtsverständnis und meines Erachtens auch ein falsches Verständnis von konservativer Betrachtung. Ich muss mich ständig wandeln, aber immer fußend auf einem Fundament, um das ich weiß. Entscheidend ist das Stehen auf diesem Fundament, aber – eben weil man sicheren Boden unter den Füßen hat – zugleich völlige Offenheit gegenüber dem Neuen. Wir leben in einem Zeitalter der Vielheit. Unendlich viele Kulturen, die auf uns einstürmen. Auch hier bei uns, in jedem Land, in jeder Stadt und für jeden Menschen. Es ist für uns alle ein Problem, für welche Kultur wir uns entscheiden. Aber ich frage, gibt es nicht doch eine Möglichkeit, dass jeder für sich auch einen eigenen Standard, seinen eigenen Kanon findet – ohne dass man den zum alleinigen gemeingültigen Kanon macht?
K.WEST: Vielfalt der Standards – ist das nicht genau das von der CDU gescholtene anything goes?
GROSSE-BROCKHOFF: Vielleicht habe ich mich jetzt zu missverständlich und zu verkürzt ausgedrückt. Sie merken, dass dies bei mir keine abgeschlossenen Anschauungen sind, sondern dass hier so etwas stattfindet wie »die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden«, wie es bei Kleist heißt – ein Satz, der für mich z. B. immer zum Kanon gehören wird.
Also, ich glaube, dass man schon differenzieren, Schnittmengen herstellen muss. Es muss ganz klar Werte gegen, die die Gesellschaft allgemein anerkennt und die sie zusammenhalten. Aber darüber hinaus wird es auch immer Werte geben, bei denen wir uns unterscheiden. Es muss z. B. sicherlich bildungspolitisch einen gewissen Grundkanon geben, aber wenn wir uns die Schullandschaft ansehen, wandelt sich der sehr, je nach Schulform und -typ. Bleiben wir bei dem Beispiel. Wir produzieren heute sehr stark die Spezialisierung von Schulen. Es gibt kaum mehr die Allgemeinbildende Schule schlechthin. Es gilt, ein Grundwissen zu definieren, das alle haben sollten, wieder geordnet nach Haupt- und Realschule, Gymnasium und Gesamtschule. Zugleich bildet man schon in einem frühen Stadium Schwerpunkte. Wir bekommen wieder etwa musische oder mathematisch-naturwissenschaftliche Gymnasien, was seit Ende der 60er bis zu Beginn der 90er Jahre völlig out war. Dennoch wird ein Grundkanon, der beherrscht sein muss, klar definiert – bis hin zur berüchtigten Rechtschreibung und neben aller Spezialisierung. Ich glaube, dass sich das auf die Kultur übertragen lässt. Es sollte eine Grundbildung geben, auf die wir uns besinnen müssen. Alles andere wäre, wie gesagt, Illusion.
K.WEST: »fashion, fun und future«, so preist sich Düsseldorf derzeit selber auf Werbetafeln an. Wilhelm Genazino hat das schöne Wort vom »Erlebnisproletariat« geprägt, das Kulturevents konsumiert. In den letzten drei Jahrzehnten ist das Phänomen des Künstlerisch-Kulturellen zum einen in Bindestrich-Kulturen und Selbstverwirklichungsspiele, zum andern in Event-Kultur zerfallen. Könnte da die Semantik helfen, sollten wir statt von Kultur lieber von Geist sprechen?
GROSSE-BROCKHOFF: Da ist sicherlich was dran, und doch nur ein Teil der Wahrheit, Richtig ist, zurzeit haben wir ein Übergewicht im Event-Bereich. Wir sind angetreten, auch wieder die stilleren Bereiche zu fördern, auf den der Begriff Geist eher passt: rein materiell, die kulturelle Substanz in unseren Depots, oder so Unauffälliges wie wissenschaftliche und pädagogische Arbeit.. Und nicht weiter unsere Häuser unter den puren Druck von Besucherzahlen, Einnahmen und Sponsoring etc. zu stellen. Das war sicherlich ein notwendiger Prozess, weil sich viele Häuser zu Elfenbeintürmen entwickelt hatten und gezwungen wurden, sich mehr dem Publikum zuzuwenden. Aber wir sind jetzt teilweise in einer anderen Extremphase, in der es nicht mehr primär um Inhalte geht. Kulturpolitik ist auch dazu da, den Häusern den Rücken zu stärken, wenn sie Anforderungen ans Publikum stellen, ihm etwas zumuten und ihm nicht nach dem Munde reden. Diese Gedanken müssen wieder in den Vordergrund gestellt werden – auch das ist vielleicht konservative Kulturpolitik.
K.WEST: Kann konservative Kulturpolitik liberal sein?
GROSSE-BROCKHOFF: Ich befürworte die mäzenatische Position des Staates, also im Rückgriff auf feudale und bürgerliche Traditionen Künstlerinnen und Künstlern die Freiheit zu geben, auch die zu kritisieren, von denen sie alimentiert werden, den Skandal zu verursachen, das Anstößige zu produzieren. Damit man im Sinne des Skandalons auch mal stolpert und dadurch wach wird, auch sich selbst in Frage stellen lässt. Das sind, behaupte ich, konservative Tugenden. Wenn Sie parteipolitisch werden wollen: Das vermisse ich bei der bisherigen Kulturpolitk hier in diesem Land und auch im Bund, insgesamt bei SPD und Grünen – diese mäzenatische Haltung. Ich meine das als Haltung – auch das hat mit konservativer Kulturpolitik zu tun, und es verbindet sich bei mir – auch wenn es einen Gegenbegriff darstellen mag – mit Liberalität. Da kann, sollte und muss konservative Kulturpolitik etwas vorleben.
K.WEST: Etwas wie eine Wertedebatte in Bewegung zu setzen, ist schon zweimal gescheitert – Stichwort: Leitkultur. Ist das Klima dafür nicht reif, oder warum kann man sich nicht bei uns nicht vernünftig über Werte austauschen?
GROSSE-BROCKHOFF: Das hat auch mit unserer Geschichte der letzten 100 Jahre zu tun, oder zurück bis 1870, weil solche Fragen zweimal pervertiert worden sind. Das hängt uns noch immer nach. Es gibt eine natürliche Scheu vor solchen Debatten. Italien, Frankreich oder Spanien kapieren gar nicht, worüber wir reden, wenn wir über Wertedebatten reden. Die haben ganz klar ihre Werte.
K.WEST: Ließe sich nicht sogar sagen, dass diese Werte dreimal pervertiert worden sind – auch wenn das Wort jetzt zu hart ist –, sollte man nicht auch ’68 in diesen Zusammenhang stellen?
GROSSE-BROCKHOFF: Da könnte ich jetzt antworte: Dat ham Sie jesacht. Ich bin, weiß Gott, kein Protagonist der 68er, habe sehr auch unter dieser Zeit gelitten, ich war 19, hab’ damals gerade Abitur gemacht, zu studieren begonnen und mich mit dem Begriff des Konservativen sehr beschäftigt – damals erschien das Buch Kaltenbrunners über den Begriff des Konservativen. Ich glaube aber mittlerweile, dass ’68 ein ganz natürlicher Prozess war, ein notwendiger und zwingender. Der wie viele notwendige Prozesse auch wieder in eine Sackgasse führte – im Ergebnis ein Irrweg, aber historisch nötig, der einfach sein musste und dann in ein Extrem ausschlug – bis hin zur RAF.
K.WEST: Das Kulturpapier der CDU lässt in Wortwahl und Anliegen eine gewisse Nähe zu den Gedanken des früheren Vatikan-Chefideologen und jetzigen Papstes Benedikt erkennen. Schon aus dem theologischen Raum betrachtet kann das kein Zufall sein.
GROSSE-BROCKHOFF: Nein, Zufall ist es sicherlich nicht, insofern, als die Zeit reif ist – in einem umgekehrten Sinn wie ’68. Wobei man höllisch acht geben muss, nicht wieder ins andere Extrem auszuschlagen, sondern eine Position zu finden, die einen vor allem vorwärts bringt. Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen. Ich bin entschieden der Meinung, dass derjenige, der ein Fundament hat, sich unglaublich in Frage stellen lassen und sich allem Neuen gegenüber öffnen kann. Wir sollten nicht unterschätzen, was an Dingen auf uns zukommt, was Globalisierung auch kulturpolitisch bedeutet. Eine ungeheure Infragestellung eigener Gewohnheiten, von deren Traditionen man gar nichts mehr weiß, durch andere Kulturen – es muss gar nicht die des Islams sein – in Form von Eindrücken, Bildern, Nachrichten. Das kann schnell umkippen. Wesentliche Aufgabe von Kultur-, von Bildungs-, überhaupt von Politik ist, dafür zu sorgen, dass eben nicht wieder Katastrophen passieren, dass diese Infragestellung wieder zu Gewalt und gewalttätigem Zurückschlagen führt. Da sehe ich eine Riesenherausforderung.
K.WEST: Wie lässt sich da Fürsorge treffen?
GROSSE-BROCKHOFF: Zum Beispiel, indem man für die Einsicht kämpft, dass das Fremde immer auch hilft, das Eigene zu definieren – ein ganz wichtiger Gedanke. Auch auf die Chance hin, dass mein eigener Standpunkt sich wandelt.
K.WEST: Jedermanns persönliche Aufgabe. Wie kann Politik hier helfen?
GROSSE-BROCKHOFF: Ich halte es zum Beispiel für eine meiner wichtigsten Taten in Düsseldorf, Jean-Hubert Martin zum Leiter des museum kunst palast gemacht zu haben. Das erste Museum in Deutschland – in anderen europäischen Ländern ist das leichter und wird auch schon praktiziert –, das radikal eine der Globalität gerecht werdende Museumspolitik betreibt, indem es auch zeitgenössische Kunst anderer Kulturen in unsere ehrwürdigen Häuser holt und als gleichberechtigt gegenüber der abendländischen Kunst präsentiert – und nicht etwa mit dem Blick des Missionars oder Eroberers auf das Exotische. Wer sich mit den diesbezüglich konzipierten Ausstellungen auseinandergesetzt hat, wird schon in Frage gestellt.
Im Übrigen, auch hier gilt: Alles immer gekoppelt mit Bildungspolitik, das sind für mich zwei Seiten einer Medaille. Die strikte Trennung der Kultur- von der Bildungspolitik war ein klassischer Fehler von ’68 – den ich als ganz junger Kulturdezernent in Neuss mitgemacht habe, da war ich dann doch auch 68er, weil wir die gräßliche Verschulung von Kultur der 50er und 60er Jahre restlos leid waren. Auch ein notwendiger Prozess – und ein Irrweg. Wir erkennen jetzt, vielleicht auch aus einem konservativen Ansatz heraus, dass man den korrigieren muss. Die Antwort muss heißen, wir schicken Künstler als Künstler in die Schulen und versuchen nicht, dass aus Künstlern gute Pädagogen werden. Das wäre schlimm.
K.WEST: Ist das alles nicht vielleicht nur eine Scheindebatte? Wäre dieses ihr Programm bei den Grünen nicht ebenso gut aufgehoben?
GROSSE-BROCKHOFF: Viele Debatten sind Scheindebatten, aber das beweist sich erst über die Debatte. Ich sage, im Moment wäre es bei den Grünen nicht gut aufgehoben. Es müsste so sein, aber ist es nicht. Da sind wir im Moment die Fortschrittlicheren. Ich sage das nicht aus wahltaktischen Gründen und meine das ohne jede Überheblichkeit. Sowohl SPD als auch Grüne haben hier keine ausreichende Vision und Kraft. Das ist meine klare Erkenntnis.
K.WEST: Was wäre oder war die erste Tat, die den Namen konservativer Kulturpolitik verdient?
GROSSE-BROCKHOFF: Eine ist erfolgt, insofern als der Vorschlag, den Kulturhaushalt zu verdoppeln, trotz aller Finanznöte, nach wie vor Gültigkeit besitzt – vielleicht das wichtigste, um eine Basis zu schaffen. Das zweite ist das Zusammenführen von Kultur und Bildung. Das dritte der Substanz-Erhalt. Ich finde es katastrophal, dass in unseren Archiven Tausende von Metern Akten zerfallen, obwohl man die technischen Möglichkeiten hat, sie zu retten. Damit verfällt auf ewig eine noch nicht erschlossene kulturelle Substanz – daraus kann man geradezu ein Arbeitsbeschaffungs-Programm machen. Des weiteren, die Förderung des Bereichs Wissenschaft. Und dann vor allem, den Nordrhein-Westfalen und anderen unseren kulturellen Reichtum zu zeigen. Es geht weniger darum, ihn durch neue Gebäude, Museen, Theater etc. zu mehren, sondern mit den Trägern, das heißt vor allem den Kommunen, ihn wieder leuchten zu lassen. Aber auch diese Institute und Personen zu ermuntern und zu ermutigen, das ganz Neue zu wagen. Sie sollen Avantgardefunktion haben. Da haben wir derzeit durchaus Nachholbedarf. Es ist doch erstaunlich, wie unpolitisch Kultur geworden ist, nach den auch höchst produktiven Phasen, die wir erleben durften – auch dies ein vielleicht notwendiger Prozess. Aber darüber zu einem Disputnotfalls auch Streit zu kommen, wäre für mich schon erstrebenswert.