TEXT: NICOLE STRECKER
Gierige Greise vs. perspektivlos-krawallige Enkel? Ein Generationenkampf dräuend am Horizont? Das apokalyptische Szenario brachte die Kölner Choreografin Silke Z. dazu, mal auf der Bühne herauszufinden, wie ticken die denn eigentlich alle, die Jungen, die Alten und die ganzen Ü’s: Ü30, 40, 50?
Selbst 1970 geboren, also wohl am ehesten der »Generation Ally« oder »Generation Golf« zugehörig und damit laut Analysten vielleicht ein bisschen unpolitisch und hedonistisch, aber eben auch ironiebegabt, ideologiefrei und popkulturell entidealisiert, entwickelte Silke Z. ab 2009 eine Serie von Doppel-Porträts. Zwei Vertreter einer Generation treffen sich auf ihrer Bühne zum Clash der Biografien: »Unter uns«. Teil 1: »Felix trifft Felix«. Ein Schauspieler und ein Tänzer teilen den Vornamen Felix, das Alter – Mitte dreißig – und offenbar auch ein Problem mit der eigenen Männlichkeit. Statt straffer Sixpack-Striemen wölbt sich allmählich ein Schmerbäuchlein, statt dichtem Haupthaar lichte Tonsur. Aber mental ist man noch frisch wie Wickie. Man interviewt sich gegenseitig, führt sich Flirt-Techniken auf dem Dancefloor vor und beantwortet die Frage nach Kindern mit langem, sehr langem Schweigen. Die in jungen Jahren erworbene LP-Sammlung gilt nach wie vor als Identitätsausweis und 80er-Jahre-Gangsta-Rapper-Attitüden werden ungebrochen als »cool« kultiviert. Hochkomisch ist es, wie die beiden Performer Persönliches auspacken und ratlos in die Kluft zwischen Selbstbild und Wirklichkeit blicken.
Ein Serien-Auftakt, der Maßstäbe setzte und Bau-Prinzipien etablierte. Hier wie in allen Folgestücken beginnt die Arbeit am Stück mit einem Alphabet: von »A« wie »Albern« bis »Z« wie »Zeugung« nennt jeder Performer Schlagworte, die sein aktuelles Leben umreißen. Das ist die Basis, mit deren Hilfe Silke Z. und ihre jeweiligen Darsteller dann Szenen, Bewegungsabläufe, Texte durch Improvisationen entwickeln. Manchmal könnte die Lifestyle-Bebilderung etwas mehr Komplexität vertragen, würde die eine oder andere These den Befindlichkeits-Spaß erden. Aber sie wolle, sagt die Choreografin, keiner Generation etwas andichten und von außen überstülpen. Die Darsteller sollen selbst die Inhalte vorgeben. Autobiografie und Alltäglichkeit im Format einer Daily-Soap-Parodie – das ist das Ziel der Serie.
Nach dem »Peter-Pan-Syndrom« der ewig jungen Mittdreißiger folgt also Episode 2, die »Arthritis«: »Jess trifft Angus« – die beiden Bühnenberserker Jess Curtis und Angus Balbernie. Zwei Ex-Punks um die 50 lassen es hier noch einmal krachen, outen aber zugleich ihre private Unfall-Statistik: Narben, Knochenbrüche, ausgekugelte Gelenke, die so ein Leben auf den harten Bühnenbrettern mit sich bringt. Da wird gerockt und gejammert, physische Präsenz und verbale Retrospektion driften auseinander – mal ist der Körper willig, der Geist jedoch schwach, mal umgekehrt. Ein wunderbares Memento mori und Illustration eines ewig menschlichen Grundkonflikts: dem Hiatus zwischen Leib und Seele.
Eine starke Produktion, die auch Choreografin Silke Z. auf besondere Weise forderte. »Ich war ganz schüchtern im Probenraum«, immerhin waren die beiden Herren auch Mentoren in ihrem Leben. Bei Choreograf Jess Curtis war sie einst, 22 Jahre jung, Tänzerin in »Sex and Gravity« – eine taffe Schulung in Sachen Risikofreude auf einer Tanzbühne. Und Angus Balbernie half ihr als Performer in ihrer allerersten Produktion im Jahr 1997 – und von da an immer wieder. Denn Silke Z. braucht lange Künstlerbeziehungen für ihre Arbeit. So hip die Themen, die sie sich sucht, so stabil ihr Cast: die Tänzerin Caroline Simon, ihr Bruder, der Komponist und Filmregisseur André Zimmermann, sowie diverse Performer, die sie mehrmals für Stücke verpflichtet.
Allerdings muss jeder, der für sie arbeitet, es dann auch aushalten, dass sie an der schützenden Fassade kratzt, um an den »soft spot« hinter der Selbstinszenierung ranzukommen. In ihren über 20 Produktionen prallen die Performer immer wieder mit zärtlich-brutalem Body- check und Bekenntnis-Talk aufeinander, um sich zu wundern, wo eigentlich die großen Fragen im kleingetakteten Alltag geblieben sind. Nichts Menschliches bleibt ihrem Theater fremd, und schon gar nichts Peinliches. »Mutproben« lautet der Titel ihrer ersten Stück-Serie, bei der jeder Performer seine ganz realen Schwächen ausstellen musste – Platzangst, Bauchspeck, sexuelle Unentschlossenheit. In »PS – Private Spaces«, einem ihrer stärksten Stücke, fragt sie sich dann konsequenterweise selbst: »Was macht der Terror des Intimen mit uns?« Eine Antwort gibt sie nicht, sie konfrontiert: Eine Stalkerin quält hier einen Mann mit zärtlichen Annäherungen. In einer Filmpassage durchlebt ein Mann eine Krise – die Kamera hält drauf. Und auf den nackten Körper einer Frau wird ihr pulsierendes Herz, ein verästeltes Geflecht von Adern, das Skelett projiziert – damit der ohnehin schon enthüllte Leib auch sein letztes Geheimnis bloßlegt. In dieser Produktion raubt Silke Z. den Performern tatsächlich den letzten Rest Selbstschutz: die Ironie, mit der sich die Darsteller sonst so grandios in die Anti-Helden ihres Lebens verwandeln dürfen. Wie eben jetzt in »Unter uns«.
Episode drei: »Barbara trifft Bettina« – weiblich, ledig, mittelalt (40 plus) und vor allem: alleinerziehend. »Betreuungsprobleme« lautet deshalb der ständig wiederholte Schlüsselbegriff, der die Frauen ins Stottern und in die Knie zwingt – bis Barbara, die Businessfrau, als – »bog-bog-bog« – brütende Glucke auf dem Boden hockt. Anders als bei den Herren von Teil 1 und 2 stresst nicht die völlige Freiheit im Leben, sondern deren Abwesenheit: Das Kind als entscheidender Faktor der Selbstdefinition – bedeutet es doch ebenso den Karriereknick wie den glückbringenden Kick. Nach den Müttern dann die Kinder: Teil 4, ein Quartett: »Nathalie trifft Kathie / Justin trifft Stefan«. Es ist die »Generation Facebook«. Junge Menschen, Laiendarsteller diesmal, die über ihre Familie, Hobbies und Berufsperspektiven grübeln. Mehr Zukunfts- und Retro-Show, künstlerisch zweifelhaft, aber natürlich rührend wie so ziemlich jedes Pubertäts-Projekt.
So langsam, nach vier Generations-Recherchen, braucht auch Silke Z. ein Ende in Sicht. Ein Finale ist für den September geplant, an dem aus »Unter uns« ein »Alle zusammen« wird, sich sämtliche Beteiligten treffen und sich durch Vergleiche jedes einzelne Generationenporträt noch einmal konturiert – eine Art »Lindenstraße« im Tanzhaus NRW Düsseldorf. Vorher gönnt sie sich aber noch zwei Spezialausgaben. Einmal soll nicht eine Generation, sondern ein Symptom tänzerisch-szenisch ermittelt werden: die Lebensabschnittspartnerschaft. »Caro und Tonio – Das Paar«. Und schließlich ein »Making-of«: Gemeinsam mit dem Improvisationskünstler Andrew Morrish spielt Choreografin Silke Z. live auf der Bühne die Choreografin Silke Z., die versucht, einen rüstigen Rentner, der sowieso alles besser weiß, zu inszenieren: »Andrew trifft…« die Phase 60 plus – zwischen Altersstarrsinn, Narrenfreiheit und tatsächlicher Reife. Wer Andrew Morrish schon erlebt hat, weiß, dass er hier auf einen Vorbild-Senior trifft, der der Gesellschaft Jugendwahn und geriatrisches Grauen austreiben kann: kreativ, neugierig, menschenfreundlich und ein bisschen verrückt. Man wird wieder beim allerersten »A« angelangt sein. A wie albern. Im besten lebens- und altersbejahenden Sinn.
»Andrew trifft …« am 1. und 2. Juni im Studio 11, Köln. »Caro und Tonio – das Paar« am 23. und 24. Juni bei Barnes Crossing, Kunstzentrum in der Wachsfabrik Köln. Episode 3: »Barbara trifft Bettina« am 26. und 27. Juni in der Comedia Köln. Serienfinale »Das Treffen« am 28.–30. September im Tanzhaus NRW Düsseldorf