TEXT: ANDREJ KLAHN
Bekannt gemacht hat Christopher Schroer die Entscheidung, seine Bücher künftig nicht mehr zu verkaufen. Zumindest nicht mehr unter den Bedingungen, die der Online-Buchhändler Amazon Verlagen wie dem Seinen abfordert. Im Februar setzte der in Lindlar ansässige Gründer von CH. SCHRŒR und »Die neue Sachlichkeit« ein Schreiben an Jeff Bezos auf, um den Vorstand des weltgrößten und weltmarktdominanten Internetkaufhauses davon in Kenntnis zu setzen, dass er sein Kunden-Konto »mit sofortiger Wirkung« kündigen wolle. »Ohne Wenn und Aber und mit allen Konsequenzen«.
Ein Brief zur rechten Zeit, denn die ARD hatte gerade über die miserablen Arbeitsbedingungen bei Amazon berichtet. Das Ansehen des für seine hohe Kundenzufriedenheit bekannten Unternehmens war schwer angekratzt. Ein idealer Zeitpunkt also, um darauf hinzuweisen, dass bei Amazon die Kunden wie Könige behandelt werden, die Leiharbeiter und Verleger hingegen wie Bettler. Schroer machte mit der Kündigung die hohen Rabattforderungen des Unternehmens öffentlich, er klagte über beschädigte und somit unverkäufliche Remittenden, das Umgehen der Buchpreisbindung auf der Amazon-Plattform Marketplace und verwies kritisch auf die Steuervermeidungsstrategie. »Eigentlich sind wir froh darüber, einen so schwierigen Geschäftspartner los zu sein«, so beschloss er den Brief. Danach hatte Schroer ordentlich damit zu tun, Interviews zu geben.
DAVID GEGEN GOLIATH AMAZON
Mit seiner Amazon-Kritik brachte Christopher Schroer die Stimmung in vielen kleineren und mittleren Verlagen auf den Punkt. Drei Tage später beendete auch der Mainzer Verleger André Thiele die Geschäftsbeziehung mit Amazon. Ökonomisch dürfte der Schaden für Jeff Bezos überschaubar gewesen sein, der Image-Verlust aber war beträchtlich. »Ich fühle mich in der hinteren Reihe ganz wohl,« sagt Christopher Schroer, angesprochen auf die mediale Wirksamkeit seines Schreibens. »Ich wollte einen Impuls in die Buchbranche hinein setzen. Dass die Geschichte dann so hohe Wellen geschlagen hat, hat mich überrascht.«
Den Absatz seiner Bücher hat die Aufmerksamkeit hingegen kaum befördert. Vor vier Jahren hat Schroer zunächst den Verlag »Die neue Sachlichkeit« gegründet – ohne großes Anfangskapital. Und anders als bei vielen seiner Kollegen, war es nicht die Leidenschaft für Texte, die ihn motivierte. »Mich interessiert die Gestaltung von Büchern«, sagt Schroer. Kunstbücher wollte er herausbringen. Da hatte der gebürtige Kölner als Mediengestalter bereits Erfahrungen in Werbeagenturen und als freier Mitarbeiter der Verlagsbuchhandlung Walther König gesammelt. Und obwohl Schroer im letzten Jahr mit CH.SCHRŒR einen Literatur-Verlag gegründet hat, kümmert sich der Verleger bei den meisten seiner Titel noch immer persönlich um Grafik und Typografie.
ES ENTSCHEIDET DAS BAUCHGEFÜHL
Acht Titel bringt Schroer im Jahr heraus. Über die Aufnahme ins Programm entscheidet das Bauchgefühl. Gut war es bei der Lektüre des Manuskriptes des Kölner Schriftstellers Adrian Kasnitz, dessen erster Roman »Wodka und Oliven« im letzten Jahr bei CH. SCHRŒR erschienen ist. Genauso wie bei Martin Krumbholz’ Roman »Eine kleine Passion«, in dem der Düsseldorfer Autor und Literaturkritiker einen einzigen Tag im Leben des Mittvierzigers Christof Rubart als Variation der biblischen Passionsgeschichte erzählt.
In Köln beheimatet ist auch die exilchinesische Autorin Xu Pei, die in »Der weite Weg des Mädchens Hong« die Konversion einer überzeugten Kommunistin zur Regimekritikerin nachzeichnet – eine Geschichte, die auch, aber nicht nur auf ihrer eigenen Biografie basiert. Die drei Romane sind in der Reihe »neudeutsch« erschienen, in der Schroer Debüts herausbringt, im Herbst werden es bereits sechs sein. Dass viele der Autoren in der Region ansässig sind, ist weniger einer Programmatik als der Tatsache geschuldet, dass es häufig befreundete Künstler sind, die Schroer auf Manuskripte aufmerksam machen. »Wichtig ist auch, dass der Autor den Erfolg seines Buchs wirklich will«, sagt Schroer. »Er darf sich nicht zu fein für die Selbstvermarktung sein. Denn ohne die geht es heute einfach nicht.«
Wer den Weg ins Programm von CH. SCHRŒR findet, arbeitet mit einem wachen Beobachter des sich digital strukturwandelnden Buchmarktes zusammen. »Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die gleichen Fehler machen wie die Musikindustrie«, sagt Schroer und zielt dabei vor allem auf den Umgang mit E-Books, die von den großen deutschen Publikumsverlagen zurzeit im Schnitt 20 Prozent günstiger als Hardcover angeboten werden. Nicht nur viele Leser halten das für zu teuer. Doch dahinter steht die Befürchtung, dass die Preise der gebundenen Bücher unter Druck geraten könnten, wenn ihre digitale Variante deutlich günstiger ist. Kritiker dieser Preispolitik befürchten, dass sie die Raubkopiererei befördere. »Ökonomisch sind die hohen Preise nicht zu rechtfertigen. Die Herstellungskosten für E-Books sind viel geringer«, sagt Schroer. »Alle anderen Überlegungen lassen sich dem Kunden nicht vermitteln.« Deshalb kosten elektronische Bücher bei CH. SCHRŒR deutlich weniger als die Hardcover-Ausgaben. Wer sich hingegen für ein »Z-Book« entscheidet, bekommt ohne Aufpreis beide Varianten. »Z«, das steht für »zweisam, zusammen, Zwitter« – vielleicht ja auch für Zukunft. Viele Verlage bieten derlei Pakete noch nicht an.
»Man kann die Digitalisierung auch als Chance begreifen«, sagt Schroer, der davon überzeugt ist, dass das gebundene Buch auf absehbare Zeit nicht verschwinden wird. Und er setzt auf die Zusammenarbeit mit kleinen, engagierten Buchhandlungen. »Wir haben während der Amazon-Diskussion alle davon gesprochen, wie wichtig gerade diese Läden für unabhängige Verlage sind«, sagt Schroer. »Ich frage mich, warum die Verlage die Buchhändler dann nicht auch stärker unterstützen und ihnen bessere Konditionen einräumen?«
Wer über die Website von CH.SCHRŒR ein Buch bestellt, hat die Wahl zwischen verschiedenen Versandarten. Der Leser kann sich das Päckchen direkt ins Haus kommen lassen. Am günstigsten, nämlich kostenlos, ist, wenn er sich das Buch an die Buchhandlung seiner Wahl expedieren lässt. Ein bisschen Amazon-Servicegefühl darf schon sein, wenn es der Buchhandlung um die Ecke zugute kommt. Manchmal braucht es eben neue Wege, um alte Orte neu zu entdecken.
DER VERLEGER EMPFIEHLT:
… den Debütroman von Xu Pei, denn ich halte das Buch und seine Botschaft für sehr wichtig. »Der weite Weg des Mädchens Hong« zeichnet den Weg einer jungen, privilegierten Chinesin nach, die dank ihrer regimetreuen Eltern ein sorgenfreies Leben führt. Nach und nach, und spätestens mit dem Aufenthalt in Europa, erkennt die Protagonistin das wahre Gesicht ihrer Heimat. Zerrissen zwischen dem traditionellen China, dem Propagandastaat und der erschreckenden Erkenntnis reift das Mädchen Hong zu einer Regimekritikerin heran. Das Buch erinnert uns aus der Binnenperspektive daran, dass China trotz aller Wirtschaftsbeziehungen, Fortschrittlichkeit und vermeintlicher Offenheit ein totalitärer Staat ist.
Am 7. Und 8. September 2013 ist der Verlag CH.SCHRŒR auf der neu begründeten Buchmesse »text & talk« im Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde vertreten. Dort präsentieren sich literarische Kleinverlage aus NRW, ergänzt um ein Programm mit Diskussionsrunden und Lesungen.