TEXT: MELANIE SUCHY
Ihre Stücke lassen den Darstellern Raum fürs Spontane. Sie sind aufs Publikum gerichtet. Sie sehen einfach aus und sind komplex, sie stellen auf mehreren Ebenen Dualitäten her und dar. Mal sind die Pole weit auseinander, mal liegen sie nah am Äquator. Dialog ist das Prinzip. Das Regie-Duo Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen nehmen sich nicht fertige Texte, sondern Themen vor, im Austausch mit den Darstellern. Sie inszenieren die Kommunikation als Inhalt: die Arbeit daran, den Spaß, das Präsentieren der Gesprächsteilnehmer, agieren und reagieren, das Spiel mit Wahrheit und Lüge. Das macht ihre Stücke so zeitgemäß, so intelligent, ohne dass sie sich dabei intellektuell verschrauben. Unterhaltsam! »Es sind Shows«, sagt Monika Gintersdorfer.
Auch das ist Dialog: Gintersdorfer/Klaßen. Er, Jahrgang 1967, ist in dem Theatergesummse der stillere Part. Rahmung von Kunst, Alltag, unterschiedliche Medien künstlerischer Arbeit, die über keine hergebrachten Regeln mehr verfügen, sind seine Themen. In der Galerie Thomas Flor in Düsseldorf zeigt Klaßen bis zum 31. Oktober Fotos einer Performance in Berlin: Gräser und Gestrüpp, der Körper einer Schauspielerin, die mit einem rot bedruckten Papierbogen hantiert. Nichts dominiert, nichts scheint komplett. Den Kellerraum der Galerie bekleidet ein Raster aus selbst gedruckten schwarzweißen Plakaten: Typografie und Foto. Man blickt auf sie und in sie hinein. »Er sitzt zwischen allen Stühlen«, sagt Galerist Flor über Klaßen, der Gruppenarbeit bevorzugt und sich nicht endgültig festlegen lässt.
Einige Plakate zeigen Tänzer in Stücken des Regie-Duos. Ähnliche Plakate hängen wiederum in der Inszenierung »Très très fort«. Diese stellt mäandernd die Frage, wer Schuld ist an der politischen Krise in der Elfenbeinküste – und sie handelt vom Sprechen über die Krise. Drei ivorische Darsteller geben Fakten, Meinungen, Gerüchte kund, spielen mal gebückt den alten Präsidenten-Professor oder mit hoher Stimme die Frau eines Potentaten. Sie erklären sich selbst zum »Jetset«, sind eine vergnügungsgeile Bewegung, die mit der Krise 2002 entstand und einen eigenen Präsidenten hatte. »Der tat nicht nur so, sondern war Präsident, auch wenn er schlief«, betont Franck Edmond Yao. Behauptungen darüber, wie sehr jemand identisch mit seinem Körper und Namen ist, kehren oft wieder in den Inszenierungen, die Gintersdorfer/Klaßen seit 2005 mit ivorischen Tänzern, Musikern, Schauspielern erarbeiten.
Deutsche Schauspieler treten hinzu. Sie dolmetschen aus dem Französischen, nehmen gestisch-tänzerische Bewegungen auf, stellen Fragen und vertreten eigene Standpunkte. So bekommt das Frontale zum Publikum hin einen Knick, das Über-Setzen wird wie eine Wegstrecke erfahrbar. Zugleich reduziert es den Abstand, den ein weißer Europäer zu den afrikanischen Darstellern empfindet, da eine Art Stellvertreter »unserer« Seite mit auf der Bühne steht.
Ein Panorama der gesamtafrikanischen oder gesamtivorischen Angelegenheiten wollen die Stücke nicht bieten. Sie werden gespeist von persönlichen Erfahrungen, ohne privat zu sein. Ihre Klassiker-Versionen machten Gintersdorfer/Klaßen auch aus Marktkalkül. Sie tragen Titel wie »Othello – c’est qui«, »Macbeth – très très fort« oder »7% Hamlet«.
Ob das Amüsement nicht doch auch auf Kosten der Darsteller, weiße wie schwarze, geht, fragt man sich mitunter. Doch das politisch Unkorrekte ist der Theatermacherin recht. Redet offen! Saftig werden Klischees aufgetischt. Da werfen etwa die Deutsche und der Afrikaner dem jeweils anderen Volk Sexbesessenheit vor. Immer so betont mit ruckelndem Becken zu tanzen! »Das hat nichts mit Sex zu tun, aber bei Euch tatschen sich Mann und Frau in der Öffentlichkeit an.« So disputieren Franck Edmond Yao und Cornelia Dörr in »Othello«, was in einer Eifersuchtsszene gipfelt: Der Mann will der Frau gewaltsam den Dämon austreiben, der sie untreu macht. »Das bist nicht Du!«
Auf ähnlich motivisch lose Weise bezieht sich »Macbeth – très très fort« auf Shakespeare. Ein assoziativer Macbeth entzündete auch die Theaterbegeisterung bei Monika Gintersdorfer, Jahrgang 1967, die in Essen aufwuchs, wo die Mutter mit den Kindern ins Theater ging. In Bochum sahen sie »Er nimmt sie an der Hand und führt sie in sein Schloss, die anderen folgen« von Pina Bausch. Das war 1978. Pfützen auf der Bühne, der Schrank, rein, raus, viel Bewegung, die Sache mit den Männern und Frauen, erinnert sich Monika Gintersdorfer im Gespräch: »Das funktionierte! Eine zweite Welt außerhalb normaler Kommunikation.« Das Publikum grauste sich, und sie ging weiterhin oft, auch allein, ins Theater.
Der Mut für den Bühnenberuf fehlt ihr zunächst. Sie studiert in Mexiko, dann in Köln Theaterwissenschaft, macht Regieassistenzen, absolviert dann noch ein Regiestudium. Gintersdorfer inszeniert sofort an großen Häusern, lässt die Schauspieler mitarbeiten an der Inszenierung; sie vertrauen einander. Sie macht Stücke ohne Rollenzuweisungen, findet selber Struktur und Rhythmus. Als sie beginnt, mit ihr fremden Ensembles zu arbeiten, Spielpläne Druck machen und sie in Salzburg Regie geführt hat, steigt sie aus und macht aktionistische Kunst in Hamburg. Brunnen graben und Zimmerwände durchlöchern mit bloßen Händen. Immer wieder: Körper.
Monika Gintersdorfer heiratet 2002 in Abidjan, das sie sogleich verlassen muss, lernt mehr Ivorer kennen, auch den achtköpfigen Afrika-Paris-»Jetset«, der in den Pariser Banlieues gerade den »Couper Decaler« begründet, einen Kleidung, Gesten und Tanz umfassenden (Lebens-)Stil, der vor allem eines will: Luxus behaupten. Die Angeberei fasziniert die Theaterfrau. »Wenn mich etwas interessiert, gehe ich rein«, statt secondhand zu recherchieren.
Ganz Beatles-mäßig begann die heutige Erfolgsgeschichte in einem Hamburger Club. Gintersdorfer filmt dort eine gastierende Show, lernt so den Tänzer und Schauspieler Franck Edmond Yao alias Gadoukou la star aus dem Umkreis des »Jetset« kennen. Sie machen schnell geprobte Stücke, experimentieren. Denn seit 2005 hat sie eine Carte blanche, ausgestellt von René Pollesch und Aenne Quiñones, die für den Prater der Volksbühne in Berlin zuständig sind: »Mach, was du willst!« Um auch die tänzerische Qualität ihrer Performer zur Geltung zu bringen, entwickeln Gintersdorfer/Klaßen 2008 die fünfteilige »Logobi«-Reihe, koproduziert von Häusern der Freien Szene wie dem FFT in Düsseldorf.
Reden durch Bewegung und beim Bewegen, die Sprachlichkeit des Körpers, Wiederholungen, Pausen, Gebrüll, Rufgesang. Dabei schrappen Ansichten aneinander über die Sinnhaftigkeit, Deutbarkeit und das Herstellen von Tanzbewegungen, über Traditionen, Entwicklungen, über Können und Aussehen. Das Publikum lacht. Es staunt, vor allem über die ivorischen Tänzer, ihre Schnelligkeit, Präzision, den Einfallsreichtum ihrer Kreationen, über ihre Bühnendominanz und die Sache mit dem Glauben.
Ein Mensch wird zum Hund. Ein Tänzer verhandelt mit einem Huhn. Einer hat den Körper einer Frau in sich. Jemand nennt sich reich und ist es damit auch. Wasser wäscht, aber Geld macht rein. Der Teufel lebt. So etwas behaupten die Ivorer. »Es ist nicht das Bild für etwas, sondern es ist die Sache selbst«, erklärt Monika Gintersdorfer. »Da ist bei uns die Grenze. Wir denken: Allegorie. Hier ist es aber als Konkretes gemeint. Nehme ich das an, ist es eine andere Realität. Weiße glauben das nicht, das macht die Kommunikation so schwer.«
Um Teufelspakte geht es auch in »Eleganz ist kein Verbrechen«, das Gintersdorfer/Klaßen am 24. September am Bochumer Schauspielhaus herausgebracht haben. Geld, Showbiz und eine ausgefeiltere Verbindung von Sprechen, Singen, Beat und Bewegung kündigt Monika Gintersdorfer an. Ein berühmter Musikproduzent aus Abidjan ist dabei, eine mysteriöse neue Stilrichtung in den dortigen Clubs spielt eine Rolle, die dünnen freudlosen »Brouteurs«, wie die Polizei die jungen Ivorer nennt, über deren Reichtum furchtbare Gerüchte kursieren. »Erleide meine Inspiration« solle weniger das bewährte Hin und Her der Dialoge und Monologe bieten, nicht mehr Phänomene erklären und Dinge demonstrieren, sagt Monika Gintersdorfer. Religion, Showbiz und Politik verbindend, wolle es »appellativer, stärker assoziativ sein, eine Reise durch Zustände«, wilder, offener. Mehr als 100 Auftritte absolvieren ihre Performer dieses Jahr. Monika Gintersdorfer bewundert ihren unbedingten Auftrittswillen, ihre Nerven und sagt: »Wir wollen noch viel mehr!« Geld. »Wir sind Glamour«.
»Erleide meine Inspiration«, 29.9., 1.10. und 2.10.2010 im FFT Juta, Düsseldorf. Begleitend ist am 1.10. um 18:00 Uhr eine Performance in der Galerie Thomas Flor zu sehen, um 23:00 Uhr dann Party mit DJ Abidjaninski im Salon des Amateurs. www.forum-freies-theater.de
Gintersdorfer/Klaßen wurde auch zum Theaterzwang-Festival »Favoriten« nach Dortmund eingeladen und gastiert dort mit der Produktion »Logobi 05« am 29. Oktober 2010; www.favoriten2010.de
»Eleganz ist kein Verbrechen«, 3.10, 12.10., 16.10. und 31.10.2010 im »Theater unten«, Schauspielhaus Bochum. www.boropa.de