INTERVIEW: MARTIN KUHNA
In weiten Teilen der Medienbranche gilt als sicher, dass dem typischen Leser nichts so schwer falle wie das Lesen, und dass der Hörer am Radio einfach nicht zuhören könne, nicht länger jedenfalls als drei Minuten. Viele Zeitungen muten ihren angeblich dyslektischen Käufern keine ausführlichen Geschichten mehr zu. Und öffentlich-rechtliche Sendeanstalten durchforsten immer wieder ihre Programme, ob sie ihren Kunden wohl mit irgendwas zu lange in den Ohren liegen. So ist schon mancher ARD-»Kultursender« zum Klassik-Dudelfunk degeneriert. Deshalb sind Redakteure im Kölner Funkhaus alarmiert, seit Gerüchte über eine »hörerfreundliche« Reform bei WDR 3 sich zu Nachrichten verdichteten. Droht auch dort künftig die Ausgabe Journalismushäppchen an Klassik-Hitsauce? K.WEST sprach mit »Wellenchef« Karl Karst über die Pläne.
K.WEST: Herr Professor Karst, von Hörerschwund bei WDR 3 ist die Rede, von Wortsendungen, die deshalb wegfallen sollen. Von stündlichen Nachrichten, die das Musikprogramm in Happen teilen würden. Redakteure befürchten Qualitätsschwund – hinter vorgehaltener Hand. Da macht man sich als WDR 3-Hörer Sorgen.
KARST: Vorweg: Die Vorschläge zur Programmreform sind erarbeitet, aber noch nicht beschlossen. Erst wenn Hörfunkdirektion, Intendantin und der Programmausschuss des Rundfunkrates das Konzept befürworten, beschließt der Rundfunkrat – frühestens im Februar. Deshalb gilt für alles, was ich sage, die Formel: »Wir planen«. Nicht: »Wir machen«.
K.WEST: Warum überhaupt sehen Sie sich veranlasst zu planen – und in welche Richtung?
KARST: Auch ein Kulturprogramm muss sich gesellschaftlichen Veränderungen stellen. Nicht, weil früher etwas falsch war. Die Bedingungen für unsere Arbeit haben sich geändert. Wir wollen mit unseren Qualitätsangeboten in die Ohren der kulturinteressierten Hörer kommen, also müssen wir uns bewegen. Damit sind wir bei den Zahlen: WDR 3 ist im ARD-Vergleich immer noch gut positioniert; am Vormittag sogar im Spitzenbereich. Aber wir wissen seit einiger Zeit, dass am Nachmittag die Hörerzahlen nicht gehalten werden. Den Grund sieht die von uns befragte ARD/ZDF-Medienakademie darin, dass Anmutung und Qualität des Programms am Nachmittag zu stark schwanken. Hörer bekommen oftmals nicht das, was sie beim Einschalten von WDR 3 vor 18 Uhr erwarten. Statt auf klassische Musik und Kulturinformationen treffen sie auf Wortblöcke oder stark autorenbezogene, für diese Tageszeit zu spezielle Themen und Musiken. Der Vorsatz, an dieser Stelle die Qualität von WDR 3 stabiler zu halten, kommt für die Redaktionen nicht überraschend. Wir diskutieren darüber seit langem.
Das zweite Reformziel ist, den Jazz zu WDR 3 zurückzuholen. Dafür habe ich mich stark eingesetzt. Wir hatten ihn 2004 zu WDR 5 gegeben, um die neue »Resonanzenstrecke« am Nachmittag bauen zu können. Das war für die Profilierung der beiden Programme nicht die richtige Entscheidung. Jazz soll künftig neben den »Resonanzen« montags bis samstags jeden Abend ab 22 Uhr in WDR 3 einen festen Platz haben – und mindestens einmal im Monat gibt es zukünftig eine lange Jazznacht. Im Übrigen fällt die geplante Reform nicht vom Himmel. Sie setzt – abgesehen vom Jazz – fort, was wir 2001 und 2004 begonnen haben und bezieht sich vornehmlich auf die bislang nicht »renovierte« Nachmittagsstrecke.
K.WEST: Die Zahlen sind mit 240.000 täglichen Hörern klein gegen WDR 2 oder WDR 4, aber gar nicht schlecht im Vergleich zu anderen ARD-Kulturwellen. Obendrein bezweifeln Statistiker die Aussagekraft der Medienanalysen bei so kleinen Zahlen: Es könnten in Wahrheit 400.000 sein oder 20.000. Ein »Minderheitenprogramm« ist WDR 3 ohnehin, Konkurrenz haben Sie nicht – warum also messen Sie den Zahlen so viel Bedeutung bei?
KARST: Sie haben recht. Die Zahlen sind nicht schlecht, aber sie könnten noch besser sein, vor allem am Nachmittag. Sicher: Wir müssen vorsichtig mit den Messdaten sein, denn die Einheiten sind bei Minderheitenprogrammen sehr klein. Aber diese Zahlen sind die gültige Hörfunk-Währung. Und wenn wir bei ihnen über einen längeren Zeitraum negative Tendenzen sehen, wie am Nachmittag, dann ist das ein Signal, das wir nicht ignorieren dürfen. Wer einfach nur zusieht, kann urplötzlich zu ganz anderen, sehr eiligen und rabiaten Veränderungen genötigt sein. Wir reagieren lieber »pro aktiv«, wie man heute sagt, und vor allem mit Bedacht. So haben wir auch jetzt einige Monate lang auf allen Ebenen des Programms beraten, bevor wir einen Vorschlag vorgelegt haben.
K.WEST: Zurück zu den Inhalten. Längere Wortstrecken, wenn wir recht verstehen, soll es am Tag nicht mehr geben – wohl aber stündliche Nachrichten, was sehr ermüdend sein kann. Außerdem begrenzen die das Musikrepertoire auf Stücke unter 50 Minuten. Und weil eine typische Sinfonie dann immer kurz nach den Nachrichten beginnen und rechtzeitig wieder enden muss, wird doch der Programmablauf sehr schematisch, oder?
KARST: Die Analyse der ARD/ZDF-Medienakademie hat uns zu stündlichen Nachrichten geraten. Der kulturinteressierte Hörer von WDR 3 will sich regelmäßig darüber informieren können, was in der Welt los ist. Wohlgemerkt: am Tag. Nach 20 Uhr wird es weiter das WDR 3-Konzert geben, ohne Unterbrechung und zukünftig mit mehr Live-Anteil als bisher. Wir blenden nicht aus, wir spielen weiterhin das ganze Werk – auch am Tag. Da gab es übrigens auch bislang kein Musikstück über 40 Minuten Länge. Richtig ist, dass die Einplanung längerer Musikstücke innerhalb der Stundenblöcke eine größere Herausforderung für unsere Musikplaner darstellt.
K.WEST: »Themen des Tages«, »TagesZeichen« – dergleichen soll es am Tag nicht mehr geben. Da befürchten manche Redakteure den Abschied vom kulturellen Anspruch, die Wandlung zur bloßen Musikabspielstation.
KARST: Wir werden kein »Klassik-Radio« werden. So ein Chart-Radio, das eher zufällig klassische Musik spielt, aber ebenso gut andere Gassenhauer dudeln könnte, hat mit unserem Verständnis von Kulturradio nichts zu tun. Der WDR wird auch weiterhin mit Eigenproduktionen seiner Rolle als größter Musikproduzent des Kontinents gerecht werden. Und wir werden auch in unseren Kulturmagazinen »Mosaik« und »Resonanzen« keine Rotation mit 300 Dauerbrenner-Stücke fahren, die Sie immer wieder hören müssen, sondern wählen weiterhin aus einem großen Repertoire, das sich ständig erweitert und derzeit allein für die Morgenstrecke »Mosaik« 7000 Titel umfasst. Wir wollen WDR 3 als musikgeprägtes Kulturradio und WDR 5 als Wortprogramm allerdings deutlicher unterscheidbar halten. Dazu werden wir im WDR 3 Tagesprogramm – abgesehen vom »ZeitZeichen« – auf die bisherigen 15-Minuten-Blöcke verzichten und die Inhalte möglichst in die Sendestrecke verteilen. Manche Elemente werden zu WDR 5 gehen, dort denken die Kollegen z.B. an ein neues »politisches Feuilleton«.
K.WEST: Die »Musikpassagen« variieren ein Thema über zwei Stunden und werden von den Autoren präsentiert. Das soll es nicht mehr geben, stattdessen ist von »professioneller Moderation« die Rede. Das klingt nach Magazin-Geplauder. Oder wird der Nachmittag künftig so sein wie »WDR am Mittag«, wo Musik brav mit Ansagen aneinander gereiht wird?
KARST: Die bisherige Präsentation durch Autoren konnte am Nachmittag nicht immer den Qualitätsstandard halten, der von WDR 3 erwartet wird. Unser Ziel ist eine durch Kulturradio-affine Persönlichkeiten geprägte fachkundige, aber zugleich hörerzugewandte Moderation – die dem jeweiligen Sendeplatzprofil entspricht, jeweils mit einer Mischung aus Musik- und Wortbeiträgen. Eine belanglose Larifari-Moderation kommt für WDR 3 nicht in Frage. Wir denken an die besten Moderatoren, die wir haben – und sind durchaus auch auf der Suche nach neuen Stimmen. Insgesamt wird es mehr Kultur- und NRW-Bezug im Tagesprogramm von WDR 3 geben. Kulturnachrichten spielen eine Rolle, und anders als bisher werden wir auch wichtige zentrale Nachrichten, sogenannte »breaking news«, flexibel einbauen können. Das war bislang außerhalb der moderierten Kulturmagazine »Mosaik« und »Resonanzen« kaum möglich und nicht passend.
K.WEST: Längere Wortstrecken sollen aber auch am Abend wegfallen: die wochentäglich verschiedenen Varianten von »WDR 3 Wort«.
KARST: An dieser Stelle ist künftig der Jazz vorgesehen. Ein Teil der bisherigen 22-Uhr-Sendungen wird sich am Wochenende in einer deutlich besseren Hörumgebung wiederfinden. Für den Samstag planen wir in der Zeit von 14 bis 18 Uhr eine vierstündige große Sendestrecke mit den besten Features, Hörspielen, Literaturbeiträgen und Kulturgesprächen – Arbeitstitel: »WDR 3 Art«.
K.WEST: Damit ist aber das viel gelobte, neue »WDR 3.pm« an der gleichen Stelle gestorben.
KARST: »WDR 3.pm« wurde 2001 als dreistündige Experimentalstrecke im neuen WDR 3-Programm eingeführt, gleichzeitig mit der Spätabendstrecke »WDR 3.open«, und war eine deutliche Einladung, nach neuen Formen zu suchen: »Drei Stunden Musik und Wort – macht etwas daraus!« Die ursprünglich sehr assoziativ arbeitende Sendung hat sich mehrfach dramaturgisch gewandelt – und heute finden sich Ableger und Pendants an vielen Stellen des Programms.
K.WEST: Was gibt es künftig für die Freunde der »Musikpassagen«?
KARST: »Musikpassagen« gibt es künftig samstags von 12 bis 14 Uhr. Am Sonntagabend ist für 18 bis 20 Uhr die Sendung »Musikkulturen« geplant. Schließlich wird es weiterhin täglich um 23 Uhr unsere Experimentalstrecke »WDR 3.open« geben, mit der »Soundworld« am Dienstag und den Studios für Elektronik, Akustische Kunst und Neue Musik.
K.WEST: Im Zusammenhang mit den Reformplänen war auch von der überalterten Hörerschaft die Rede – heutzutage ein schwerer Vorwurf. Begeben auch Sie sich jetzt auf die Jagd nach dem jungen Hörer? Und muss man künftig mit Soundbits und Jingles rechnen?
KARST: Wenn wir von jüngeren Hörern sprechen, dann sind die 35- bis 55-Jährigen gemeint, die »modernen Kulturorientierten«, wie sie die Medienforschung nennt. Das ist unsere Zielgruppe! Nach Youngstern werden wir auch künftig nicht angeln. Und es wird auch keine Dauer-Klingelei und keine säuselnde Moderation geben. WDR 3 wird sich treu bleiben und wie bisher einen spezifischen, eigenen Weg gehen. Aber vor allem: WDR 3 wird immer den höchsten Anspruch an die Qualität der Präsentation, seiner Beiträge und seiner Musik stellen. Es geht nicht um eine Reduzierung des Anspruchs oder der Qualität. Ganz im Gegenteil!