INTERVIEW: ULRICH DEUTER
Das Markenzeichen von Christoph, wie er in der »Sendung mit der Maus«, aber auch im Sender selbst genannt wird, ist der ewig froschgrüne Pullover sowie die freundlich-verschlafene Neugierde, mit der er sich allen Fragen des Lebens stellt. Natürlich kommt Herr Biemann nicht in Grün zum Interview und ist auch keineswegs so wortlos unwissend, wie er sich in seinen »Sachgeschichten« gibt. Im Gegenteil, meint sein Sohn Lukas, 13, und streichelt Christoph, wie auch er ihn nennt, flüchtig-liebevoll am Arm, er sei eigentlich ganz schön schlau.
K.WEST: In den 40 Jahren, die es die Sendung mit der Maus gibt, hat sich bei den Medien und in deren Nutzung enorm viel verändert. Alles ist schneller, kürzer, greller geworden. Wieso blieb die »Maus« sich so gleich?
BIEMANN: Die Sendung mit der Maus ist auch schneller und bunter geworden. Aber sicher nicht so extrem wie andere Sendungen. Wir haben sehr konservative Zuschauer: Kleine Kinder wollen immer dasselbe sehen, immer das finden, was sie erwarten. Also waren die Veränderungen in der »Maus« immer sehr graduell. In den ersten Jahren sprach man vom wahnsinnig flippigen, videoclipmäßigen Stil der »Maus«. Heute spricht man von ihrem wohltuenden Adagio. (Lacht.)
K.WEST: Wenn man die frühen Stücke sieht, die momentan ja als »Maus-Klassiker« wiederholt werden, sind die Farben blasser und die Gesichter der Protagonisten jünger. Aber sonst ist alles vertraut.
BIEMANN: Bei der »Maus« kommt es eben mehr auf die Inhalte an. Und die erfordern ein bestimmtes Erzähltempo. Die »Maus« soll richtiges Essen sein und kein Kaugummi fürs Auge.
K.WEST: Die ganze Sendung strahlt etwas Lakonisches, fast Stoisches aus: Die Maus selbst spricht nicht, die Erklärungen von Armin Maiwald in den sogenannten Sachgeschichten sind parataktisch knapp, das ist schon stilbildend geworden. Der Christoph, dem Sie Gesicht und Stimme geben, zeigt sein Unwissen gern durch Mimik und Gestik. Ist das Kalkül?
BIEMANN: Kalkül? Nein. Wir sind halt die, die wir sind.Wir sind ehrlich, wir sind auch unwissend, wir stehen dazu. Und das strahlt dann vielleicht eine gewisse Ruhe aus oder Gelassenheit.
K.WEST: Ihr seid einfach so?
BIEMANN: Ja, ja, wir verstellen uns da nicht. Wenn man nicht weiter weiß, heißt es eben: »Mal ’n Profi fragen«. Warum nicht. (Lacht.)
K.WEST: Inwieweit ist die Sendung mit der Maus überhaupt Ergebnis eines Konzepts – gar unter Mithilfe von Kinderpsychologen?
BIEMANN: Bei der »Sesamstraße« gab es ein Riesenpanel von Professoren. Genau das wollte die »Maus« nicht. Das Ganze ist sehr aus dem Bauch, aus dem damaligen Zeitgeist heraus entstanden, die ersten Maus-Geschichten waren sehr stark aufklärerisch. Wir wollten auch absolut nicht niedlich sein. Das zeigt schon der Titel: einfach »Die Sendung mit der Maus«. Punkt. Und die ersten Sachgeschichten, bei denen kam alle drei Minuten mal ein Wort wie »Stanzen!« Dann drei Minuten später: »Entgraten!« Und dann noch später: »Schleifen!« Das war der ganze Text! (Lacht.) Sehr, sehr harsch. Und es gab auch Filme wie »Was alles aus einer Kuh gemacht wird«. Der fing damit an, wie das Bolzenschussgerät angesetzt wird und die Kuh die Beine streckt. Das würde man heute auch nicht mehr machen! Die Philosophie der Maus war stark journalistisch geprägt: die Wahrheit für Kinder. Das Fenster aufmachen zu Dingen, die Kinder sonst nicht zu sehen kriegen, die Fabrik oder den Schlachthof. Das war die Philosophie. Und das ist sie im Grunde heute noch. Die Sachgeschichten waren das, was die »Maus« ausgemacht hat, sozusagen ihr Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Kinderfernsehsendungen.
K.WEST: Sie haben viel Einfluss auf Kinder. Welche Art von Kindern sollten nach Ihrer Vorstellung am Ende dabei herauskommen?
BIEMANN: Das mit dem Einfluss sehe ich überhaupt nicht so. Immer wieder kommen junge Erwachsene auf mich zu und sagen: Ich bin mit Ihnen groß geworden. Dann gucke ich ein bisschen in die Höhe und sehe: wirklich groß geworden! Aber ob die nun klüger geworden sind durch die »Maus«, wage ich stark zu bezweifeln.
K.WEST: Das ist jetzt aber nur Bescheidenheit!
BIEMANN: Nein, nein. Was die »Maus«, was die Sachgeschichten darin vielleicht vermittelt haben ist die Einsicht, dass Neugierde sich lohnt. Aber wir haben nicht Generationen geprägt, das glaube ich absolut nicht. Was meinst du?
LUKAS: Also ich habe viele Dinge nur durch die Sendung mit der Maus verstanden.
BIEMANN: Aber wenn du die jetzt nicht verstanden hättest?
LUKAS: Dann hätte ich sie wohl später verstanden.
BIEMANN: Keine Persönlichkeitsveränderung also durch die »Maus«!
K.WEST: In vielen der Sachgeschichten zeigt sich eine bestimmte Haltung gegenüber der Kompliziertheit der Welt, eine Art Schweijk’scher Vereinfachungswunsch, ein listiger Widerstand gegen zu viel Komplexität, die ja auch verschrecken kann, unmündig machen kann. Diese Haltung, die ist doch aufklärerisch …
BIEMANN: Ja, ja, ganz sicher. Natürlich, es gibt viele Bereiche in der Politik, der Wirtschaft und so, wenn man an die mit Maus-Augen heranginge, dann würden die sich klarer darstellen. Für uns ist es wichtig zu vermitteln: Alles kann man verstehen. Allerdings zeigen Untersuchungen, dass, wenn man nachfragt, es doch nicht wirklich verstanden wurde. Immerhin, das Gefühl, es verstanden zu haben, war da. Dieses gute Gefühl wollen wir erzeugen.
K.WEST: »Warum ist der Himmel blau« ist eine typische Kinderfrage. Aber weniger: »Wie wird Laminat gemacht«? Wie entstehen die Ideen zu den Sachgeschichten?
BIEMANN: Aus der vielen Post wissen wir ungefähr, was die Fragen der Kinder sind. Das Schwerste ist dann, aus der Erklärung einer Funktion oder eines Sachverhalts eine richtig klassische Geschichte zu machen. Bei der »Maus« ist es ja wichtig, dass man einen Anfang hat, eine Mitte, ein Ende. Daran arbeiten wir heftig. Das kann ein Jahr dauern oder länger. Wobei die klassischen Fabrikgeschichten immer weniger werden. Letztes Jahr haben wir nur drei gemacht: Spielkarte, Zauberwolle und Nussnougatcreme. Das war weniger als ein Viertel der gesamten Produktion.
K.WEST: Wie erklären Sie sich das?
BIEMANN: Es wird einfach mehr danach gefragt, wie was funktioniert, wie welche Phänomene zu erklären sind. Vor 40 Jahren war der Produktionssektor – Fabriken, Arbeiter – viel mehr im Bewusstsein. Heute sind es mehr die Dienstleistungen. Und das spiegelt sich auch in der Sendung wider.
K.WEST: Verglichen mit einer ähnlich berühmten Kindersendung, der »Sesamstraße«, ist in der Maus das Anarchische und Lustvoll-Schmutzige, das Kinder ja eigen ist, relativ unterentwickelt. Warum ist das so?
BIEMANN: Wir sind eigentlich gern frech. Auf der andern Seite stehen wir unter starker Beobachtung der Eltern, die die Sendung mitgucken. Die beklagen sich dann: Wir bringen unseren Kindern bei, nicht in der Nase zu bohren. Und dann kommt da einer, der bohrt in der Nase und singt auch noch ein Lied darüber, wie toll das ist. (Lacht.) Dann kriegen wir natürlich Ärger. Ich denke, Kinder sind so anarchisch und chaotisch, wie sie eben sind. Die muss man nicht dazu ermuntern.
K.WEST: Was noch fehlt, ist eine Frau im Team …
BIEMANN: Da haben Sie völlig recht. Armin Maiwald und ich sind halt Macher für die »Maus« und wir sind irgendwann vor die Kamera geraten, nachdem wir lange dahinter waren. Das macht eine gewisse Authentizität aus. Ralph Caspers ist auch so reingewachsen. Man kann jetzt nicht sagen, Ralph raus und Frau rein. Wir sehen auch, dass eine Frau eigentlich dabei sein müsste. Aber das künstlich herbeizuführen, fände ich auch nicht richtig.
K.WEST: Wo liegen denn die Grenzen, was kommt nicht vor?
BIEMANN: Wir geben keine Handlungsvorschläge. Wir sagen zum Beispiel nicht, putzt euch die Zähne. Wir würden eher sagen, esst ordentlich Zucker, dann freut sich der Zahnarzt, weil er dann bohren kann. Ich habe vor vielen Jahren die Atom-Maus gemacht, in Sachen Atom existiert ja ein starkes Für und Wider. Da haben wir gesagt, es gibt Leute, die finden das zu gefährlich, und es gibt Leute, die finden es nicht zu gefährlich. Das haben wir dann so stehenlassen. Schließlich ist ein möglicher Zuschauer das Kind eines Menschen, der in einem Atomkraftwerk arbeitet. Auch dieses Kind muss mit so einer Sendung leben können. Da liegt für mich die Grenze.
K.WEST: Und thematische Grenzen? Neulich gab es einen Zeichentrickfilm nach dem Bilderbuch von Wolf Erlbruch: »Ente, Tod und Tulpe«. Also über das Sterben.
BIEMANN: Die Zuschauerreaktionen waren ganz, ganz gespalten, zum Teil haben sie gesagt: Unser Kind darf jetzt die Maus nicht mehr gucken, es schläft schlecht … Es kamen auch viele Zuschriften, die fragten, wo man »Ente, Tod und Tulpe« bekommen kann, weil sie das als Diskussionsgrundlage haben wollten.
K.WEST: Aber alle Kinder denken über den Tod nach! Ziehen Sie Konsequenzen aus solchen Reaktionen?
BIEMANN: Nein. Den Spagat, es allen recht zu machen, kann man nicht leisten. Das würde der Sendung so viele Ecken abschleifen, dass sie gar kein Profil mehr hätte. Eine andere Grenze haben wir neulich gespürt, bei einem ganz schlichten Thema: Wie kriegt man eine Erkältung. Die Ursache sind natürlich die Viren. Und die werden durch Menschen übertragen. Also wenn man das umsetzt, würde die Botschaft lauten: Halte dich von Menschen fern. Umarme keinen, geh nicht ins Fußballstadion. Und das wollten wir nicht. Aufklärung hin oder her: So lange uns keine bessere Lösung einfällt, machen wir es nicht.
K.WEST: Sitzt für solche Fragen ein Kinderpsychologe in der Redaktion?
BIEMANN: Nein, nein, auch kein Priester. (Lacht.)
K.WEST: Sie werden dieses Jahr 59, Armin Maiwald ist 71. Gibt es das Szenario, irgendwann aufzuhören?
BIEMANN: In der Redaktion arbeitet mittlerweile die sechste, siebte Generation. Aber was die Filme angeht, es wäre schon schwierig, wenn wir aufhörten. Maiwald hat einen Regisseur, der viele Filme für ihn macht und das wohl auch weitermachen könnte. Das ist sicher ein Problem, mit dem sich die Redaktion mal auseinandersetzen muss. Was mich betrifft, ich kann und will das hier so lange machen, wie ich eben will. Und das wird sicher noch sehr lange sein.
K.WEST: Haben Sie Angst, dass wenn Sie oder Maiwald irgendwann mal dennoch aufhören, dies eine Gelegenheit ist, die »Maus« als hochgradig veraltet abzuschaffen?
BIEMANN: Glaube ich nicht. Einmal sind halt viele Generationen mit der »Maus« groß geworden und wollen, dass ihre Kinder die »Maus« auch sehen. Das andere ist, dass die Maus als Marke stark mit dem WDR verbunden ist – die Maus ist doch das WDR-Wappentier. Ich sage immer: Die Maus wird es so lange geben, wie es die ARD gibt.
Die »Sendung mit der Maus« startete am 7. März 1971. Entwickelt wurde sie von Dieter Saldecki, Gert Kaspar Müntefering und Armin Maiwald. Maiwald, Christoph Biemann sowie Ralph Caspers treten regelmäßig darin auf. Die Figur der Maus wurde von Isolde Schmitt-Menzel erfunden. Die Sendung läuft jeden Sonntag Vormittag im Ersten sowie in fast 100 Ländern; bei den Drei- bis 13-Jährigen erreicht sie einen durchschnittlichen Marktanteil von über 30 Prozent. Das Durchschnittsalter der Zuschauer liegt bei 40 Jahren. Die Maus bekam u.a. den Bambi, den Adolf-Grimme- sowie den Deutschen Fernsehpreis.