Text Stefanie Stadel
Über vier Jahrzehnte kaufte sie Kunst und stellte ihre Wohnung in Mönchengladbach damit zu. Jetzt hat Hiltrud Neumann aufgehört zu sammeln und alles an das Museum in Goch verschenkt. Um die 3000 mehr oder weniger gewichtige Werke. Was für ein Mensch steckt hinter der Sammelwut? Warum hat Neumann das alles eingekauft? Und was will Goch damit anfangen? Mit solchen Fragen hat k.west sich aufgemacht an den Niederrhein.
Man hat sich offenbar daran gewöhnt. Inzwischen gibt es kaum mehr Ärger im gepflegten Hochhaus. Keine Proteste gegen jene große gelbe Banane an Hiltrud Neumanns Wohnungstür. Auch der von Kopf bis Fuß mit Watte bewachsene Zweimeter-Mann im Treppenhaus bleibt weitgehend unbehelligt – sieht man ab von einzelnen Übergriffen reinlicher Nachbarn, die das flauschige Kunstwerk gelegentlich zu entstauben suchen.
So friedlich war es nicht immer, doch haben die Attacken der Hausgenossen Neumann offenbar nicht sonderlich zugesetzt. Immerhin fühlt sie sich schon seit über 40 Jahren wohl in der eher biederen Wohnumgebung in Mönchengladbach Hardt. Wenn die ältere Dame mit dem herzlichen Lächeln zurückdenkt an die Beschwerden, wirkt sie weniger verdrossen als belustigt. Zum Beispiel über die Klage aus dem Haus gegenüber. Da muss tatsächlich jemand mit dem Fernglas am Fenster gesessen haben, um in der schrillen Bemalung ihres Balkons pornografische Details zu entdecken. Wenn die Leute erst wüssten, was drinnen los ist. Dass Neumann seit den 1970ern Tausende von Kunstwerken angehäuft hat, mag bekannt sein. Aber wie sie es fertigbringt, alles in zwei nicht allzu großen Eigentumswohnungen und den dazugehörigen Kellern unterzubringen, muss man gesehen haben. Sie freut sich über Besuch, das merkt man.
Allerdings ist ihre Bitte, doch einzutreten, nicht leicht zu erfüllen, angesichts der vom Boden bis unter die Decke zugestellten und vollgehängten Diele. Bei jedem Schritt fürchtet man anzuecken. Neumann nähme einem das wahrscheinlich nicht übel. Kunst und Leben waren in ihrer Wohnung immer unzertrennlich – und sind es bis heute. Auch wenn es hinter der angefeindeten Bananentür etwas ruhiger zugeht als noch in den 1980er und -90er Jahren, als die Sammlerin jeden ersten Freitag im Monat in ihr »Offenes Wohnzimmer« bat.
Künstler, Sammler, Interessierte drängten sich dann oft bis tief in die Nacht. Man plauderte, debattierte, wobei sich manch ein Kunstkauf anbahnte. Manchmal habe sie sich selbst schon schlafen gelegt, während die Gäste noch das Sofa belagerten. Neumanns gute Stube war eine Institution in Mönchengladbach. Umso mehr mag es verwundern, dass die Zukunft der Sammlung nicht in Mönchengladbach liegt, sondern im fast hundert Kilometer entfernten Goch. Neumann hat ihre Schätze kürzlich an das Museum dort verschenkt – genauer gesagt an die dem Institut angegliederte Kunststiftung. In den nächsten Jahren will die sich um nötigen Lagerraum kümmern. Museumsleiter Stephan Mann wird daran gehen, das Kunst-Chaos zu sichten und zu ordnen.
Neben einigen bekannten Größen fanden viele weniger geläufige Künstler Eingang in Neumanns fast ausschließlich rheinisch besetzte Kollektion. Manch einer der Vertretenen ist heute völlig vergessen.
Auf Prominenz hat die Sammlerin es nie abgesehen. Mehr war ihr an der Entdeckung gelegen, am Austausch mit Künstlern und über Kunst. Aber keinesfalls über Zahlen. Man darf sie weder nach Daten noch nach Preisen fragen. Für so etwas hat sich die pensionierte Lehrerin nie interessiert. Vielleicht ist ihre Gleichgültigkeit gegenüber allem Numerischen ein Grund dafür, dass sie über die Miesen auf ihrem Konto stets hinwegsehen konnte und munter weiterkaufte. Keinen Schmuck, keine neuen Kleider – nur Kunst, Kunst, Kunst.
Stephan Mann rechnet mit 3500 bis 4000 Werken, die seinem kleinen Haus auf Dauer zur Verfügung stehen werden. Noch spannender wird die Sache für ihn, weil er in Neumanns Leben und Sammeln vieles wiedererkennt, was ihm selbst bei seiner Arbeit im Museum wichtig ist. 1937 in Pommern geboren, war die junge Frau lange auf Wanderschaft. Endlich angekommen, suchte sie in Mönchengladbach mit Hilfe der Kunst Freunde, Kontakt, Heimat. Wie Neumann geht es auch Mann nicht zuerst um große Namen und reinen Kunstgenuss. Ebenso wichtig nimmt auch er die Kunst als Anlass für Kommunikation. Mit Spannung sieht er den Geschichten entgegen, die es in Neumanns Kollektion zu entdecken gilt.
»Leben mit Kunst«, der Titel passt perfekt zur ersten Ausstellung, die das Museum Goch dem Neuzugang widmet. Gezeigt wird eine winzige Auswahl aus Neumanns riesigem, qualitativ recht gemischtem Fundus. Mischa Kuballs »Megazeichen« sind darunter, ebenso eine kleine Installation, von Magdalena
Jetelová eigens gemacht für die Ecke in Neumanns Garderobenschrank. Hinzu kommen etwa Wolfgang Hahns Skulptur aus Legosteinen und eine Bananenschale, die Thomas Baumgärtel am Holzkreuz vergammeln ließ. Auch von Ottmar Hörls Lichtkästchen mit der Aufschrift »Traum« trennte sich die Sammlerin, aber nur für ein paar Wochen. Dann will sie es wieder zurück haben, denn seit Jahren schon macht sie sich das Kunststück als Nachtlämpchen im Bad zu Nutze.
Ein »Leben ohne Kunst« kann sie sich nicht vorstellen. Deshalb behält sie, so ist es mit Goch vereinbart, ihren Lebtag alle ihre Lieblinge bei sich. Selbst so sperrige wie jenes Stückchen der A7, das sich in dicken Brocken durch die Wohnräume zieht und von der Putzfrau mit dem Staubsauger traktiert wird. Auch die beiden Plastiktüten voller Altglas, die einer ihrer Künstlergäste nahe der Wohnungstür platziert hatte, fallen ihr noch nicht lästig. Im Gegenteil. Sie amüsiert sich über beflissene Besucher, die den vermeintlichen Müll mitnehmen wollen, sich die bodenlosen Tüten schnappen und verdutzt gucken, wenn die Flaschen auf dem Fußboden stehen bleiben. Beinahe erleichtert wirkt Neumann in der Gewissheit, dass ihre Kunst in Goch eine neue ständige Bleibe hat.
Vielleicht liege ja in solchen Sammlungen eine große Chance für kleine Museen wie seines, so Mann. Speziell heute. Denn viele Sammler, die in den friedlichen, satten Jahrzehnten nach dem Krieg mit dem Kunstkauf begonnen hätten, seien jetzt betagt und sorgten sich um den Verbleib ihrer Schätze. Inflationär sei das. Hier könnten gerade die kleinen Häuser wie in Gogh helfen – beratend und bewahrend. Denn die wenigsten Sammlungen eigneten sich für große Institute. »Und auf den Kunstmarkt gelangt ohnehin schon genug.«
Museum Goch, »Leben mit Kunst – Die Sammlung Hiltrud Neumann«, bis 21. Februar 2015, Tel.: 02823/970818.