TEXT: INGO PETZ
Sechs Konsonanten, nur zwei Vokale – wie das klingt: kurz, hart, drauf, zackzack! Wie eine Salve aus einer Kalaschnikow, von der man sagt, sie verfehle nie ihr Ziel. »Eigentlich bin ich ja ein total lieber Typ«, sagt Wolfgang Nitschke. Zyniker sind enttäuschte Romantiker, das weiß man. Dazu passt: Nitschke liebt Frankreich und das Chanson. Und wenn man den 48-Jährigen auf der Straße trifft, es kann noch so heiter sein, hat man immer das Gefühl, die Welt sei rabenschwarz. Man unterhält sich, man lacht, und dann ist das Gespräch zu Ende, einfach so. Nitschke dreht dann plötzlich ab mit seinem Rad und fährt fort. »Oh, ich werde dir schon noch das Herz herausreißen«, glaubt man ihn rufen zu hören, wie Marlow, den Helden in Joseph Conrads »Das Herz der Finsternis«.
Hier geht es also um die Kalaschnikow Nitschke, der über den Kölner Erzbischof sagt: »der Tod ist ein Meisner aus Deutschland«. Der Jürgen Fliege den »Fliegenschiss Gottes« nennt oder Hartmut Engler von der Gruppe Pur einen »singenden Terroristen«. Und das sind nur die harmlosen Beschimpfungen. Hier geht es um den »Hannibal Lector der Buchkritik«, den »Bestsellerfresser«. Es geht um einen gnadenlosen Vernichter, der 1986 einem Atomphysiker einen Joghurt in die Unterlagen kippte, das war auf einer Veranstaltung der CDU, »die den Menschen klar machen sollte, dass Tschernobyl doch nicht so schlimm war«. Nitschke stammt aus Bocholt, aber lebt seit langem in Köln, und vielleicht ist das ein Grund, weshalb er vor nichts zurück schreckt. Angesichts von Karneval, Kirchen und Klüngel wurde er Gründungsmitglied der legendären Stunksitzung und ab 1989 Mitglied im mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichneten Trio 3Gestirn. Nitschke entstammt der Generation, die in den Alternativ- und Aktionsgruppen der Achtziger das Gefühl des Widerstands kultivierte, um in der Zeit der ständigen Atombedrohung und Weltuntergangsvisionen vor allem eines zu tun: dagegen zu sein und zwar aktiv und irgendwie links. Nitschke studierte Sozialpädagogik, war auf Demos, sprühte Parolen, legte sich mit der Polizei an, arbeitete in Jugendzentren, spielte im Kölner Spielezirkus und war nach eigenen Bekunden immer »in antidogmatischen Gruppierungen zuhause«. »Wir waren ständig unter Strom«, sagt er. Aber wozu?
In bösen Träumen kann man sich den heutigen Nitschke vorstellen, wie er da steht, mit grimmig zusammen gepressten Augen und entblößten, vor Geifer verklebten Zähnen und dann reinballert in die Bücher der Weizsäckers, Bohlens, Lafontaines, Meisners und Flieges. Bücher, die alle auf ihre Weise eine bessere Welt verkünden. Er verreißt das, was wir Jahr für Jahr auf die Bestsellerlisten heben, ohne zu wissen, was für eine Welt wir damit beschwören. Das ist Nitschkes Wut über unsere frappierende Ahnungslosigkeit. Nitschke ist Kabarettist, und das ist vielleicht der Grund, der ihn davon abhält, eine wirkliche Kalaschnikow zu nehmen. Wäre ja auch ein bisschen anspruchslos. Aber Nitschke ist kein klassischer Kabarettist, der in liebevoller Kritik der Gesellschaft den berühmten Spiegel vorhält. »Wenn Lisa Fitz Kabarett ist, dann bin ich das nicht«, sagt er. Im besten Fall sind seine Stücke komische Kritik. Dabei steht er immer auf dem dünnen Eis der platten Beleidigung. Denn Nitschke ist vor allem wütend, böse und bitter, so böse wie lange keiner mehr in der Szene. Für manchen ist seine Satire nur plumpe Beschimpfung und negative Stimmungsdresche. Und zugegeben, seine Scheiße-Pipi-Kacka-Wortwahl lädt zu solch einer Beurteilung ein. Nitschke fühlt sich eben als Diabolus, als Widersacher und Verwirrer. Ein Besuch seiner Programme hinterlässt oft dieses Gefühl der Beklemmung, des Eingesperrtseins mit einer These, das nicht immer die Hintertür eines luziden Witzes hinaus ins rettende Freie des verbindlichen Sinns offen hält. »Kunst ist Zerstörung des bestehenden Systems. Für die Verbesserung sind Politiker zuständig«, sagt Nitschke lapidar. Er ließe sich als Zweifler, als Skeptiker beschreiben, der die Existenz der guten Gründe in der Welt verneint. Hier liegt ein Schlüssel zu seiner Kunst, es ist die Erfahrung des Abgrunds, der Kontingenz. Das verbindet Nitschke mit umstrittenen Satirikern wie Wiglaf Droste, dem abgehackten Arm der »Neuen Frankfurter Schule«, oder den Machern der Satire-Zeitschrift Titanic. Ihr Credo, nach Tucholsky: Satire darf alles. Also drauf, drauf! Denn was es gibt, könnte es auch genauso gut nicht geben, es ist ohne Bedeutung. Das ist ihre ästhetische Bosheit, da befolgen sie die von Nietzsche dem Künstler auferlegte Pflicht zur Rücksichtslosigkeit. Nitschkes neues Programm, das im Oktober herauskommt, heißt übrigens: »Solo gegen den Rest!« Das passt.
Der Berliner Kabaretthistoriker Volker Kühn urteilt über Nitschke: »Wolfgang Neuss hätte seine helle Freude an ihm gehabt. Auch er hatte früh das elegante Florett zum alten Eisen geworfen und, weil die Zeiten danach waren, den Schlagzeugprügel hervorgekramt. Da zerreißt einer Bücher. Das heißt: er liest – wie angenehm. Und kotzt ab – wie wohltuend. Mancher, der es ihm nachtut, wird entdecken, dass Nitschke sehr freundlich mit dem umgeht, auf das er sich da einlässt.« Es geht um Bücher – nur, könnte man meinen. Allerdings sind sie das Fundament einer Gesellschaft, die dem gedruckten Wort die gesicherte Wahrheit zuschreibt. Walter van Rossum hat in der Süddeutschen Zeitung mal geschrieben: »Nitschkes vernichtendste Argumente sind die Zitate – Kollateralschäden unvermeidlich. So lernen wir zwar nichts aus den Bestsellern, doch viel über sie: Sie sind Teil der Misere, die sie zu beheben versprechen.« Nitschke erhellt diese Misere und legt offen, dass wir uns noch nicht mal mehr auf das Wort verlassen können, sondern uns die kosmische Unsicherheit längst am Fundament unseres Selbstverständnisses gepackt hat. Das macht ihn weniger zum bösen Satiriker als zum vernunftbegabten Aufklärer; Plattitüden, Allgemeinplätze, Gelalle, Gebrabbel von Menschen, die gern zur denkenden oder unterhaltenden Elite Deutschlands gezählt werden, sind Nitschkes Ziele – also der gesammelte Schwachsinn der Wissensgesellschaft. Dafür hat Nitschke das schöne Wort »weizsäckern« geprägt. Der Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker gehört wegen seiner »literarischen Selbstvergottung« zum Lieblingsopfer Nitschkes: »Sein Lobgeseier auf die drei angeblichen Nullstunden 1949, 1969 und 1989 ist in seiner gewalttätigen Harmoniesucht derart stickig, muffig eselhaft und unerquicklich, dass man nach Atem ringt und wieder aufs neue Fensterscheiben einschmeißen möchte. Slime over Germany!« Nitschkes Kritik richtet sich also auch gegen den perversen Mitteilungsdrang und die wahnsinnige Offenbahrungslust einer Medien-Gesellschaft, die sich zu Tode quatscht. Und sie richtet sich gegen eine Gesellschaft, für die alles und jedes gut und richtig ist, solange es mit Schall und Rauch am Kern der Sache vorbei geht.
Von Bertolt Brecht stammt der Seufzer: »Oh, Deutschland – hörend die Reden, die aus Deinem Hause dringen, lacht man; aber wer Dich sieht, greift zum Messer.« Und Nitschke greift zum Buch.
www.bestsellerfressen.de. Neues Programm: u.a. in der Comedia Köln, 8.10.2004
Neues Buch: Wolfgang Nitschke: Bestsellerfressen 4. Solo gegen den Rest, Critica Diabolis 123, Edition Tiamat, Berlin