TEXT: ANDREAS WILINK
Dieser Geschichte ist der Bestseller eingeschrieben, der »Simon« – 1998 von Marianne Fredriksson veröffentlicht – auch wurde. Die Verfilmung des Romans durch Lisa Ohlin legt es ebenfalls darauf an, so sehr, dass sie beim Zuschauer alle Gefühle weckt und zugleich Widerstand dagegen aufruft. Eine Familiengeschichte, erzählt von den 1930er bis 1950er Jahren, und die Selbstwerdung und -findung eines Kindes. Simon ist anders, so wie Tonio Kröger oder Bergmans Alexander anders sind und viele weitere literarische Helden der Schwäche – von Sartre, Julien Green, Truman Capote, William Maxwell und und und.
Simon sitzt in seiner Eiche und träumt ins Blaue hinein, blinzelt in das Flirren des Blattwerks, in die Nadelstiche der Sonne und hinauf zu den Wolken, die plötzlich den wattigen Umriss von Kamelen aus seinem Abenteuerschmöker annehmen. Für die Schreinerwerkstatt seines Vaters interessiert er sich nicht. Er will auf die höhere Schule; und als er zum ersten Mal ein Konzert besucht, ist es für Simon, »als würde ich es schon kennen, als wäre ich schon da gewesen in der Musik«. Kann diese Künstlernatur der Sohn von Karin und Erik Larsson sein? Die ihn lieben, aber auch so haben wollen, wie sie selbst sind, weil ihn das scheinbar sicher für sie sein lässt. Auf der Schule trifft Simon gleich Isak Lentov, der als »Judenbengel« beschimpft wird. Es ist 1939, die Nazis okkupieren Dänemark und Norwegen. Isak, ein sensibler, von schlimmen Erinnerungen gequälter Junge, konnte mit seinen Eltern Ruben und Olga aus Berlin nach Schweden flüchten. Er wird sich Erik anschließen, Simon dem großbürgerlichen reichen Ruben (Jan-Josef Liefers). So spielen die zwei Freunde die Differenz von Geist und Tat aus, ohne dass groß darüber geredet würde. Simon wird erfahren, dass seine richtige Mutter ihn nach der Geburt ihrer Kusine Karin überließ und dass sein Vater ein deutscher Jude und Geiger war. Es gibt ein paar Liebes-Episoden, unglückliche und glückende, erfüllte und ersehnte, gibt einen Besuch im Nachkriegs-Berlin sowie Schrecken, Schmerz und Schmelz der Erinnerung. Die Darsteller sind vorzüglich, an erster Stelle Jonatan S. Wächter als kindlicher und Bill Skarsgard als erwachsener Simon. Die Kamera tut das Ihre so exquisit, dass man fast glauben könnte, großes Kino zu sehen, und die Absicht der Filmemacher fast ernst nehmen könnte, sich an Coppolas »Pate« und Bertoluccis »1900« orientiert zu haben. Aber »Simon« kuschelt sich viel zu gediegen, edel, beschönigend, gemütvoll in emotionaler Nestwärme ein. Reibung würde eine ganz andere Form von Wärme erzeugen.
»Simon«; Regie: Lisa Ohlin; Darsteller: Bill Skarsgard, Jonatan S. Wächter, Helen Sjöholm, Jan-Josef Liefers, Karl Linnertorp, Karl Martin Eriksson, Katharina Schüttler; Schweden/Deutschland 2011; 121 Min.; Start: 28. Juni 2012.