Die Uhr dreht durch – im Schnelldurchlauf und im Rückwärtsgang rotieren die Zeiger, als sei H.G. Wells’ »Zeitmaschine« angeworfen worden, die übrigens auch einer Kollektion von Vivienne Westwood, Herbst/Winter 1988/89, den Titel geliehen hat. Das Düsseldorfer nrw forum hängt diesen irren Chronometer, bei dem es statt Zwölf die wilde 13 schlägt, über den Ausstellungs- Eingang, so wie er einmal das Entree an der Fassade von Westwoods Londoner Geschäft schmückte und die Parole »Zurück in die Zukunft« ausrief. Bei Westwood gehen die Uhren anders: »Ich habe so etwas wie einen inneren Wecker, der bei allem Alarm schlägt, was orthodox ist.« Am Ehrenhof müssten die Alarmglocken ständig schrillen, wenn sich die Besucher in den mit Laufstegen, Vitrinen und Podesten ausgestatteten Räumen Westwoods Entwürfen und Accessoires gegenüber sehen. Ein paar Videos, kein Schnickschnack – sondern das pure perfekte Kleider-Design aus dreieinhalb Jahrzehnten wird präsentiert. Das ist mehr als genug. Die Augen gehen einem über. So inszeniert man Ereignisse und fabriziert Blockbuster – vor der Tür parkt ein Bentley, drinnen blitzen Kameras. Defilee für eine Schau, die dank des Victoria and Albert-Museums in London seit 2004 um die Welt reist. Die Fashion-Front steht stramm für Vivienne Westwood, geb. Swire aus Glossop Derbyshire.
Das Arbeiterkind, die Volksschullehrerin, die 1962 ihren ersten Ehemann Derek Westwood kennen lernte, bekam ihren Kick durch jemand anderen. Sie traf auf den späteren Sex Pistols-Manager Malcom McLaren, der »durch Kultur Unruhe stiften« wollte und sich dafür wiederum von Guy Debords 1967 erschienenem Buch »Societé de Spectacle« wesentlich hat motivieren lassen. Sie ließen es rocken. »Let it rock« hieß der Laden zunächst, den die beiden 1971 auf der King’s Road 430 eröffneten und im Retro-Look der Fifties ausstatteten. Umbenannt nach einem James-Dean-Spruch in »Too fast to live, too young to die«, zeigt bereits die – noch mehrfach erfolgende – Neubezeichnung, dass nichts bleiben sollte, wie es war, dass es immer um Veränderung, um schnelles Reagieren ging. Bloß keine Routine, keine Konvention, keine Dauer. Heterodoxie als Prinzip. Hier hat jemand seine Jugend nicht verschwendet, sondern verlängert bis ins hohe Alter. Westwood ist 65.
Ihre Anfänge fanden besonders auch in Düsseldorf Widerklang, nicht weit vom Ehrenhof auf der Ratinger Straße der Altstadt, wo der deutsche Punk eine seiner Brutstätten hatte. Dort wurde aufmerksam registriert, was in London passierte, als es der Hippie-Kultur bye bye sagte und das Softe gegen das Harte tauschte. Als Logo wählten Westwood/McLaren einen Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen. Leder und Metall, Kunststoff, Knochen und Gummi, Gurte, Reißverschlüsse, die offen auf T-Shirts genäht wurden, Buchstaben aus Nieten mit losen Sprüchen, Abzeichen, Aufdrucke, Polaroids – alles taugte für das modekulturelle Statement, das sich während dieser Phase magisch ritualisiert auflud: Die Sicherheitsnadel ersetzte den primitiven Fetisch.
Mode ist das Umformulieren des Körpers, der dadurch eine andere Präsenz erhält. »Raffinement braucht ein Kostüm, aber die Wahrheit liebt es, nackt zu sein.« Das Rousseau- Zitat hat sich Westwood angeeignet, aber es stimmt nur bedingt – für sie selbst. Dass der nächste Shop ihrer tabufreien Zone und Anarchistischen Gummizelle ab 1975 »Sex« hieß und ab 1977 »Seditionaries« (Aufwiegler), mochte passen. Das provokante Styling nahm auch Attribute des Sadomasochistischen und des Fetischismus auf. Aber Westwood unterwarf das Spielzeug Mode stets weiteren Verwandlungen – und ging dabei bis an »World’s End«, wie in den 80ern ihre Laden-Adresse hieß. Ihre »Punkature« (montiert aus Punk und Couture) holte und holt sich Anregungen von überall her. Eine eklektizistische Revolte, von der Kollegen wie Gaultier und Galliano, Paul Smith und Alexander McQueen, auch Versace und Joop nur lernen konnten. Wie ein weiblicher Peter Pan ließ Westwood nach dem Punk-Prolog ihre Models als Freibeuter der Sieben Meere die Laufstege en tern und umgab sie mit Rüschen, bunten Piratenhosen und ging damit – vorne weg – auf neoromantischen Kurs, um bald das Steuer herumzuwerfen und die düstere science-fictionale Atmosphäre des »Blade Runner« aufzugreifen. Und so weiter. Seit 1983 ist sie von McLaren getrennt, den ihr zweiter Ehemann und beruflicher Partner Andreas Kronthaler beerbte, mit dem gemeinsam sie das »Gold Label« kreiert. Westwood, die sagt, dass ihre Arbeit in der englischen Schneiderkunst wurzele und ihre Materialien der Mensch und das Tuch seien, ist eine Analytikerin und Archivarin. Ihre Technik besteht darin, Dinge auseinander zu nehmen, genau zu betrachten und neu zusammenzusetzen, wobei die geometrische Form die wichtigste Basis bildet.
Bauschig, voluminös, fetzig und schräg verhexte sie den Konsum-Gebrauch, wobei sie sich seit den 90er Jahren deutlich zur Klassikern veredelt, die zwar immer noch in Details und Nuancen ihren frechen, frivolen Witz bewahrt, aber sich als extravagante, mondäne, glamouröse Modeschöpferin outet, die etwa 1995 eine »Queen of Sheba« in Straußenfedern und Glasperlen verschwinden ließ, als habe sie sich eine cineastische Phantasie des Josef von Sternberg zu eigen gemacht. So entwirft sie Kleider für das »Café Society« (1994), ausladend, reich, in Hülle und Fülle, Pracht und Rausch. Aus Punk wurde Prunk.
Kopieren ist wesentliches Element ihres Designs. Westwoods längst mit dem Ritterschlag geadelter modischer Historizismus unternimmt Quergänge durch die Kunstund Kulturgeschichte. Vom Tudor-Stil über die Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts – von Franz Hals und Van Dyck, Gainsborough, Watteau, Boucher, Fragonard und Ingres bis zur Belle Epoque, Otto Dix und Keith Haring – stammen Inspirationen. Sie hat Korsage, Korsett und Tournüre aufgegriffen, hat in Verzierungen und Applikationen auf Malerei und Intarsien Bezug genommen. Der Stoffmix gehört zu ihren Spezialitäten: Tweed, Wolle, Gabardine, Samt und Seide, Strick und Spitze, Brokat und Pelz gehen Liaisons Dangereuses ein; Karo, Punkte, Nadelstreifen, Blümchenmuster kombinieren sich; ein Patchworken und Collagieren von englischem Country- und College-Look, schottischen Traditionen, Dandytum und Dior, Commedia dell’Arte, Barock und Art Déco, von Straße, Salon und Club. Stets Parodie und Hommage gleichermaßen, die Erotik und Komik zu Duettpartnern machen. Westwood hat sich der Guerillataktik bedient und das Establishment unterwandert. Der Underground liegt nicht mehr unter der Upper Class, sondern hat sie überflügelt. Auf einem T-Shirt der aktuellen Kollektion steht »I’m not a terrorist, please don’t arrest me«. Persönlich muss Vivienne Westwood diese Sorge nicht mehr haben, als politisches Manifest beweist sie damit ihren wachen Bürgersinn. //
Bis 14. Mai; Katalog, 224 S., 34,90 Euro; Tel.: 0211/8926690, www.nrw-forum.de