Es sind diese Zufälle, die dem Leben die erhoffte Richtung geben. Als Peter Eötvös irgendwann 1966 durch die Flure der Kölner Musikhochschule schlenderte, fiel sein Blick auf einen kleinen Aushang. »Stockhausen sucht Kopisten«, stand da zu lesen. Wie Eötvös später gestand, sei er wie vom Donner gerührt gewesen. Schon in seiner ungarischen Heimat hatte er Karlheinz Stockhausen für sein elektronisches Klang-Ereignis »Gesang der Jünglinge« bewundert und davon geträumt, ihn kennenzulernen. Nun bot sich dem 22-Jährigen, der dank eines Stipendiums an den Rhein gekommen war, diese Chance. Eötvös ergriff sie.
Nachdem er monatelang damit beschäftigt war, Stockhausens »Telemusik« abzuschreiben, gehörte er zum Inner Circle des exklusiven Stockhausen-Clans. Als Pianist, Schlagzeuger und Klangregisseur reiste er mit dem Neue Musik-Guru die nächsten Jahre mehrmals um die Welt. Von ihm bekam er wichtige Anregungen für sein eigenes kompositorisches Denken. Viel später dann – Eötvös war längst auch ein international gefragter Dirigent – leitete er in London und Mailand die Uraufführungen einiger Teilstücke aus Stockhausens Opern-Opus Magnum »Licht«. Bis zu dessen Tod 2007 blieb man sich freundschaftlich und künstlerisch eng verbunden.
Im Rahmen einer kleinen Konzertreihe, mit der die Kölner Philharmonie Eötvös nachträglich zum 70. Geburtstag gratuliert, erinnert er sich auch an die prägenden Stockhausen-Jahre. So wird Eötvös im März dessen abendfüllende Chor-Orchester-Komposition »Momente« dirigieren. Dabei leitet er mit dem Pariser Ensemble intercontemporain jene Weltklassetruppe für Neue Musik, mit der er als Chefdirigent von 1978 bis 1991 Hunderte von Uraufführungen gestemmt hat.
Überhaupt spiegelt jedes der Konzerte vom Programm her oder seitens der Interpreten wichtige Kapitel in dem ertragreichen, vielfach preisgekrönten Wirken von Eötvös wider. So hat er beispielsweise für das Konzert mit dem niederländischen Radio Filharmonisch Orkest Werke seiner beiden Landsleute Zoltán Kodály und Béla Bartók ausgesucht, denen er vielleicht seine eigentliche musikalische DNA verdankt.
Am 2. Januar 1944 in Székelyudvarhely (Transsilvanien) geboren, ging Eötvös mit 14 Jahren an die Budapester Musikakademie, um bei Kodály Komposition zu studieren. Von ihm wie auch vom Werk Bartóks wurde seine Liebe zur Volksmusik geweckt. Darüber hinaus verdankt er der auf harmonischen Ganztonschritten basierenden Kompositionsmethode seines Lehrers, dass sich später seine musikalische Sprache nie ins allzu Abstrakte, Mikrotonale zerfasern sollte.
BEKENNTNIS ZUR TONALITÄT
Tatsächlich hat sich Eötvös bis heute eine Offenheit gegenüber musikalischen Materialien und ihrer Organisation bewahrt, die gerade in den Hochzeiten klangideologischer Kontroversen tabu waren. Dazu gehört nicht nur das Bekenntnis auch zur Tonalität. Bei ihm darf Komplexität durchaus virtuos anspringende Züge besitzen. Bei seinen stilpluralistisch verschachtelten und geschichteten Experimenten kommt es schon mal zu vibrierenden Kämpfen zwischen kompakten Geräuschen und Anleihen aus Jazz und Rock. Schließlich wünsche sich Eötvös, »als Komponist von der Pop-Jazz-Seite herzukommen und alle E-Musik-Grenzen zu sprengen«.
Wer sich sein Stück »Jet Stream« anhört, 2002 für Trompete und Orchester geschrieben, wird verstehen, warum Eötvös früh Miles Davis zu seinen musikalischen Helden zählte. Das burlesk dahingroovende»Paris – Dakar« für Posaune und Big Band könnte insgeheim eine Hommage an den ebenfalls bewunderten Frank Zappa sein.
Bei den Kölner Eötvös-Festspielen gibt es jedenfalls mit dem Schlagzeugstück »Psalm 151« eine offensive Verbeugung vor dem amerikanischen Rock-Surrealisten. Sie wird von Martin Grubinger während einer Sonntagsmatinee gespielt, bei der Eötvös auch dem Publikum Rede und Antwort steht. Ein zweites Mal begegnen sich der österreichische Schlagwerker und der komponierende Dirigent bzw. dirigierende Komponist dann in einem großen Orchesterkonzert. Wie bereits bei den vorausgegangenen Konzerten in Essen und Dortmund präsentiert Grubinger zusammen mit dem Mahler Chamber Orchestra die erst 2013 uraufgeführte Novität »Speaking Drums« von Eötvös. »Sieben Gedichte« lautet der Untertitel des Werks, bei dem sich Sprache in erzählerischen Klang verwandelt. Die von Grubinger rezitierten Gedichte u.a. des Ungarn Sándor Weöres lösen sich in einzelne Laute auf und werden auf dem Schlagzeug imitiert. Für Eötvös haben damit die Worte aber keinesfalls ihre konkrete Bedeutung verloren, vielmehr in der Musik nur einen anderen Zustand angenommen.
In zahlreichen Instrumental-Kompositionen hat sich Eötvös mit der Musikalität von Sprache auseinandergesetzt, ob in Streichquartetten oder im furiosen Konversationsstück »Snatches«, bei dem ein Trompeter auf einen brabbelnden und nuschelnden Sprechersolisten trifft. Auch in der Oper stellte Eötvös sein Gespür für das Sprachmusikalische enorm erfolgreich unter Beweis. Seine Vertonung des Tschechow-Dramas »Drei Schwestern« entwickelte sich seit der Uraufführung 1998 zu einem vielfach inszenierten Repertoire-Werk im Neuen Musiktheater. Ähnlich bejubelt wurden seine nachfolgenden Fassungen von Jean Genets »Balkon«, »Angels in America« nach Tony Kushner und »Die Tragödie des Teufels«, die in Zusammenarbeit mit Albert Ostermaier entstand.
Aktuell arbeitet Eötvös am Feinschliff seiner neuesten Oper »Der goldene Drache« nach Roland Schimmelpfennig (Uraufführung Ende Juli in der Frankfurter Oper). Doch im Grunde gibt sich der Musiktheater-Mann Eötvös schon jetzt, in den Konzertsälen, zu erkennen. Denn, so umkreist er den zentralen Aspekt seines Komponierens, sei es für ihn »eine wunderbare Vorstellung, dass wir Sichtbares hörbar oder Hörbares sichtbar machen«.
Peter Eötvös, Mahler Chamber Orchestra und Martin Grubinger (Schlagzeug): 14. Februar 2014, Philharmonie Essen; 15. Februar, Konzerthaus Dortmund; 16. Februar, Philharmonie Köln; Peter Eötvös, Radio Filharmonisch Orkest & Midori (Violine): 20. Februar, Philharmonie Köln; Peter Eötvös, Ensemble intercontemporain, WDR Rundfunkchor Köln u.a.: 22. März, Philharmonie Köln; www.koelner-philharmonie.de