TEXT: STEFANIE STADEL
Jahr für Jahr fiebert er ihnen entgegen: Jenen Tagen im Mai, wenn die Weißdornblüte das Landschaftsbild verzaubert. Der Maler nennt diese Zeit »Action week«, denn er muss schnell sein, will er den flüchtigen Moment des Frühlingserwachens erhaschen. Ein einziger Regenguss, und die Blütenpracht ist dahin. Die Arbeit in der Natur hat seinen Sinn für den Wert des Augenblicks geschärft. Für den Moment der vollen Blüte, für das Licht im ständigen Wandel von Tages- und Jahreszeiten. Für Farben, die man nur einmal so sieht, dann wieder anders. Solche Sätze würden gut zu einem Künstler wie Claude Monet passen, doch diesmal ist David Hockney gemeint. Seit Jahren hat er kaum etwas anderes als Landschaft vor Augen. Genauer: die Wiesen, Wege, Felder, Wälder und Weißdornsträucher von East Yorkshire.
Die malerischen Resultate dieser Obsession zeigen sich jetzt ziemlich eindrucksvoll im Kölner Museum Ludwig – die große Hockney-Ausstellung dort konzentriert den Blick auf das Werk des letzten Jahrzehnts und fährt so gut wie ausschließlich Landschaften auf: saftig-grüne Hügel, sonnig-gelbe Weizenfelder, nebelig-graue Waldwege, kahle Äste umgeben von frostig-weißer Winterruhe.
Blühende Büsche entwickeln zuweilen ein märchenhaftes Eigenleben. Überwachsene Wege ziehen den Blick wie durch einen Tunnel in die Tiefe. Und lila-leuchtende Stämme, die neben gestapeltem Holz stehengeblieben sind, wirken wie geheimnisvolle Totems. Schon zum Start des Rundgangs haut die Kölner Schau mit menschenleeren Monumental-Formaten auf die Pauke. Sie lässt keinen Zweifel: Hockney weiß zu überwältigen.
NATUR MIT DEN AUGEN DES 21. JAHRHUNDERTS
Dabei versteht sich von selbst, dass es hier nicht um den unmittelbar erfassten Augeneindruck geht, der Monet und die übrigen Impressionisten zu raschem Handeln vor dem Motiv trieb. Hockney sieht die Natur mit den Augen des 21. Jahrhunderts. Er spielt mit den Stilen der Moderne, hat die Kunstgeschichte im Hinterkopf und aktuellste technische Medien zur Hand. Aquarell, Kohle, Öl sind ihm geblieben und gut vertraut. Aber ebenso seine Kamera, mit der er faszinierend verwirrende Multi-Fokus-Filme schafft. Oder der Computer – er hilft dem Maler, die zum Teil en plein air und oft auf mehreren Leinwänden gemalten Riesenbilder zusammenzustücken.
Und seit Neuestem ist das iPad ein ständiger Begleiter. Auf dem Touchscreen entwirft Hockney per Finger oder Eingabestift behänd Bilder und lässt sie anschließend ausdrucken. In den allerschönsten Farben, die weniger an die Lichtsensationen der Impressionisten als vielmehr an Wildheiten erinnern, wie man sie von den Fauves kennt. Zuweilen scheint es fast, als wolle der Künstler mit seiner verrückten Palette die trübe Farb-Wirklichkeit seiner nordenglischen Umgebung übertünchen.
Es waren zuerst private Gründe, die ihn nach Jahrzehnten in Südkalifornien hierher zurückholten. 1937 war Hockney im industriell geprägten Provinzstädtchen Bradford in Yorkshire zur Welt gekommen. Nach dem Tod seiner Mutter zog es ihn vor einigen Jahren in jenes Haus, wo sie zuletzt gewohnt hatte, 100 Kilometer von Hockneys Geburtsort entfernt im Nordseebad Bridlington gelegen. Hier fand er ihn wieder, den klaren Wechsel der Jahreszeiten, den er als Maler doch irgendwie vermisst hatte in der sonnigen amerikanischen Wahlheimat, wo er sich in den 60ern niedergelassen hatte.
SEIN IMAGE WAR DER SWIMMING POOL
Jenes Ambiente mit seinen hedonistischen Motiven hat sein Image geprägt. Ständig heiter, niemals trist, immer cool, lässig, luxuriös – so kennt man Hockneys Bildwelt. Bungalows, Sunnyboys unter der Dusche. Oder in extrem blauen Pools, die dem Betrachter förmlich den Chlorgeruch in die Nase treiben. Allein der Schirm vermag es, Schatten zu werfen auf diese perfekte Welt. So schien es jedem, der sich blenden ließ – der im Maler vor allem den Genießer sah. Einen, der sich in der Sonne räkelt, statt um seine Kunst zu ringen.
Andere, die – wohl zu Recht – Spott hinter dem schönen Schein vermuteten, fanden wenig Rückhalt vom Maler selbst. Statt sie mit ironischen Andeutungen zu füttern, erzählte Hockney nur, wie reizvoll es doch sei, bewegtes Poolwasser »in einer sehr langsamen und sorgfältigen Manier zu malen.«
Er kümmert sich wenig um einen gewichtigen Anstrich, das war schon immer so. Als 25-jähriger Aufsteiger machte Hockney lieber Wirbel mit seinem glänzenden Goldlaméjackett. Später klemmte er sich dann knallbunte Hörgeräte hinter die Ohren. Und Mitte der 90er schreckte der Künstler nicht davor zurück, seinen beiden Dackeln Stanley und Boodgie eine ausgedehnte Werkreihe zu widmen.
Ebenso wenig schert es ihn nun, wenn Kritiker einige seiner jüngeren Werke in die naive Schublade packen. Wenn sie seine Yorkshire-Bilder auf Genuss und Überwältigung reduzieren oder die ständige Wiederholung der immergleichen Landschaft monoton finden.
Es ist ja auch nicht aus der Luft gegriffen – in der Kölner Ausstellung kommt die reine, unkomplizierte, ausufernde Schwelgerei in Landschaft und Malerei jetzt in der Tat nicht zu kurz. Und das kann manchmal schon etwas ermüdend wirken. Neben ausgedehntem Augenschmaus und guter Laune liegen aber natürlich auch hier, wie immer bei Hockney, zentrale malerische Probleme in der Luft: Raum und Fläche, Nah- und Fernsicht interessieren ihn. Ganz besonders Perspektive und Bewegung. Vor Jahrzehnten schon brachte Hockney in seinen Foto-Collagen aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommene Fotos zusammen. Eine Idee, die er in seinen aktuellen Videos aufgreift und in Bewegung bringt.
Immer wieder neue Experimente halten den Künstler bis heute in Atem und sein Werk auf der Höhe. Wie er tickt, könnte sich kaum deutlicher zeigen als eben in den binnen weniger Jahre entstandenen Yorkshire-Arbeiten. Es war die Aussicht auf eine große Einzelausstellung in der Royal Academy in London, die den sagenhaften Schaffensschub erst in Gang setzte. Das ehrwürdige Institut wollte seine komplette Ausstellungsfläche frei machen, erwartete dafür aber von Hockney keine Retrospektive. Sondern überließ ihm das Feld für frisch produzierte Landschaften, die nach ihrem Auftritt in London auch noch nach Bilbao und Köln weiterwandern sollten. Der damals 70jährige Künstler war begeistert und drehte auf. Inspiration, so betont er gern, sei nichts für Faule.
MALEN AUF DEM I-PAD
Einige ehrgeizige Werkkomplexe, die jetzt im Museum Ludwig angekommen sind, wären ohne diesen Ansporn nie entstanden. Die Bilder zu Claude Lorains Bergpredigt etwa. Hockney hat das bald 400 Jahre alte landschaftlich geprägte Historiengemälde in der New Yorker Frick Collection entdeckt und in etlichen eigenen Bildern ausgiebig reflektiert – die Kölner Schau zeigt ein Beispiel aus der Werkgruppe, die jedoch eher enttäuscht.
Viel stärker wirken dagegen jüngste Video-Installationen, auf die Köln mehr Wert legt als die Londoner Station der Schau. Der Künstler ist dafür mit neun Kameras auf dem Kühler seines Jeeps im Schneckentempo über kleine Straßen und Feldwege durch die Natur gerollt. An den vier Wänden eines der Ausstellungsräume laufen die Filme auf jeweils drei mal drei Monitoren, die zu wandfüllenden Großbildern kombiniert sind. Jede einzelne Aufnahme hat ihren eigenen Blickpunkt, was dem langsam bewegten Ganzen eine verführerische, fast hypnotische Wirkung verleiht.
Einnehmend auch Hockneys iPad-Arbeiten, die inzwischen recht großen Raum im Schaffen und also auch in der Ausstellung einnehmen. Allein 51 Ausdrucke verfolgen in Köln den Frühlingsanfang an der Woldgate – eine schmale Straße, die von Bridlington ins nahe Kilham führt. Entstanden zwischen Januar und Juni 2011, beschreiben sie das Wiedererwachen der Natur auf ganz eigene Weise. In bunten Punkten, die schon am schönen Wintertag eine Ahnung vom Werden ins Geäst zaubern. Mit feinsten Strichlein, die im März hellgrün gen Himmel streben. In mehr oder weniger transparenten Farbschichten, die – sich mehrfach überlagernd – zarten Nebel über die Szenerie hauchen.
Hockney, inzwischen ein Virtuose am Tablet-Computer, schwärmt von der Unmittelbarkeit des Mediums. Viel schneller als beim Aquarell könne man den Pinsel wechseln, eine neue Farbe auswählen. Augenblicklich lasse sich das Licht einfangen, der flüchtige Moment fixieren. »Turner wäre begeistert gewesen«, so mutmaßt er.
Monet vielleicht ebenso.
Museum Ludwig, Köln; bis 3. Februar 2013; Tel.: 0221/22126165; www.museenkoeln.de