TEXT: MARTIN KUHNA
»Von Anfang an« – dass diese Ausstellung jetzt stattfinden sollte, wurde vor fünf Jahren beschlossen. Was sie denn zeigen würde, war den Machern keineswegs von Anfang an bekannt: »Wird sich finden«, war ihr Konzept. Das klingt wie Dilettantentum, war aber wohl nicht einmal ein Wagnis, denn die nordrhein-westfälischen Archäologen sind es gewohnt, nahezu täglich irgendwo auf interessante Zeugnisse der Vergangenheit zu stoßen. Und so hat sich in fünf Jahren tatsächlich mehr als genug gefunden, das die vierte »Archäologische Landesausstellung« nun im Römisch-Germanischen Museum Köln zeigen kann: 1500 Funde, zwischen 60 und 318 Millionen Jahre alt, darunter einige, die durchaus neue Perspektiven auf historische oder prähistorische Vorgänge eröffnen.
Dabei sind diese 1500 Funde nur eine Auswahl – nicht mal ein Zehntel dessen, was hätte gezeigt werden können. Da die hiesigen Bodendenkmalpfleger nicht ohne zwingenden Anlass im Boden forschen, sie nur in »Rettungsgrabungen« bergen, was andernfalls durch Bauarbeiten zerstört werden würde, kann man nur ahnen, wie unermesslich viele Zeugnisse der Vergangenheit sich noch überall in NRW verbergen, nicht selten nur Zentimeter unter neuzeitlich-großstädtischem Pflaster.
Die räumliche Nähe der Fundorte zur Alltagswelt und der Umstand, dass alles jetzt in Köln Gezeigte vor kurzer Zeit noch im Boden lag und wirklich »frisch« ausgegraben wurde, bringen dem Besucher die Gegenstände auf eigentümliche Weise nahe, auch wenn sie, wie das bei der Archäologie oft der Fall ist, auf den ersten Blick unscheinbar sind und einen allenfalls spröden Charme besitzen. Im einzelnen faszinieren die Funde dann auf ganz verschiedene Weise: durch ihr Alter; durch dramatische Ereignisse, von denen sie zeugen; durch ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Forschung; durch ihre fragile Schönheit, die sie, gereinigt und restauriert, nach so langer Zeit im Verborgenen wieder entfalten.
Dass die »Leistungsschau« der nordrhein-westfälischen Bodendenkmalpflege ein so großes Zeitspektrum abdeckt, geht auf eine Besonderheit des Landes-Denkmalschutzgesetzes zurück. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern zählen in NRW nicht nur Artefakte aus historischer Zeit zu den Bodendenkmälern, sondern ebenso vorgeschichtliche Funde der Paläontologie und Hinterlassenschaften der Zeitgeschichte. Und so grüßt den Besucher der Ausstellung gleich zur Linken der versteinerte Einhornhai aus Hagen-Vorhalle, gleichsam als Alterspräsident der Schau. Zur Zeit des Karbons schwamm er im subtropischen Delta einer Flussmündung herum; als Versteinerung ist er nun im Steinbruch einer ehemaligen Ziegeleigrube wieder zum Vorschein gekommen – nach 318 Millionen Jahren.
Das andere Ende des zeitlichen Spektrums markieren Funde aus einer Zeit, die noch nicht einmal richtig vergangen ist. »Hoch emotional« nennt sie Jürgen Kunow, neuer Leiter des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege: Sie stammen aus einem deutschen Zwangsarbeiter-Lager in Jülich und aus einem alliierten Lager für deutsche Kriegsgefangene in Mönchengladbach. Bewusst sind die Fundstücke in zwei benachbarten Vitrinen ausgestellt: Blechnapf und Löffel, ein russischer Uniformknopf hier; Erkennungsmarken deutscher Soldaten, Uniformstücke, Schuhsohlen und ein Stück Stacheldraht dort. Das Lager der US-Armee existierte lediglich von April bis Herbst 1945 und hatte nur eine extrem dürftige Infrastruktur; die geschlagenen deutschen Soldaten hausten in selbstgegrabenen Erdlöchern. Schon nach kurzer Zeit war von dem Lager nichts mehr zu sehen. Unterlagen gibt es kaum, Erinnerungen von Zeitzeugen sind fragmentarisch und subjektiv: So leistet nun die Archäologie einen wichtigen Beitrag, dieses flüchtige Stück Zeitgeschichte zu dokumentieren.
Ein paar kleine, eher unscheinbare Ausstellungsstücke sind dem Fachmann der erste Beweis, dass in der Jungsteinzeit Angehörige der ersten Bauernkultur Mitteleuropas früher im NRW-Gebiet gesiedelt haben als gedacht. Bisher gab es im Land keine Hinweise auf diese ältesten Bandkeramiker; nun aber fanden sich in Niederkassel-Uckendorf (Rhein-Sieg-Kreis) typisch verzierte Scherben aus der Zeit von 5300 und 5180 vor Christus. Man nimmt an, dass Zuzügler aus Süddeutschland ihre Kultur ins Rheinland mitbrachten, sich dann aber rasch an hiesige Gebräuche anpassten.
Aufwändiger ist die Präsentation eines spätmittelalterlichen Fundes: die Wasserleitung der Grafen von Blankenheim in der Eifel. Durch einen nachempfundenen steinernen Tunnel gelangt der Besucher zu den ausgegrabenen Teilen einer hölzernen Wasserleitung, mit der die Grafen im Jahr 1468 frisches Quellwasser zu ihrer Burg leiteten: von der Quelle einen Berg hinunter in eine Senke, einen zweiten Berg hinauf, der dann auf Höhe der Quelle durchtunnelt wurde und schließlich wieder hinab zur Burg – über insgesamt fast einen Kilometer. Eine erstaunliche Konstruktion aus dem angeblich technologisch so unterbelichteten Mittelalter wird da lebendig.
Von großer Geschichte und Alltag sprechen die Funde – mal leicht verständlich, mal rätselhaft: Schmuckstücke aus römischen Siedlungen; kostbare Gläser aus fränkischen Gräbern; 220 irdene Deckelchen aus dem 19. Jahrhundert, die man in Soest (auf dem Gelände einer preußischen Kaserne) gefunden hat – aber ohne passende Töpfe. Eine Vitrine mit einem ganzen Service aus weithin rot leuchtender Terra Sigillata entpuppt sich als kompletter Inhalt eines umgestürzten römischen Geschirrschranks. Restauratoren haben die zersprungenen Schüsseln, Teller und Becher so liebevoll gesäubert und zusammengesetzt, dass sie von ferne wie Neuware wirken. Ganz unscheinbar dagegen ein Fund aus Minden: eine kunstvoll geschnitzte, beinerne Bürste, wenn auch ohne Borsten. Sie ist gut zweihundert Jahre alt und gilt als älteste Zahnbürste Europas! Das erstaunlich moderne Gerät verfügt außerdem über einen multifunktionalen Ansatz, wie er viele Jahre später zum Schweizer Offiziersmesser führte: Das Ende des Bürstenstiels ist zu einem anmutigen Löffelchen geformt, mit dem sich der hygienebewusste spätbarocke Mensch nach dem Zähneputzen gründlich in den Ohren bohren konnte.
Die Ausstellung will Sympathie für die Bodendenkmalpflege wecken – birgt doch deren Arbeit Konfliktpotenzial, das leichter entschärft werden kann, wenn Bürger, Bauherren, Investoren und Stadtentwickler mit dem Thema Archäologie vertraut sind. Es gibt indes Menschen, deren Sympathie entschieden zu weit geht. Für gewöhnlich reden Archäologen nicht gern darüber, aus Furcht vor Nachahmern, aber zur Eröffnung der Kölner Ausstellung haben sie das Problem doch angeprangert, weil es zur ernsten Plage wird: Raubgräber. Grabräuber. In Weilerswist schlugen sie während der Ausgrabung eines römischen Sarkophags besonders brutal zu. Das Skelett des Verblichenen schoben die Kriminellen kurzerhand zu einem Knochenhaufen zusammen, den Schädel rollten sie in eine Ecke. Dann rafften sie an sich, was ihnen wertvoll erschien, um es über dunkle Kanäle an skrupellose »Liebhaber« zu verhökern. Dabei beklagen die Archäologen nicht nur den materiellen Verlust kostbarer Grabbeigaben. Schwerer noch wiegt die unwiderrufliche Zerstörung der Auffindesituation, des archäologischen Dokuments. Und solcher Zerstörung machen sich auch die vielen selbsternannten Forscher schuldig, die mit weniger krimineller Energie, aber einem großen Maß an Ignoranz das Gelände mit Metalldetektoren absuchen und anschließend durchwühlen, weil ihnen die korrekte, ehrenamtliche Mitarbeit in der Archäologie zu unspektakulär ist.
Bis 28. August 2005. Danach im Westfälischen Museum für Archäologie Herne. Begleitbuch 600 S., 15 Euro. Tel.: 0221/221-24438 u. –24590. www.museenkoeln.de/roemisch-germanisches-museum/