TEXT: STEFANIE STADEL
Der Geruch von frisch gepflegtem Babypopo dringt nach draußen – verstört, noch bevor sich die Tür in den Ausstellungstrakt geöffnet hat. Man ahnt: Hier waren Substanzen im Spiel, die diesen Sälen eigentlich fremd sind. Drinnen muss man dann auch nicht lange schnuppern, um die Quelle der kosmetischen Duftwolke ausfindig zu machen. Dick und klebrig hängt die cremeweiße Schmiere in Ritzen und Fugen, zäh zieht sie sich über Kühlschrankgitter. Thomas Rentmeisters saalfüllende Großinstallation im Bonner Kunstmuseum scheint gleichsam getränkt mit Penatencreme. Wie Kitt hält sie diese erstaunliche Konstruktion zwischen Plan und Chaos, Architektur und Landschaft, C.D. Friedrich, Minimal Art und Konsumkritik im Gleichgewicht.
Aufgetürmte Kühlschränke und Styroporblocks, stapelweise Kopierpapier und sorgsam geschichtete Tempotaschentücher – an der einen Seite ist noch alles in Ordnung. Doch gleich daneben macht sich Auflösung breit. Rentmeister hat Berge von Mehl und Zucker aufgeschüttet, dazwischen einen kaputten Gartenstuhl gelegt. Zerknüllte Unterwäsche, Klobürsten kreuz und quer, dazu jede Menge Tampons und Tischtennisbälle. Die Großteile des einheitlich weißen Gebirges sind verschraubt, zur Sicherheit. Den Rest hat der Bildhauer mit Bauschaum und Penatencreme zusammengepappt. »Das hält auch«, bemerkt Rentmeister, dessen Finger inzwischen wieder von dem fettigen Zeug befreit scheinen.
Auch sonst wirkt der Künstler ziemlich aufgeräumt und entspannt. Wahrscheinlich auch, weil ein paar Tage vor Ausstellungseröffnung das Gröbste geschafft ist. Ganz gelassen steht er da mitten in seiner monumentalen Materialmontage und erzählt mit der ihm eigenen unverkrampften Ironie von der »Erleuchtung«, die ihn einst zu Kühlschrank und Creme führte. Es war 2002, als er über eine Arbeit für den Hamburger Bahnhof nachsann und sein Blick plötzlich an dem kaputten Kühlapparat im Atelier samt der Cremedose oben auf hängen blieb. Die Sonne schien durchs Fenster auf das Ensemble, da habe er gewusst: »Das ist es«, und sogleich begonnen, das Gummiprofil zuzuschmieren. »Dadurch veränderte sich das ganze Gerät.«
Seither gehört das Küchenausstattungsstück zum festen Repertoire des Künstlers. Ebenso die pflegende Paste, deren wunderbar steife, zäh-klebrige Konsistenz nach eigenem Bekunden Rentmeisters »Bildhauerherz entzückt«. Es ist schon beeindruckend, wie leichtfüßig und gänzlich unpathetisch Rentmeister in Wesen und Werk formale wie inhaltliche Dichte mit Humor in Einklang zu bringen weiß.
Doch ganz ehrlich: Stört es ihn eigentlich nicht, dass seine Werke allein wegen der schrägen Materialien oft nichts als Amüsement beim Publikum hervorrufen? »Das macht mir nichts, ich finde es ja selbst lustig«, erwidert er lächelnd und geht, nun wieder einigermaßen ernst, auf jene beinahe malerischen Praktiken ein, die er beim Installieren des Bonner Konglomerats einfließen ließ. »Wenn ich zum Beispiel diese großen Kühlschrankgitter da oben drauf werfe, dann ist es, als würde ich einen verschwommenen Effekt einstreuen. Oder diese Wattestäbchen – von weitem gesehen, sollen sie die Sache versoften.«
Immerhin liegen fast drei Wochen eilige Arbeit hinter Rentmeister. Schuld am Stress ist nicht zuletzt er selbst. Denn obwohl das Museum und der kuratierende Vizedirektor, Christoph Schreier, an eine Retrospektive dachten, setzte der Künstler sich durch mit seinem Ehrgeiz, möglichst viel Neues aufzufahren.
Unter den zahlreichen Arbeiten aus jüngerer Zeit sind zwei besonders spektakuläre, die eigens für diesen Anlass entstanden sind – außer der Installation im Eingangssaal noch ein Paar monumentale Wandarbeiten. Rentmeister hat sich ins Zeug gelegt, denn für ihn ist die Bonner Ausstellung zwar nicht die größte, aber doch wohl die wichtigste in seiner Künstlerkarriere.
Sie setzte bereits Anfang der 90er ein, als sich sein Studium bei Günther Uecker und Alfonso Hüppi an der Düsseldorfer Kunstakademie dem Ende zu neigte. Damals fiel der Jungkünstler mit polierten Polyestergebilden auf, die sich in ihrer unbestimmt organischen Form – farbigen Drops oder riesigen Wassertropfen gleich – auf dem Fußboden niederließen. Ganz wichtig: die Spiegelungen der per Hand auf Hochglanz gebrachten, strukturlosen »Haut«. Denn sie erst sorgte dafür, dass die Oberfläche als Grenzlinie zwischen Innen und Außen verschwand. Im Kunstmuseum liegen zwei neue Arbeiten, die jenes alte Rezept aufgreifen, allerdings hier an die Karosserie von Kombi und Limousine erinnern.
Rentmeister hält sich nicht lange damit auf. Lieber führt er hinüber zu einem anderen, sehr viel unscheinbareren Schätzchen. Es ist eines der wenigen frühen Stücke in der Schau. Sie erinnert an seine Jugend im westfälischen Reken. Und an Rentmeisters Oma, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, per Klatsche der Fliegenplage Herr zu werden. Ihre plattgedrückten Jagdtrophäen sammelte sie im Waschbecken. An jenem berüchtigten Tag im Jahre 1985 waren es genau 36, die ihr damals 21-jähriger Enkel aus dem Becken klaubte, um sie mit Pattex fein säuberlich in sechs Sechser-Reihen auf die kleine quadratische Leinwand zu kleben. Aus der Nähe sieht es aus wie eine eigenwillige Variation des Memento-mori-Themas. Aus der Ferne betrachtet, ähnelt die Fliegenparade eher einem Werk der Minimal Art.
Der Minimalismus als Referenz wird auch vom Künstler selbst immer wieder einmal ins Gespräch gebracht. Allerdings – man sieht es auf den ersten Blick – liegen jene Klarheit, die Perfektion und vor allem die Selbstgenügsamkeit dieser in den 60er Jahren aufkommenden Kunstströmung Rentmeister fern.
Er stellt so einiges an, die glatte Perfektion zu untergraben – sei es mit Fettcreme, sei es mit verschnupften Taschentüchern. So verleiht der Bildhauer dem Ganzen jenen zwiespältigen Anschein, der sein Schaffen in Spannung hält: Rentmeisters Kunst ist sauber und verschmiert, amüsant und ätzend in einem. Banal und zugleich hochtrabend. Manches scheint entrückt, erhaben, obwohl es doch aus so gewöhnlichen Mate-rialien gemacht ist, sich so trivialer Formen bedient.
Sattes Behagen schlägt unversehens um in jene unbestimmte Beklemmung, die uns gelegentlich angesichts des grenzenlosen Überflusses um uns herum befällt. Ja, Genuss und Ekel, Wohlgefühl und Überdruss liegen dicht zusammen bei Rentmeister. Ganz besonders in der zweiteiligen Wandarbeit, die er jetzt für einen langgestreckten Saal im Bonner Kunstmuseum geschaffen hat. Da hängen sich zwei riesige »Gemälde« gegenüber. Das eine ist mit schwungvoller Hand und 3.500 Kilogramm Penatencreme eingestrichen. Dem gleichen Rezept folgt das Gegenüber, hier allerdings hat Rentmeister Nutella benutzt, auch so eine Lieblingszutat. Es müssen, schätzt der Künstler, an die 200 Kilo gewesen sein. Gespendet vom Hersteller des Brotaufstrichs.
In Bonn hatte Rentmeister Erfolg mit seinem Sponsoring-Gesuch. Anders als vor ein paar Jahren im Kölnischen Kunstverein. Wahrscheinlich habe es an der Art der Arbeit gelegen, mutmaßt der Meister. Sei die Schokoschmiere seinerzeit in Köln doch »wie ein gigantischer Kaka-Haufen« über den Boden des Ausstellungsraums verteilt gewesen. »Das mögen die natürlich weniger, aber so ein Bild – damit kann man sich besser anfreunden«, sagt er. Und hält dann kurz inne, weitet die Nasenflügel, als wolle er die volle Nutella-Drönung inhalieren. Doch geht es um etwas anderes. Rentmeister stellt fest, dass das am Tag zuvor noch dominante Penatenaroma heute eindeutig vom Schokoaufstrich überduftet werde.
Anfangs mag dieses olfaktorische Spektakel noch angenehm sein, doch bald schon will man eher raus aus dem schmierig-süßen Dunst. Wir weichen aus in den kleinen Raum nebenan, wo Rentmeister auf Betreiben des Bonner Kurators seine niemals zuvor gezeigten zeichnerischen Frühwerke ausbreitet, fast ausnahmslos entstanden um die Mitte der 80er Jahre. Da interessierten den angehenden Künstler vor allem Dinge seiner nächsten Umgebung – er porträtierte seine Mutter, die Sprudelkiste, den Fernsehapparat, das Liebespaar aus der Reklame. »Ich habe einfach viel gezeichnet damals, aus Spaß.«
Heute pflege er diese Leidenschaft nur noch selten. »In den vergangenen zehn Jahren hat ein Projekt das andere gejagt, eine Ausstellung die nächste«. Dinge wie das Zeichnen seien auf der Strecke geblieben, resümiert Rentmeister etwas wehmütig. »Gerne würde ich mal wieder einen ganzen Sommer lang ganz unschuldig glücklich herumlaufen und zeichnen, oder so«, träumt er vor sich hin. »Vielleicht nach dieser Ausstellung, wenn wieder Zeit ist.«
Kunstmuseum Bonn; Bis 5. Februar; Tel. 0228/776260. www.kunstmuseum-bonn.de