Max Ernst hat die Kunstform der Collage revolutioniert. Auf seinen Spuren wandeln jene Gegenwartskünstler*innen, die im Brühler Museum des Surrealisten ihre »Mythologien der Zukunft« in Szene setzen.
Dass die Wirklichkeit nicht in Stein gemeißelt ist, wenn wir unserer Vorstellungskraft die Regie über die Realität übertragen, das war ein zentraler Glaubenssatz der Surrealisten. Der rheinische Künstler Max Ernst (1891-1976) gehörte zu den wichtigsten Figuren dieser Bewegung, die in den 1920er Jahren in Paris entstand. Die Collage, aus der Ernst vollkommen neue Möglichkeiten zog, verstand er nicht als bunte Mischung von Bildschnitzeln – vielmehr sah er darin das Symbol einer zerrissenen Welt, deren Gewissheiten durch den Ersten Weltkrieg zerstört worden waren.
Gaming, Virtual Reality und Künstliche Intelligenz haben das Prinzip Collage auf eine neue Ebene gehoben. Hier setzt die aktuelle Sonderausstellung im Max Ernst Museum des Landschaftsverband Rheinland (LVR) an. Arbeiten von 26 Künstler*innen und Kollektiven aus 16 Ländern suchen einen Dialog mit den Werken des Hausherrn. Die Kurator*innen Patrick Blümel und Sophia Naumann haben Kunstschaffende eingeladen, deren Bildsprache die visuelle Kultur des 21. Jahrhunderts reflektiert und erweitert. Marco Brambilla, Federico Cuatlacuat, Anne Horel und Anys Reimann gehören ebenso dazu wie das Duo Lex Rütten und Jana Kerima Stolzer.
Indem sie die traditionelle Trennung zwischen »Natur« und »Kultur« aufheben, wandeln sie auf den Spuren des Pfadfinders Max Ernst – in dessen Kunst gleichfalls mit verblüffender Bildlogik zusammen wuchs, was im Alltag nicht zusammengehörte. Den Kosmos des Surrealisten bevölkern Mischwesen wie Capricorne, Loplop, Melusine und Sphinx. In diese Genealogie reihen sich die zeitgenössischen »Hypercreatures« ein, die in Brühl zu erleben sind. Mischwesen sind auch sie – und zugleich »Agentinnen einer Welt im Umbruch«, wie die Ausstellungsmacher*innen ausführen: »Ihre hybriden Körper erzählen von transkulturellen Verflechtungen, Spannungen und heilender Aufmerksamkeit zwischen Lebensformen.«
Mit ihrem Konzept berufen sich Patrick Blümel und Sophia Naumann unter anderem auf die Amerikanerin Donna Haraway. In ihrem »Cyborg Manifesto« hinterfragt die Wissenschaftstheoretikerin und feministische Denkerin herkömmliche Kategorien wie »Mensch – Maschine«. Beherzt plädiert Haraway dafür, Mythen für eine bessere Zukunft zu erfinden.
Die schöne neue Welt, in der Mensch, Tier, Pflanze und Maschine im harmonischen Verbund existieren, kennt weder Ego-Heldentum noch krudes Machtgebaren. In den »Mythologien der Zukunft«, denen das Max Ernst Museum ein Gastspiel in der Gegenwart verschafft, dominieren vielmehr Aspekte der Fürsorge und Verbundenheit.
»Hypercreatures – Mythologien der Zukunft«
Max Ernst Museum des LVR, Brühl
Bis 5. Oktober