Melanie Loureiro sucht Inspiration per Fahrrad im Park oder mit einem Hörbuch im Atelier. Ihre Malerei vermittelt eine ganz eigene Sicht auf die Natur. Demnächst zieht die 30-Jährige damit ein ins Düsseldorfer KIT – Kunst im Tunnel.
Ganz in einen zarten Fliederton gehüllt trifft man sie an diesem Vormittag. Und könnte fast meinen, Melanie Loureiro sei eben einem der Gemälde entstiegen, die ringsum im Atelier hängen oder stapelweise an der Wand lehnen. Überall Pastelltöne und Blüten über Blüten, groß und haarscharf gemalt. Dazwischen ein paar riesige Ameisen oder Marienkäfer, die sich unter Sonnenblumenblättern verbergen. Irgendwo leuchtet ein blaues Hasenglöckchen aus einer dunklen Baumhöhle heraus.
Nachdem sie Wasser für Tee aufgesetzt hat, kommt Loureiro dann auch ziemlich schnell zu sprechen auf das, was sie wirklich interessiert. Der stinkende Nieswurz zum Beispiel mit seinen großen dunklen Blättern – »sehr stabil und resistent, aber auch sehr giftig«. Bald schon, im späten Januar, öffne er seine blass grüngelblichen Blüten und kündige den Frühling an. Wenn sie nach Inspiration sucht, braucht die Malerin nur die mehrspurige Straße zu überqueren, die ihr Atelier vom Düsseldorfer Südpark trennt. Dort hatte vor einigen Jahren auch alles angefangen. Die Kunstakademie, wo sie damals noch studierte, war wegen Corona geschlossen, und Loureiros Großformate machten die Heimarbeit beinahe unmöglich. Deshalb musste sie sich ein eigenes Atelier leisten und quert seither jeden Morgen und jeden Abend die Grünanlage zwischen ihrer Wohnung in Düsseldorf-Bilk und dem Arbeitsraum im benachbarten Stadtteil Wersten.
Insekten eroberten ihre Bildwelt
»Die Landschaftsgärtner*innen machen dort eine tolle Arbeit – der Park sieht immer wieder neu aus«, schwärmt Loureiro. Hier bekomme man ein ganz anderes Gefühl für Zeit – oft steige sie ab, um Pflanzen und Insekten aus der Nähe zu betrachten. Zuvor schon hatte sie sich für die Natur interessiert, allerdings eher in der Freizeit. Seit sie den Südpark kennt, haben Pflanzen und Insekten mit Macht ihre Bildwelt erobert. Und auch den Kopf. Onlinekurse, Podcasts, Hörbücher helfen der Malerin, ganz tief in die Materie einzusteigen. Bis heute. Es sei ein bisschen wie eine Obsession, als würde man sich in eine Spezies verlieben: »Ich sammele Informationen, beginne ein Bild, beriesele mich dabei so lange mit Wissen, bis ich meine, etwas verstanden zu haben.« Über Ameisen etwa. Das Hörbuch »Weltmacht auf sechs Beinen« habe ihr das faszinierende Insekt sehr nahegebracht. Wie es seinen Alltag gestaltet und seine Zivilisation organisiert. Dass Ameisen Agrikultur betreiben und ein medizinisches System entwickelt haben – sogar Amputationen durchführen können. All das inspirierende Wissen würde ihr dabei helfen, diese Wesen beseelt darzustellen.
Auf absolute Naturtreue legt sie dabei keinen Wert. Ihre Bilder wollen nicht realistisch sein, nur plausibel. Und das sind sie, selbst in der gigantischen Vergrößerung, die Flora und Fauna mitunter bedrohlich erscheinen lässt. Eine Wirkung, die Loureiro zwar versteht, aber nicht beabsichtigt. Viel eher gehe es ihr um einen Perspektivwechsel: Die riesige Ameise betrachte man mit anderen Augen – eine Erfahrung, die dem anthropozentrischen Weltbild zuwiderlaufe. Es sei schön, den ganzen Tag im Atelier malen zu können und beim Hören der Podcasts und Hörbücher nebenbei auch noch etwas zu lernen. Multitasking könnte man das wohl nennen. Im Laufe des Gesprächs wird klar, warum sie auf der Suche nach Inspiration diese rationelle Strategie so schätzt. Sie muss knausern mit der Zeit. In Vorbereitung ihrer ersten großen Einzelausstellung arbeitet die Künstlerin seit einem Jahr praktisch durchgehend 14 bis 16 Stunden täglich. Mitte Februar wird sie im Düsseldorfer KIT einziehen mit rund 20 Arbeiten, hinter denen neben der Kopfarbeit auch viel malerische Mühe steckt. Loureiro zeigt auf das Bild einer überdimensionierten Walderdbeere und erklärt, wie sie so eine Frucht aus fünf, sechs oder sogar sieben Malschichten aufbaut. Das dauert Monate.
So kommt es auch, dass die Jahreszeiten in ihrem Werk mit einiger Verzögerung ihren Niederschlag finden. Die Ausstellung demnächst im KIT werde vor allem Bilder zeigen, die den Spätsommer feiern und dabei nicht nur an Düsseldorf denken lassen. Eine weitere wichtige Quelle der Inspiration liegt in Portugal. Offenkundig sehr gerne und gut erinnert sich Loureiro an die Erntezeit im kleinen Ort, wo die Großeltern leben und sie schon so viele Sommer verbracht hat. Wer also des Düsseldorfer Winters überdrüssig ist, der könnte demnächst ein bisschen portugiesisches Sommerfeeling im Tunnel tanken – zwischen üppigen Blüten, Falten, Fliegen und einem überreifen Granatapfel.
»Melanie Loureiro. Die Verbundenheit der Kreaturen«
KIT – Kunst im Tunnel, Düsseldorf
15. Februar bis 1. Juni