Jetzt heißt es loslassen. Gereon Krebber muss seinen Werken schnell noch Namen geben, denn schon am nächsten Tag wird die Transportfirma ins Atelier kommen und rund 90 Keramiken mitnehmen. Auch all jene bezaubernd ekeligen Quaps, mit denen er Wochen oder Monate gelebt und gelitten hat, werden weit, weit weg zur Kunstmesse NADA nach Miami reisen. Lässt der Künstler sie gerne gehen? Ist er aufgeregt vor ihrem ersten öffentlichen Auftritt? Macht es ihn vielleicht ein bisschen traurig zu wissen, dass er einige von ihnen wohl nie mehr wiedersieht? Fragen und Gefühle, mit denen wohl jeder Künstler, jede Künstlerin umgehen muss. Was bedeutet das Loslassen für sie oder ihn? Stefanie Stadel hat nachgehört.
Gereon Krebber
»Es ist ein ambivalentes Gefühl. Wenn in diesem ozeanischen Treiben des Kunstmachens der Punkt kommt, an dem es ernst wird. Einerseits denke ich: schade, dass die Werkgruppe abgeschlossen und die Arbeit daran vorbei ist. Andererseits fühle ich auch so etwas wie Erleichterung, dass die Stücke nun flügge sind. Dass sie Platz machen für etwas Neues. Ein bisschen Wehmut ist aber auch im Spiel: Man denkt manchmal‚ ‚Mensch ist das eine geile Arbeit, die sollte ich behalten’. Man tut es dann aber doch nicht und macht sich vor, sie einfach noch einmal schaffen zu können. Das ist natürlich Quatsch, das funktioniert nie. Weg ist weg. Deshalb bin ich froh, dass ich morgen in Düsseldorf an der Akademie zu tun habe. Ich muss die Quaps nicht einpacken. Wenn ich zurückkomme ins Atelier, wird alles fort sein. Das macht den Abschied etwas leichter.«
Gereon Krebber ist 1973 in Oberhausen geboren. Als Meisterschüler von Tony Cragg hat er das Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf abgeschlossen. Seit 2012 lehrt er dort nun selbst als Professor für Bildhauerei. Lange schon hat er sein Atelier in Köln. Mit der Galerie Christian Lethert reisen seine neuesten Arbeiten jetzt zur Kunstmesse NADA nach Miami (5. bis 8. Dezember 2020).
Sabine Moritz
»Je professioneller man wird, desto einfacher ist es loszulassen. Man entwickelt Schutzmechanismen, die die Trennung leichter und eigentlich auch schön machen. Denn mit dem Loslassen schließe ich etwas ab. Ich weiß, dass es nun in die Welt geht, von anderen gesehen wird und sich bewähren muss. Dabei bin ich durchaus unsicher, aufgeregt und nervös, weil ich nicht weiß, wie neue Arbeiten in einem anderen Kontext funktionieren und ob sie so wirken, wie ich es mir vorstelle. Ich bin dünnhäutiger, als ich es wohl sein müsste. Da hilft es, alles zu planen: Wir bauen immer Modelle, in denen ich die Hängung ausprobieren kann. Außerdem helfen Ausstellungen und Kataloge, die Dinge zu versachlichen. Als Künstler behält man ja eh das Copyright, und von jedem Werk lasse ich gute Fotografien machen. Dadurch bleibt man auch mit Arbeiten, die verkauft sind, wie durch eine unsichtbare Schnur verbunden. Ich möchte auch wissen, wo die Arbeiten hingehen, um sie eventuell für spätere Ausstellungen ausleihen zu können. Ein anderer Mechanismus ist, immer einzelne Werke zu behalten, die vielleicht gar nicht so auffällig, doch für mich persönlich von großem Interesse sind. Eine Beziehung zu behalten, darauf lege ich schon sehr großen Wert.«
Sabine Moritz, 1969 geboren, hat ihre Kindheit in der DDR verbracht und ist als Jugendliche mit ihrer Familie in den Westen ausgereist. Studiert hat sie unter anderem an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Gerhard Richter, mit dem sie seit 1995 verheiratet ist. Lange stand Moritz als Malerin im Schatten des berühmten Ehemanns, doch seit ein paar Jahren zieht ihre Karriere an. Zurzeit präsentiert die Kunsthalle Rostock sie in einer großen Retrospektive (bis 5. Januar 2020).
Karin Kneffel
»Es ist im Grunde wie mit Kindern, die erwachsen werden. Vielleicht ist man ein bisschen traurig, doch lässt man sie gerne los, weil man ein gutes Gefühl hat und denkt, das schaffen die. Wenn ich ein Bild habe, wo ich es hinbringen wollte, dann lasse ich es auch gerne los –kein Problem. Ich muss dahinter stehen, überzeugt sein, dann bin ich auch nicht aufgeregt bei der ersten Ausstellung neuer Arbeiten. Die Alternative wäre ja, dass sie in irgendeinem Lager verstauben würden. Sie sollen aber raus und gesehen werden, mit anderen Menschen kommunizieren. Ich freue mich natürlich unheimlich, wenn ich solche Arbeiten ab und an wiedersehe. Das ist dann so wie alte Bekannte treffen: Vielleicht fremdelt man anfangs ein bisschen, schaut, ob man sich noch etwas zu sagen hat. Alles gebe ich allerdings nicht weg. Mindestens ein Bild von jeder Serie möchte ich zurückhalten und denke dabei auch an meinen Sohn – dass etwas übrig bleibt für ihn. Bei mir zu Hause habe ich kaum ein eigenes Bild hängen, und wenn, dann packe ich es nach kurzer Zeit wieder weg.«
Karin Kneffel, 1957 in Marl geboren, hat ihr Studium als Meisterschülerin von Gerhard Richter an der Düsseldorfer Kunstakademie abgeschlossen. Weiterhin lebt sie in Düsseldorf und lehrt an der Akademie der Bildenden Künste in München. Aktuell präsentiert das Museum Frieder Burda die Malerin in einer großen Einzelausstellung (bis 8. März 2020).
Cornelius Völker
»Es ist eine Mischung verschiedenster Gefühle, die für mich mit dem Loslassen eines Werkes verbunden sind. Zum einen natürlich die Freude darüber, dass das Werk nun den Auszug aus dem Atelier in die Welt geschafft hat, zum anderen die Unsicherheit, welchen Weg es gehen wird. Doch zunächst einmal versuche ich, die Bilder nicht sofort loszulassen, ich halte sie, wenn möglich, eine Weile bei mir im Atelier, um sie zu überprüfen. Ich stelle sie etwa neben bewährte Arbeiten, um sicher zu gehen, dass sie gut genug sind und außerhalb des Ateliers bestehen können. Einige Bilder fallen durch und werden das Atelier nicht verlassen, andere ziehen los, manchmal leider auch, ohne dass ich weiß, ob ich sie wiedersehen werde oder wie es ihnen ergehen wird. Diesem vielleicht negativen steht das positive Gefühl gegenüber, wenn man erfährt, dass jemand bereit ist, viel Geld auszugeben für etwas, das ich geschaffen habe und das ihn möglicherweise viele Jahrzehnte lang begleiten wird. Zu dem er eine Bindung aufbaut und es womöglich täglich anschaut.«
Viel Farbe steckt in Cornelius Völkers Gemälden, dazu kommt eine satte Portion Kunstgeschichte. Der 1965 in Kronach geborene Maler hat bei A.R. Penck und Dieter Krieg an der Düsseldorfer Akademie studiert. In Düsseldorf ist er geblieben und hat seit 2005 eine Professur an der Kunsthochschule in Münster.