Lang zieht sich die schmale Straße durch Kölns Altstadt. Im Rücken die mittelalterliche Stadtmauer, vor Augen die romanischen Türme von Sankt Gereon, hat man das Ziel erreicht: Am »Klingelpütz« 29 liegt hinter einer Toreinfahrt versteckt das Fotostudio von Maurice Cox, der noch mehr geschichtsträchtige Details zu seiner Adresse erzählen kann. Von den Clingelmanns, die im 13. Jahrhundert hier lebten und die Umgebung mit Wasser versorgten aus ihren Brunnen, auf Kölsch »Pütz«. Cox’ Studio ist zwar nicht so alt wie die Clingelmannschen Brunnen. Doch gibt es sicher nicht viele in der Foto-Branche, die Cox – was die Tradition betrifft – das Wasser reichen könnten.
Ein Fotoatelier und seine Besitzer – im Laufe der Zeit
Die prominente Ahnentafel des Unternehmens reicht immerhin zurück bis zu Hugo Schmölz, der 1911 unweit in Köln-Nippes ein Atelier eröffnet hatte und zu einem der wichtigsten Architekturfotografen seiner Zeit zählte. Sohn Karl Hugo trat in die Fußstapfen des Vaters und zog nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit seinem Compagnon und Schwager Oskar Ullrich zum Klingelpütz. 1971 übernahm Wim Cox, seinerseits Spross aus bester niederländischer Fotografen- und Filmer-Familie, den Betrieb. Zwar übergab er ihn vor bald 20 Jahren an den Sohn Maurice (Jahrgang 1970), doch schaut er beinahe jeden Tag vorbei. Während Clingelmanns Brunnen längst versiegt sind, bleibt hier in Sachen Fotografie also alles im kreativen Fluss. Und der lässt sich auch gern einmal lenken und leiten von der bedeutsamen Historie.
70.000 Aufnahmen im Bestand
Sie liegt nicht bloß in der Luft, die Tradition ist an diesem Ort sehr handfest und überall greifbar. Denn zum Studio, das Wim Cox einst übernahm, gehört neben den Räumen auch die komplette Ausstattung mitsamt technischem Equipment und dem fotografischen Archiv der renommierten Vorgänger. Maurice Cox schätzt den Bestand auf 60.000 bis 70.000 Aufnahmen. »90 Prozent davon sind Glasnegative«, die meisten stammen von den Schmölzens und reihen sich in genau den langen Kellerregalen, in denen sie einst abgelegt worden sind.
Zu den ältesten zählen Aufnahmen, die Hugo Schmölz während der 20er und 30er Jahre im Auftrag des großen Kirchenbaumeisters Dominikus Böhm gemacht hat. Nach dem frühen Tod des Vaters übernahm der Sohn 1938, 21 Jahre jung, die bestens eingeführte »fotowerkstatt hugo schmölz« und knüpfte mit ungeheurer Präzision an die hohen Standards an. So dokumentierte Karl Hugo nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit seiner Plattenkamera etwa das Kölner Trümmermeer – zerbombte Straßenzüge, die Ruine des Rathauses, die Reste der romanischen Kirchen. Die Ergebnisse sind ästhetisch perfekt, streng sachlich und doch ergreifend.
Wilhelm Riphahn und Rudolf Schwarz als Kunden
In den 1950ern ist dann der Wiederaufbau im Wirtschaftswunderland sein Thema. Im Auftrag von Architekten-Stars wie Wilhelm Riphahn oder Rudolf Schwarz nimmt Schmölz nun Glasfassaden und geschwungene Treppenhäuser ins Visier, er fotografiert elegante Bürogebäude, Schaufensterfronten und Ladenpassagen. Elegante Kinosäle, Cafés und Eissalons, die ebenso menschenleer sind wie die lichten Sitzecken mit Nierentisch und Gummibaum.
Die Aufarbeitung dieses Schatzes scheint bei den Coxens zu einer Art Familienhobby geworden zu sein – ein recht anspruchsvolles. Die alten Archivbücher der Fotowerkstatt haben sie komplett entziffert und in eine Excel-Tabelle überführt. So dass nun alles recht gut auffindbar sei, bemerkt Maurice Cox, der gemeinsam mit seinem Vater bereits diverse Buch- und Ausstellungsprojekte aus dem Fundus bestückt hat und die alten Archivnummern mit den eigenen Aufnahmen bis heute fortschreibt.
Für die Kameras und Apparaturen von Cox, Schmölz & Co. hat Wim Cox vor einigen Jahren im Keller ein eigenes »Museum für analoge Photographie« eingerichtet. Kurz »MAPh«. Maurice, selbst Kölner mit niederländischem Pass, weist lächelnd darauf hin, dass »maf« auf Niederländisch »verrückt« heißt – und so sieht es auch aus. Mitverantwortlich für das wunderbare Drunter und Drüber ist sicher die Leidenschaft des Museumsgründers, der das hauseigene Technik-Inventar auf Flohmärkten nach Kräften aufgestockt hat.
Vollgehängt Wände, überfüllte Regale und Vitrinen, in denen Kostbarkeiten warten wie eine funktionsfähige Kamera von 1889. Dazwischen ein fantastischer Maschinenpark, der weit zurückweist in die Geschichte des Mediums: Mächtige Apparaturen, mit denen die »Fotowerkstätte H. Schmölz« reproduziert, vergrößert, beschichtet hatte. Es scheint, als habe Maurice Cox die passenden Bedienungsanleitungen alle im Kopf und jedes einzelne der Geräte ausprobiert. So anschaulich erzählt er von der Mühsal der Retusche oder Komplikationen bei der Belichtung. Die Fotografie war einmal ein ziemlich aufwändiges Geschäft, das im Betrieb einst von mehr als zehn Mitarbeitern erledigt wurde. Maurice Cox schmeißt den Laden inzwischen allein. Nebenbei führen er oder sein Vater besonders gern junge Leute durch den »verrückten« Keller, um ihnen klar zu machen, was eigentlich hinter der Fotografie steckt – viel mehr als der Klick aufs Handy.
Während unter der Erde also das Analoge musealisiert wird, hat oben im Studio natürlich längst der Computer die Dunkelkammer verdrängt. Hier nimmt Maurice Cox zum Beispiel werbewirksame Food-Fotos auf: »Cannelloni Ricotta & Spinat« appetitlich in Szene gesetzt. Häufiger aber ist er unterwegs, oft um – in alter Schmölz-Tradition – Architektur zu fotografieren. Eines der dicksten unter den Büchern, die er auf dem Tisch gestapelt hat, ist der erst vor ein paar Monaten veröffentlichte Bildband mit Texten der ehemaligen Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner und bemerkenswerten Bildern aller Kölner U-Bahnhöfe. Um die 40 hat Maurice Cox aufgenommen – immer bei Nacht und menschenleer, damit nichts ablenkt von den selten beachteten, doch mitunter recht beeindruckenden Bauwerken.
Köln liegt an der Seine – im Jahr 1937
Ebenfalls im Stoß versteckt sich ein kleines Büchlein, das Vater Wim neulich veröffentlicht hat. Vorausgegangen waren etliche Streifzüge durch den Wald, wo der nimmermüde Fotograf Rinden und Borken erkundete, mitsamt dem Schattenspiel von Blättern und Zweigen. Auch zu Karl Hugo Schmölz findet sich etwas: Ein Buch zur Schau, die aktuell im Kölnischen Stadtmuseum läuft, »Paris an der Seine«. Die dort ausgestellten Bilder stammen aus dem Archiv am Klingelpütz und erzählen vom letzten gemeinsamen Fotoprojekt, das Vater und Sohn Schmölz 1937 zur Weltausstellung nach Paris führte, wo Köln kurioserweise als weltweit einzige Stadt einen eigenen Pavillon errichtet hatte – mit Café-Terrasse auf der Seine.
Schon oft habe man ihn gefragt, ob er den sagenhaften Bilderschatz im Keller-Archiv nicht lieber abgeben wolle, so Wim Cox. »Aber ich bin eigensinnig und bleibe es.« Ein Glück, denn wenn Cox und seine Sturheit nicht wären, dann hätten die kostbaren Glasnegative wahrscheinlich schon längst den Weg ins Stadtarchiv gefunden – und wären dort beim Einsturz mit Sicherheit zu Bruch gegangen.
Maurice Cox macht Besuche im Kölner »Museum für analoge Photographie« (Klingelpütz 29) gerne möglich – allerdings nur nach Anmeldung: Tel.: 0221/13 36 77 oder per Mail an maurice@coxfoto.de
»Köln an der Seine – Der Pavillon der Stadt Köln auf der Pariser Weltausstellung 1937«. Kölnisches Stadtmuseum, bis 26. Januar 2020, www.koelnisches-stadtmuseum.de