Unumschränkt wie der Baron Haussmann im Paris Napoleons III. konnte der Architekt Wilhelm Riphahn im Nachkriegsköln nicht wirken; es hätte seiner Persönlichkeit auch kaum entsprochen, obwohl er Kühnes mit dem Kölner Hauptbahnhof vorhatte: Er wollte ihn beseitigen. Allerdings ist, mit Sorgfalt überlegt, auch daran zu zweifeln, ob es gut für Köln gewesen wäre, hätte Riphahn, sicher der einflussreichste Baumeister der Stadt im 20. Jahrhundert, deren Wiederaufbau nach der Kriegszerstörung allein in die Hand genommen: Zu schwach nämlich wirkt sein Nachkriegswerk gegenüber dem seiner frühen Jahre, zu zeittypisch harmlos ducken sich seine 50er-Jahre-Bauten, als dass man wünschen möchte, ganz Köln sähe so aus. Als dass es sich für historisch Unbedarfte und renditegeleitete Ignoranten der Kölner Stadtspitze in diesen Wochen, wie im Falle der Kölner Oper, von selbst verböte, von Abriss zu reden.
Die Oper am Offenbachplatz ist Riphahns Opus maximum; nachdem 1951 der Wiederaufbau des zerstörten Vorgängerbaus am Rudolfplatz verworfen worden war, sollte ein repräsentativer Neubau an der Glockengasse Nachkriegs-Kölns kulturelle »Strahlungskraft« unter Beweis stellen – auf dem Gelände der 1861 dort erbauten »Großen Synagoge«, die 1938 in Brand gesetzt, im Krieg völlig zerstört und deren »entjudetes« Grundstück 1943 in den Besitz der Stadt übergegangen war. Es ist nicht bekannt, inwieweit Wilhelm Riphahn, der ab 1952 mit den Kölner Opernbauplänen beschäftigt war, sich mit der blutigen Geschichte seines Bauplatzes auseinandersetzte, aber die Ausstellung, die zu seinen Ehren jetzt im Museum für Angewandte Kunst (MAK) gezeigt wird, fragt auch nicht danach – was nicht nur eine Taktlosigkeit darstellt, sondern eine wissenschaftliche und historische Fahrlässigkeit.
Abgesehen davon ist es ein Verdienst, das Lebenswerk Riphahns endlich einmal museal aufzubereiten, des Architekten, der wie kein anderer das Gesicht der Domstadt über fünfzig Jahre hin prägte. 1889 als Sohn eines Bauunternehmers in Köln geboren, studiert Riphahn in München, Berlin und Dresden, ist zeitweilig Mitarbeiter bei Bruno Taut und beginnt ab 1913 in seiner Heimatstadt zu bauen. Es entstehen Wohn- und Geschäftshäuser, die sich zunächst barocken Formvokabulars bedienen und süddeutsch wirken; mit Entwurf und Ausführung der Siedlung in Köln-Bickendorf macht Riphahn jedoch einen Schritt in eine entschlossener urbane Moderne. Die Siedlung ist gartenstädtisch geprägt, Riphahn war kurz zuvor ins Essener Architektenbüro Caspar Maria Grod eingetreten, und für seinen Kompagnon war die Krupp’sche Margarethenhöhe Georg Metzendorfs prägend. Doch wirkt Riphahns »Bickendorf I« (1918-1920) kühler, sachlicher, weist schon hin auf seine Siedlungsbauten der 20er Jahre (Bickendorf II, »Blauer Hof«, Zollstock, »Weiße Stadt«): mehrgeschossige Blockbebauung um einen grünen Innenhof, rhythmisch gegliederte Fassaden, eingezogene Balkone, Flachdächer – die plastische Wirkung entsteht hier, unter zunehmendem Verzicht auf Dekor, allein aus dem Kubus und streift damit alles Dörfliche, Heimatliche ab. Bald ist Riphahn als herausragender Vertreter des »Neuen Bauens« bekannt. Der Architekt macht seiner Berufsbezeichnung Ehre, denkt ganzheitlich: sucht ein Optimum an natürlichem Lichteinfall, bedenkt Einkaufsmöglichkeiten und Lärmentwicklung, sorgt für ausreichendes Grün und breite Gehwege. Verpflichtet progressive Künstler, seinen Häusern eine freundliche Farbgestaltung zu verleihen. Ist einer der ersten, die Bäder einbauen und gesonderte Toiletten.
Die Ausstellung, die das MAK aus dem im Historischen Archiv der Stadt Köln verwahrten Nachlass des Architekten aus Fotografien, Plänen und Modellen zusammengestellt hat, ist sorgfältig, ausführlich, (selbst im ausführlichen Katalog) ein wenig unkritisch. Die wahre Ausstellung der Arbeiten Riphahns befindet sich allerdings draußen in der Stadt: Viele von seinen Bauten sind (durch Krieg und Umbau) zerstört, viele aber stehen noch. Noch immer sehenswert ist seine Siedlung »Weiße Stadt« in Köln-Buchforst, entstanden als reine Zeilenbauweise von hohem Typisierungsgrad, der jedoch durch die bei den Balkonen jeweils vorspringende Fassadenflucht abgemildert wird; die Fenstergestaltung besitzt Rhythmik und eine zurückhaltende Eleganz, die klaren Fassaden und flachen Dächer verleihen den parallelisierten Baukörpern etwas Freies, Unbiederes, Südliches. Die Siedlung, die zwischen 1926 und 1932 im Auftrag der Wohnungsbaugesellschaft GAG entstand, ist als Einheit gedacht und kann stellenweise noch immer so erlebt werden – die zugehörige Kirche St. Petrus Canisius allerdings befindet sich in einem erbärmlichen Zustand, aufgeschraubte Kunststoffplatten lassen den klaren Turm (neben dreischiffiger Basilika mit gerundeter Apsis) wie einen Legostein erscheinen, ein riesiges scheußliches Kreuz obenauf verhöhnt den Gesamtentwurf.
Es ist die Ignoranz gegenüber dem eigenen Erbe – nicht nur in Köln an der Tagesordnung –, die auch das wohl berühmteste Bauwerk Riphahns heute schäbig erscheinen lässt: die »Bastei« am Rheinufer. Dieses Panorama-Restaurant von expressionistischer Formsprache, 1924 auf den Fundamenten eines preußischen Festungsturms erbaut, sieht heute wie ein aufgelassenes Stellwerk aus; schon die Wiedererrichtung, die Riphahn selbst 1958 vornahm, hatte die kühne Spitzigkeit und mondäne Frechheit der Urform ein wenig in die verquälte Flottheit der Adenauerzeit abgemildert. Riphahn hat vor dem Krieg heute noch aufregende Bauten entworfen: Wohnhäuser von urbanem Stolz, Hochhäuser, die sich ihrer Massen nicht schämten. Sein Pavillon für die Kölnische Zeitung auf der Internationalen Presseausstellung 1928 in Köln zeugt davon. Nach dem Krieg aber merkt man auch ihm die allgegenwärtige Angst der Nachkriegsdeutschen an, groß zu denken, weil Größe Monstrosität bedeutet hatte und eine – auch ästhetische – Auseinandersetzung mit dem Geschehenen erst Ende der 60er Jahre beginnt. So können die Wohn- und Geschäftshäuser auf der von ihm gestalteten neuen Hahnenstraße (zwischen Rudolfplatz und Neumarkt) mit der »Brücke« des Britischen Kulturinstituts kleinstädtische Ängstlichkeit nicht verbergen – erst jetzt, da durch zeitlichen Abstand jene Jahre zitierfähig geworden sind oder aber ironisch begriffen werden, bekommen diese Bauten großstädtische Qualität. Das wird dem Wohnhaus, das er 1950 für den Bildhauer Gerhard Marcks oder dem Verwaltungsbau, den er 1952 für die »Concordia« am Maria-Ablass-Platz erbaute, wohl kaum widerfahren, sie sind beide von ernüchternder Banalität. Das halbe Bauensemble rund um die Oper stammt von seinem Reißbrett – und reißt doch niemanden heute zu Begeisterungsrufen hin.
Riphahn nahm an den Wettbewerben zu den Neubauten der Theater in Mannheim, Stuttgart, Recklinghausen, Essen teil, seine Entwürfe sahen sonderbarerweise jedes Mal fast genauso wie die seiner siegreichen Konkurrenten aus – was den Baumeister als Angehörigen des 50er Jahre-Mainstreams ausweist. Der Kölner war im Laufe seines Arbeitslebens sehr wandlungsfähig, allem Neuen aufgeschlossen, er folgte keiner Theorie; in seinen späten Jahren war dies eher von Nachteil. Auch Riphahns Oper am Offenbachplatz, 1957 eingeweiht, wollte ausdrücklich nicht repräsentieren; ein erster Entwurf zeigte die prägenden Funktionsbauten rechts und links des Bühnenturms nicht abgeschrägt, sondern quaderförmig, wodurch sie wie x-beliebige Hochhäuser gewirkt hätten. Die jetzige Terrassenbauweise allerdings lässt sie wie ein Appartementhaus in Timmendorfer Strand aussehen, so als schämte der Bau sich, ein Opernhaus, ein Haus der Kunst, der Illusion, des Immateriellen zu sein. So heruntergekommen, wie sie die Kölner Kulturverwaltung werden ließ, ist die Oper allerdings von vornherein gehandicapt im ungleichen Kampf zwischen Ästhetik und Rendite, wenn es darum geht, den Riphahn-Bau abzureißen und das Filetgrundstück, auf dem einmal die Synagoge stand, an Investoren zu verscherbeln – eine Option, die von Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma favorisiert wird.
1963 ist Wilhelm Riphahn in Köln gestorben, in ihm spiegelte sich die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts, von den kühnen Entwürfen bis hin zum ängstlichen Design. Das Renditebauen, das Häuser als Verpackung und Stadtplanung als Gefälligkeit für Investoren begreift, hat er nicht mehr erlebt.
Bis 2. Februar 2005. Katalog 28 Euro. Tel.: 0221/221-22334