Zunächst muss man wissen: In der Kulturpolitik des Bundes gibt es zwei Kraftzentren. Das eine ist das Amt der Beauftragten für Kultur und Medien, seit 2013 bekleidet von der CDU-Politikerin Monika Grütters. Das andere ist der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. Dort wird immer im November entschieden, wo all die zusätzlichen Milliarden hingehen, die im Laufe eines Jahres in der Steuerkasse übrig geblieben oder zusätzlich aufgelaufen sind. In dem Gremium hat jede Fraktion für jeden Politikbereich eine*n Berichterstatter*in, und für Kultur macht das bei der SPD Johannes Kahrs aus Hamburg. Er ist gleichzeitig haushaltspolitischer Sprecher seiner Fraktion und gilt vielen als der vielleicht einflussreichste Mann im Ausschuss. Wer in diesem Land vom Bund Geld für Kulturelles haben will, von Grütters im Etatentwurf der Regierung aber nicht berücksichtigt wird, hat dann nur noch eine Chance: bei Kahrs. Das sorgt naturgemäß für Konflikte, die jedoch nur selten öffentlich werden. Das Fotoinstitut Düsseldorf ist so ein Fall.
Andreas Gursky als Fürsprecher
Jahrelang hatte der internationale Kunststar Andreas Gursky für ein Fotografie-Zentrum in seiner Heimatstadt geworben. Darin wurde er seit spätestens 2013 vom renommierten Kurator Thomas Weski unterstützt, der die zugehörigen Konzepte schrieb. Bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion im Jahr 2018 im Düsseldorfer Künstlerverein Malkasten war es auch Weski, der erstmals öffentlich von einem »Institut« sprach und das Deutsche Literaturarchiv in Marbach dafür als organisatorisches Vorbild nannte. Im selben Jahr hatte Weski erstmals einen Termin bei Monika Grütters in Sachen Fotoinstitut Düsseldorf. Die Grundidee gefiel ihr offenbar: Technische, restauratorische und archivarische Kompetenzen rund um die Fotokunst an einem zentralen Ort zu bündeln und von dort allen Akteur*innen im Land zur Verfügung zu stellen. Es passierte aber erstmal nichts.
Großes Medienecho
Anders in Düsseldorf: Das dort ansässiche Projektentwicklungsbüro Projektschmiede, das schon in der Debatte um die Deutsche Oper am Rhein immer wieder Ideenskizzen in die Öffentlichkeit bringt, hatte aus eigener Initiative einen Entwurf angefertigt, wie so ein Institut denn wohl aussehen könnte – und wie das wirkt, wenn es im städtischen Kunstareal am Ehrenhof angesiedelt würde, also in direkter Nachbarschaft zu Museum Kunstpalast, NRW-Forum und der berühmten Tonhalle. Die stylishen Bilder des leicht futuristisch wirkenden Baus lösten ein großes Medienecho aus und sorgten bei Oberbürgermeister, Stadtrat und Landesregierung zunehmend für Interesse.
Im Juli 2019 veranstaltete Grütters dann aus heiterem Himmel eine prominent besetzte Diskussion in der Berliner Akademie der Künste. Zu den international renommierten Kurator*innen auf der Bühne gehörte auch Thomas Weski. Wenige Wochen später berief Grütters ihn und drei weitere Podiumsteilnehmer*innen in ein »Expertenteam«, um in einer »Machbarkeitsstudie« Handlungsempfehlungen für eine zentrale Einrichtung in Sachen Fotografie zu entwickeln. Weski wurde sogar zum Leiter der Kommission ernannt. Und der ursprüngliche Initiator des Ganzen, Andreas Gursky, mit keiner Silbe mehr erwähnt.
»Deutsches Fotoinstitut Düsseldorf«
Deshalb schickte Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) im Oktober 2019 kurzerhand einen Förderantrag der Stadt an seinen Parteifreund Johannes Kahrs in Berlin. Im Anhang ein deutlich erweitertes Instituts-Konzept von Andreas Gursky, seinem Mitstreiter Moritz Wegwerth und weiteren hochkarätigen Akteur*innen der Fotoszene. Kahrs brachte das Projekt unter dem Titel »Deutsches Fotoinstitut Düsseldorf« in den Haushalt für 2020, unter dem Vorbehalt einer Kofinanzierung durch das Land. Am selben Tag verkündete Ministerpräsident Laschet, NRW werde die gleiche Summe aufbringen wie der Bund; die Stadt erklärte sich bereit, das Grundstück zu stellen. Grütters dankte dem Ausschuss daraufhin erkennbar indigniert, aber diplomatisch für das Geld und nannte die Idee für das Institut dabei »meinen Vorschlag«. Tatsächlich hatte sie dem Parlament aber ja gerade nichts dergleichen vorgeschlagen – und ihre Idee war es nachweislich auch nicht.
Anfang März präsentierte ihr Expertenteam dann sein Konzept für ein »Bundesinstitut Fotografie«: Auf 23 höchst luftig layouteten Seiten, in denen auch nicht viel mehr steht als in all den Papieren, die Thomas Weski Jahre zuvor bereits für Gursky geschrieben hatte. Mit zwei wesentlichen Unterschieden: Von den vor allem technisch-wissenschaftlichen Gegenwarts- und Zukunftsfragen der Fotografie, die den Düsseldorfer und seine Kolleg*innen umtreiben, ist keine Rede mehr. Vor allem aber spricht sich die Kommission nun plötzlich für Essen als Standort aus. Dort gebe es durch den Verbund von Krupp-Archiv, Ruhr Museum, Folkwang Universität und Museum Folkwang für das Institut »die besten Chancen, sich zu einem Leuchtturm für Fotografie zu entwickeln«.
Gehörte die Standortfrage zum Arbeitsauftrag?
Mit der – fachlich hochkompetenten – Ute Eskildsen war aber ausgerechnet die langjährige Vizedirektorin des Essener Museum Folkwang eine der vier Expert*innen. Das sorgt bei vielen Beobachtern für mehr als nur hochgezogene Augenbrauen. Zudem ist fraglich, ob die Standortfrage überhaupt zum Arbeitsauftrag der Kommission gehörte; bis zum Tag der Entscheidung im Haushaltsausschuss für Düsseldorf war davon jedenfalls nie die Rede. Und auf dem Papier (!) ist eigentlich weiterhin alles klar. Mit den Parlamenten in Bund und Land haben sogar gleich zwei Gesetzgeber eindeutige Beschlüsse gefasst – für Düsseldorf. Nun wird wohl die Landesregierung in Person von Kulturministerin Pfeiffer-Poensgen versuchen, die Interessen aller Beteiligten irgendwie doch noch unter einen Hut zu bringen. In der Politik ist es manchmal wie auf Fotos: Die Realität und unser Bild von ihr sind nicht unbedingt das gleiche.