Urbanes Leben und Architektur implizieren einander. Wie sie sich bedingen, beeinflussen und ineinander wirken, das kann die Kunst hinterfragen und sichtbar machen. Was passiert zum Beispiel, wenn Passant*innen mitten in der Stadt einen Tag lang aus Kartonagen ein Elefantenhaus aus dem alten Zoo errichten, zusammen Richtfest feiern und das temporäre Bauwerk dann am nächsten Tag wieder abreißen? Mit seiner Idee der »Monumental Constructions« ist der Franzose Oliver Grossetête in diesem Jahr zu den »Flurstücken« eingeladen. Beim Festival werden vier Tage lang im Stadtraum von Münster Aufsehen erregende Arbeiten aus den Bereichen Theater, Tanz, Performance und Kunst gezeigt. Der gemeinsame Bau des Elefantenhauses ist eine Produktion von insgesamt zwölf (aus sechs verschiedenen Ländern) und will dabei auch sozialen Kitt stiften. Denn das Festival steht diesmal unter dem Motto »Berührung«.
Dass Berührung auch eine Begegnung mit dem (noch) Unbekannten meinen kann, will die katalonische Gruppe Kamchàtka zeigen, die sich in »Habitaculum« mit dem Thema Migration beschäftigt. Eine Gruppe Neuankommender, in der Hand nichts als einen Koffer – im Gepäck aber viel mehr: ihre Kultur, Erinnerungen und Erfahrungen. Unterwegs ist das »Flurstücke«-Publikum im ideellen wie im konkreten Sinne. Zu einem vierstündigen Performance-Walk lädt Voetvolk (aus Belgien) ein. Aus der münsterschen Peripherie geht’s mitten rein ins Stadtzentrum, Naturerlebnisse treffen auf Kunst und die Spazierenden auf Tänzer*innen, die zum Finale von »Nomadics« ein Tanzstück präsentieren.
Und was, wenn diese – eben noch beobachtete – Natur zurückschlägt? Die Münsteraner Gruppen Theater Titanick und bodytalk fragen in »Kipppunkt«, woran wir festhalten, während die Welt kippt. Angekündigt ist eine »bildgewaltige« und »absurd komische« (Tanz)Theaterinszenierung. Der Belgier Alexander Vantournhout (not standing) plant, die Naturgesetze gleich ganz außer Kraft zu setzen: In »Screws« loten Tänzer-Akrobat*innen mit Hilfe von Bowlingkugeln und Anti-Grativationsschuhen die Grenzen der Physik aus – ein Performance-Parcours der kreativen Kinetik. Unterwegs ist das Publikum auch mit Le Snob (aus Frankreich). Da sausen die Künstler*innen auf Segways und laden zur musikalischen Parade durch die Innenstadt. Akrobatik, Tanz und Neuen Zirkus zeigen einige der eingeladenen Arbeiten – auch die britische Formation Motionhouse: Auf Pfählen sind die Performer*innen unterwegs, um in schwindelerregenden Höhen neue Blicke auf den urbanen Dschungel, auf Natur und Zivilisation zu eröffnen.
Die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe ist Anlass für Stefan Demmings »Dekolonialwarenladen«. Für dieses lebendige Archiv in der Stadthausgalerie arbeitet der Künstler mit dem kenianischen Musiker und Komponisten KMRU, aka Joseph Kamaru, zusammen. In Münsters Naherholungsgebiet mitten in der Stadt, an den Aasee, locken die französischen Aktionskünstler*innen von Ilotopie: Sie wollen Autos auf dem Wasser schwimmen und Straßenlaternen aus den Wellen wachsen lassen – ein feuriges Spektakel zu Händels Wassermusik.
27. bis 30. Juni, im Stadtraum von Münster