Vorne links sitzt Simon Hartmann auf der Bühne. Auf den Knien ein weißes Casio-Keyboard als Insignie des ewigen Alleinunterhalters. Nicht einmal für einen Keyboard-Ständer hat es gereicht. Vermutlich muss er gleich abbauen und weiter zum nächsten Auftritt auf einem Polterabend. In seinem Pailletten-Sakko und den Lack-Sneakern sitzt er nahezu den ganzen Abend dort, begrüßt zunächst das hereinkommende Publikum. Sein Lächeln: aufgesetzt, manchmal fast gequält, als mache er diesen Job schon seit Jahren. Die zurückgegelten Haare wirken, als hätten sie schon bessere Zeiten erlebt. Eine Mischung als Jimi Tenor und Dr. Ammond, auf jeden Fall sehr finnisch als wäre er von Aki Kaurismäki erdacht.
Mit großer Geste und Aufmerksamkeit heischendem Blick ins Publikum drückt er eine Taste und einer der vorgefertigten Tanzmusikbeats schnarrt aus dem Lautsprecher. Er wird später auch noch „Frozen“ von Madonna und „Don’t worry be happy“ von Bobby McFerrin singen und mit einem „Woosh“ die mitgebrachte Discolichter aufblitzen lassen. Und immer wieder kommentiert er das Geschehen neben ihm mit Blicken. Seine Show ist professionell, hunderte Mal abgespult, jedes Zwinkern ins Publikum sitzt, jedes Lächeln strahlt die ganze Tragik des schlecht bezahlten Gute-Laune-Verbreitens aus. Simon Hartmann ist eine Sensation.
Queen im roten Plasstikkleid
„My saturday went pretty well until I realized it was monday“ heißt die neue Produktion von hartmannmueller, die im Tanzhaus NRW uraufgeführt wurde. Wie bei dem Tanz- und Performance-Duo aus Düsseldorf üblich, wurde sie im Vorfeld begleitet durch Trailer und Fotos, die Fährten auslegen und manchmal auch nur Finten sind. Auf Pferden sah man die beiden ehemaligen Folkwang-Tanz-Studenten sitzen, in Frischhaltefolie gewickelt im Einkaufswagen liegen, durch eine anatomische Sammlung streifen und als Queen im roten Plastikkleid mit blauer Krone. Um Selbstoptimierung und Selbstkonservierung ginge es, hieß es in den Texten, aber auch um Hamlet.
Die knapp einstündige Performance ist dann tatsächlich vielleicht all das und auch irgendetwas ganz anderes. Absurder Humor kippt in absolute Nervigkeit, nur um das Abstruse noch zu steigern. Daniel Ernesto Müller wickelt sich gleich zu Beginn in Plastikfolie und bastelt sich eine kurze Latzhose aus Klebeband. Stotternd begrüßt er das Publikum und bleibt bei „ma-ma-ma“ stecken. Wir erinnern uns: Der Mörder von Hamlets Vater heiratete dessen Mutter. „Ma-Ma“ wird zum Exzerzitium des Hamlet-Traumas. Später schneidet er sich aus der Latzhose heraus, nur um sich gleich in ein bodenlanges Klebeband-Kleid zu wickeln, das ihm kaum noch Bewegung erlaubt. Die Latzhosen-Überreste werden von ihm wie das goldene Vlies präsentiert und gleich darauf von Hartmann im Mülleimer entsorgt.
Eine riesige blaue Tasche wird geschwungen, als hätte Bruce Darnell die Regieanweisungen gegeben. „Schulter, Schulter, Nierchen, Hüfte, Zack, Arme, Arme, exaltierte Arme“ – wir sind irgendwie bei GNTM und der unerbittlichen Heidi gelandet. „My Home Is My“, schreibt Müller im nach Erdbeeren duftenden Nebel mit Klebeband an die Rückwand. Ganz am Ende wird er aus „Home“ dann „Hope“ machen. Es ist ein durchgedrehte Labyrinth aus Zeichen, das hartmannmueller ihrem Publikum zumuten. Irgendwo zwischen Klimbim, Herbert Fritsch und tieferer Bedeutung. Es ist Trash, der nur deshalb funktioniert, weil er mit höchster Präzision präsentiert wird. Eine Zumutung, aber eine ganz wunderbare.
Tanzhaus NRW, Düsseldorf, 2. & 3. November, 20 Uhr, www.tanzhaus-nrw.de