Zu Beginn der Bauernhochzeit (»Les Noces«) kippeln 16 Tänzer*innen auf Aluminium-Sitzen einen stampfenden Rhythmus, noch bevor die Musik einsetzt. Es ist ihr drängender Aufruf an die Braut, sich in die arrangierte Ehe zu fügen. Am Schluss schwingen die gleichen Sitze an einer Tischkante glänzend im Licht wie tonlose Glocken. Der italienische Choreograph Mauro Bigonzetti stellt in seiner 2002 uraufgeführten und in Gelsenkirchen erstmals mit Live-Musik gezeigten Version von »Les Noces« Traditionen und Rituale in den Vordergrund. Der brillante Pas des deux, der folgt, lässt das Ehepaar dann auch nicht zueinander finden. Es bleibt ein Kräftemessen. Zu selbstbewusst ist Chiara Rontini als Braut, als dass sie sich dem eleganten und edlen Bräutigam (Alessio Monforte) einfach ergeben würde.
Ballett-Thriller zu Strawinskys Musik
Mauro Bigonzetti ist ein Meister der Bilder und Atmosphären, das Choreografen-Duo Ivgi/Greben zeigt sich im zweiten Teil des Abends als Geschichtenerzähler. Strawinskys »Sacre du Printemps«, das hier nur »Sacre« heißt, deuten sie als einen Thriller: Eine Gruppe Menschen findet sich in einem Kerker wieder. Der Ausgang ist nur über die Schultern eines anderen zu erreichen. Einer wird also zurückbleiben müssen. Wer das labile soziale Gefüge stört, wird gelyncht. Um bei Kräften zu bleiben, schreckt die Gruppe auch vor Kannibalismus nicht zurück. So spannend und heutig kann »Sacre« sein.
Die von Giuseppe Spota neu zusammengestellte MiR Dance Company erweist sich den sehr unterschiedlichen technischen und kräftezehrenden Anforderungen der beiden Choreografien gewachsen. Ganz nebenbei geschieht auch im Orchestergraben Spektakuläres: Giuliano Betta führt die Neue Philharmonie Westfalen sicher durch ein »Sacre«, das bei scharfem, aufgerautem Klang eine rhythmische Vertracktheit freilegt und das Skandalon, das diese Musik bei der Uraufführung 1913 darstellte, wieder erlebbar macht.
13. und 25. Dezember, 9. Januar; Musiktheater im Revier Gelsenkirchen; musiktheater-im-revier.de