Die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts ist bestimmt von Brüchen. Auf der Opernbühne jedoch blieben fundamentale Angriffe selten. Riesenhaft und fast mythologisch verklärt ragt Mauricio Kagels »Staatstheater« von 1971 heraus. Seine Idee des »instrumentalen Theaters« brach mit nahezu jeder Konvention. Handlung, Rollen, die Trennung zwischen Orchestergraben und Bühne – alles warf er zugunsten neuer Spielformen über Bord. Selbst den Gedanken des abgeschlossenen Werkes ließ er fallen. »Staatstheater« besteht aus neun Teilen, insgesamt mehreren hundert Partiturseiten. Das alles würde rund zehn Stunden dauern, eine Auswahl ist also wichtig. Kagel legte aber fest, dass eine Aufführung 100 Minuten nicht überschreiten sollte.
Daran zumindest hält sich Jürgen R. Weber in Bonn. Ignoriert wird die zweite grundsätzliche Bedingung, dass das Werk immer mit dem Teil »Repertoire« zu beginnen habe. Dieser noch am ehesten bekannte des kaum gespielten Werkes, fehlt hier fast vollständig. Aus dem restlichen Material schmiedet der Regisseur eine fast traditionelle Oper, in der eine Liebesgeschichte zwischen der »Tochter der Intendantin« und dem »Sohn des Oberbademeisters» erzählt wird. Wie Romeo und Julia finden sie, obwohl aus den widerstreitenden Sphären Sport und Kunst stammend, zusammen. Zwischenspiele thematisieren musikalische Exerzitien im Takt des Metronoms – in schwarz-weiß und Kostümen (Kristopher Kempf), die an Schlemmers Triadisches Ballett erinnern. Videozwischenspiele lassen Beethoven baden gehen und auch mal bluten – so viel Jubiläumsjahr muss sein.
In der opulenten Ausstattung von Hank Irwin Kittel hat das alles viel Unterhaltungswert. An Kagels satirische Kraft kommt Weber aber nie heran. Die Frage, ob der Witz- und Radikal-Angriff auf den starren Theaterbetrieb heute noch oder wieder eine Bedeutung hat, bleibt in Bonn leider unbeantwortet.
1. und 4. Oktober, www.theater-bonn.de