Prospero, der Herzog von Mailand, hat sein Reich durch eine Intrige verloren. Nun lebt er auf einer kleinen Insel vor der Küste Nordafrikas, deren Bewohner sich ihm unterworfen haben – durch Magie. William Shakespeares »Der Sturm« wird auch gern als romantisches Märchen bezeichnet. Das allerdings alles Märchenhafte und Romantische verliert, sobald es eine afrikanische Schauspielerin an ihrem Wissen um die Geschichte Afrikas misst.
In der »Sturm«-Inszenierung des kainkollektiv spielt Edith Voges Nana Tchuinang aus Kamerun das Mädchen Miranda, die sich weder in dem Stück noch in der Figur der weißen Prinzessin wiederfindet. Wie Kleidungsstücke probiert sie verschiedene Rollen an und sortiert sie dann wieder aus. Schauspiel entsteht nach ihrem Verständnis immer aus dem eigenen Empfinden und Denken heraus – doch all die Figuren aus dem europäischen Literatur- und Theaterkanon sagen ihr nichts.
Vermischung der Genres
»Es geht nicht mehr, dass wir ein Stück X nach der Methode Y für ein Publikum Z spielen«, sagt Fabian Lettow, der mit Mirjam Schmuck das kainkollektiv leitet. Seit 2004 arbeiten die beiden mit Künstlern und Kollektiven aus Osteuropa und Westafrika zusammen, aus Frankreich und Madagaskar, aus Syrien und Kroatien. Ihre Produktionen setzen sich nicht nur mit der Geschichte des Kolonialismus und der heutigen postkolonialen Situation auseinander. Sie sind immer auch ein internationaler Dialog, der die Geschichte Europas und seiner Kolonien in den Blick nimmt – auf dem Weg zu einer gemeinsamen Zukunft. Dafür mischen sie auch die Genres und verbinden Schauspiel mit Tanztheater, Oper mit Installationen, Live-Performances und Videokunst.
2016 sezierte die Performance »Fin de Machine« die Querverbindungen zwischen der Entstehung einer Barockoper und dem Sklavenhandel: 1607, als Monteverdis »Orfeo« in Mantua uraufgeführt wurde, brachen vor der kamerunischen Küste Sklavenschiffe in Richtung Neue Welt auf. Der Geburt der europäischen Hochkultur, die die Inszenierung mit einer bewusst steifen Tanzchoreografie zu Händels »Wassermusik« ironisch zitierte, stand also das Leid der Unterdrückten gegenüber. Im Februar 2021 wird der Fokus womöglich optimistischer werden – mit Hilfe einer (afro-)futuristischen Vision, wie es heißt: Die Produktion »Est-ce un humain / Ist das ein Mensch« ist mit der Kameruner Compagnie Zora Snake und der Choreografin Njara Rasolomanana aus Madagaskar entstanden. Sie setzt unserer von Ausbeutung aller Art geprägten Gegenwart eine (eigene) Zukunft entgegen. Und will auf eine Szenerie blicken, in der Menschen und Tiere, Pflanzen und Maschinen im Einklang miteinander leben – in einer schönen, neuen Welt.