Noch ist es nur ein leerstehendes Kaufhaus in der Innenstadt von Wanne-Eickel. Doch eine Immobilienfirma, der Oberbürgermeister, das Kulturamt, die Wirtschaftsförderung der Stadt Herne und das Land NRW planen hier einen neuen Kulturort. Die Idee dafür kommt von Zekai Fenerci, der sich seit fast 20 Jahren für die Anerkennung von Street Art stark macht. Ein Zentrum für Urban Arts soll entstehen und bis zum Herbst eine Machbarkeitsstudie zeigen, welches Potenzial das alte Gebäude hat. Aber warum braucht Street Art überhaupt einen eigenen Standort?
kultur.west: Herr Fenerci, was steckt hinter dem Begriff Urban Arts Center Ruhr?
FENERCI: Das Urban Arts Center Ruhr ist eine Idee, die ich seit 2009 verfolge. 2007 habe ich den Verein Pottporus gegründet. Dem voraus ging die Erfahrung, dass die Street-Art-Szene im Ruhrgebiet, deren Teil ich seit meiner Jugend bin, in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentiert ist. Insbesondere wird sie im bürgerlichen Publikum und der Politik nicht als gleichwertig neben der sogenannten Hochkultur wahrgenommen. Berührungen zwischen Urban Arts und der institutionalisierten Kultur gab es immer nur als Beiprogramm, in der Jugendarbeit oder als Versuch, neue Publikumsschichten zu erschließen.
kultur.west: Das soll das neue Zentrum daran ändern?
FENERCI: Für die dauerhafte Anerkennung dieser Kunstformen braucht es einen festen Ort, an dem einerseits eine Weiterentwicklung der verschiedenen Urban Arts und andererseits eine dauerhafte Auseinandersetzung des Publikums mit der Kunstform möglich ist.
kultur.west: Warum ist diese Auseinandersetzung mit Urban Arts wichtig?
FENERCI: Die Street Art, in welcher Form auch immer, ist zuallererst das Medium, in der sich marginalisierte Gruppen der Gesellschaft ausdrücken und Gehör verschaffen. Insofern ist die Auseinandersetzung mit diesen Ausdrucksformen ein wichtiger Teil des demokratischen Prozesses. Die Street Art, die im Kern gewaltfrei ist, formuliert gesellschaftliche Positionen und Fragen, die andernorts vielleicht nicht gestellt werden. Insofern ist es wichtig, sich mit ihr auseinanderzusetzen, um ein vollständiges Bild von der Gesellschaft zu bekommen.
kultur.west: Welche Urban Art soll das Konzept umfassen?
FENERCI: Wir denken über vier Sparten nach, wenn man in der Begrifflichkeit der Hochkultur bleiben will. Das sind dann: Wort, also Rap, dann Bewegung, Hip-Hop, Breakdance, Krump, bildende Kunst, insbesondere Graffiti und Fotografie und nicht zuletzt die Musik mit DJing, Instrumental und Beat-Produktion. Mit diesen vier Grundpfeilern der urbanen und Street Kultur werden wir uns auseinandersetzen, wobei sie natürlich auch immer ineinandergreifen.
kultur.west: Wird es denn eher ein Produktions- oder ein Präsentationszentrum?
FENERCI: Vergleichbar mit PACT Zollverein in Essen oder dem Tanzhaus NRW in Düsseldorf verstehen wir das Urban Arts Center Ruhr zunächst als Gastspielbühne. Das Bühnenprogramm, regional, national und international, soll ungefähr die Hälfte unserer Arbeit ausmachen. Die andere Hälfte werden künstlerische Produktion und das Experimentieren im Haus sein.
kultur.west: Wer wird dieses Programm gestalten?
FENERCI: Entsprechend der vier Sparten stelle ich mir vor, dass das Programm von einem vierköpfigen Kollektiv gemeinsam organisiert wird.
kultur.west: Macht es aber die Street Art nicht kaputt, wenn man sie so stark institutionalisiert?
FENERCI: Ja, es ist richtig, dass Street Art natürlich zuerst auf der Straße stattfindet und dort Freiräume nutzt, oft auch anarchisch. Es ist uns ganz klar, dass wir uns mit dem Urban Arts Center Ruhr keinesfalls in diese Grundstruktur der urbanen Szene einmischen dürfen. Wir denken das Center als ein weiteres Element für die Szene. Als eine Möglichkeit für Künstler, in ihrer Entwicklung weiterzugehen. Der Underground bleibt davon unangetastet. Wir bieten die Möglichkeit, den nächsten Step zu machen und Kunst in einem anderen Rahmen zu präsentieren. Und auch ein erweitertes Publikum zu erreichen. Dafür gibt es in der Szene ein Bedürfnis. Man muss sich klar machen, dass die Street Art Künstler längst nicht mehr nur Jugendliche sind. Viele arbeiten seit 30 Jahren kontinuierlich und haben sich beständig weiter entwickelt. Das sind sicherlich diejenigen, die das UACR am ehesten zu schätzen wissen werden.
kultur.west: Der Street-Art-Laie denkt jetzt wohl an Banksy. Ist der denn in der Szene überhaupt noch wirklich als Steet Artist respektiert?
FENERCI: Natürlich wird das sehr kontrovers diskutiert. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass Banksy die Street Art salonfähig gemacht hat. Dafür bekommt er auch von großen Teilen der Szene Respekt.
kultur.west: Will das UACR also eher bürgerliches Publikum ansprechen?
FENERCI: Während unserer siebenjährigen Residenz mit dem Tanztheater Renegade im Bochumer Schauspielhaus haben wir gesehen, was man für ein Publikum erreichen kann. Da haben 30.000 bis 40.000 Zuschauer jedes Jahr unsere Vorstellungen besucht. Zumindest im Bereich Tanz wissen wir also sehr genau, dass es in NRW ein Publikum für Urban Art gibt, das nicht nur aus der Szene kommt. Ähnliche Erfahrungen machen wir in dem kleinen Ausstellungsraum im Wartesaal in Herne: Auch für Graffiti und Stencil interessiert sich längst ein breiteres Publikum.
kultur.west: Derzeit wird eine Machbarkeitsstudie für das UACR erstellt. Wie stellen Sie sich das Zentrum jetzt im Augenblick vor?
FENERCI: Ich habe bei einem der ersten Gespräche gesagt: Ich denke das Haus erstmal als rohen Diamanten, der noch poliert werden muss. Es ist halt nicht das perfekt sanierte Industriedenkmal, in das wir einfach einziehen, sondern ein ehemaliges Kaufhaus in einer Innenstadt. In der Fußgängerzone und nah an den Menschen. Das ist eine Qualität, weil auch die Street Art genau da passiert und hingehört. Mein Anspruch an mich selbst ist: Es muss mit dem UACR ein Ort entstehen, der aus sich heraus schon stark ist. Der nicht nur gut saniert, sondern architektonisch so interessant, vielleicht auch experimentell wird, dass er das Interesse und die Kreativität anregt.
Zur Person
Als Sohn eines türkischen Bergarbeiters 1972 geboren, ist Zekai Fenerci seit 1993 in der Urban Art Szene des Ruhrgebiets aktiv und hat etliche Festivals und Reihen angestoßen und betreut. 1997 initiierte er den Ruhrpott-Battle in Herne, der im Breakdance international renommiert ist. Das »Urban Art Festival« in Herne und Bochum (seit 2007) und der »International Summer Battle« auf PACT Zollverein (seit 2015) wurden ebenfalls von ihm initiiert. 2003 gründete er die Tanzcompagnie Renegade, deren künstlerischer Leiter er bis heute ist. Mit dem Verein Pottporus hatte Fenerci seinen Aktivitäten 2007 eine Organisationsstruktur gegeben, die für die Urbane Kunst im Ruhrgebiet zur wichtigen Stimme wurde. Seit 2010 existiert zusätzlich die Jugendabteilung »Junges Pottporus«. Von 2015 bis 2018 hatte es bereits ein Zentrum für urbane Kunst in der Zeche 1 in Bochum gegeben.