kultur.west: Frau Peters, wie kamen Sie auf den Begriff »Ruhr Ding«?
PETERS: Der Begriff »Ding« hat für uns mehrere Anknüpfungspunkte. Einerseits in der Museologie, also als der Gegenstand, den man anfassen, sehen und beschreiben kann, andererseits natürlich als philosophischer Begriff bei Heidegger, Kant oder Benjamin und dann auch noch in der Ethymologie als der Ting Platz. Das ist zwar ein von den Rechten leider missbrauchter Begriff, aber im Sinn von öffentlichem Versammlungsplatz für uns auch wichtig.
kultur.west: Sie haben einmal gesagt, dass sie von außen betrachtet das Programm von Urbane Künste Ruhr immer interessant, aber als manchmal unübersichtlich empfunden haben.
PETERS: Ich fand viele Projekte spannend, aber habe oft nicht so richtig verstanden, wie das alles zusammenkommt. Da gab es diese mehrjährigen Programme mit einer einheitlichen Überschrift, aber in der reinen Außenperspektive habe ich das oft als etwas diffus wahrgenommen.
kultur.west: Machen Sie es jetzt den Besucher*innen leichter?
PETERS: Von Hause aus bin ich Ausstellungsmacherin. Das heißt, es geht mir immer darum, unterschiedliche künstlerische Perspektiven zueinander in Beziehung zu setzen. Also nicht das eine Projekt alleine zu sehen, sondern dialektische Sichtweisen zuzulassen und aus der Unterschiedlichkeit der künstlerischen Positionen einen Mehrwert entstehen zu lassen. Dafür haben wir alles im »Ruhr Ding« zumindest zeitlich gebündelt. So haben die Besucher*innen, egal ob sie nun aus der Region oder von außerhalb kommen, die Möglichkeit, alle Positionen nebeneinander zu erleben und die Kontraste zwischen den Arbeiten direkt zu erfahren.
kultur.west: Ist das »Ruhr Ding« also eine echte Ausstellung?
PETERS: Es ist ein Ausstellungsformat und es unterscheidet sich beispielsweise von einem Festival ganz deutlich durch die großzügigen Öffnungszeiten, die über zwei Monate bis auf montags täglich acht manchmal sogar zehn Stunden betragen. So dass der Besuch gerade von Menschen aus der Region zeitlich versetzt stattfinden kann – alles ist ohnehin kaum an einem Tag zu schaffen. Außerdem gibt es dadurch auch die Möglichkeit, Arbeiten, die einem besonders gut gefallen, mehrfach zu erleben, vielleicht auch mit Freunden oder Kollegen, und sich darüber auch selber im Gespräch etwas zu vermitteln. Einige Arbeiten, wie etwa die von Suse Wächter, bei der performative Elemente und das Entstehen während der Ausstellungsdauer wichtig sind, verändern sich auch laufend.
kultur.west: Wie spiegelt sich Ihr Ansatz in der Auswahl der Künstler und Arbeiten wieder?
PETERS: Die Arbeiten sind sicherlich weniger prozesshaft, als das bisher bei Urbane Künste Ruhr oft der Fall war. Es geht mir darum, die Stimmen der Künstler*innen zu hören und dem Raum zu geben. Also die künstlerische Stimme als Alternative zu Sprache oder Text. Jenseits der Bezüge, die eine Gruppenausstellung herstellt, hat jede einzelne Arbeit eine Kompaktheit. Es gibt auf jeden Fall einen Ort, zu dem man gehen kann und weiß, dass man dort etwas sehen kann. Zu ganz verlässlichen Öffnungszeiten, das ist mir wichtig. An jeder Arbeit wird auch eine Person als Ansprechpartner für Fragen zur Verfügung stehen.
kultur.west: Das Thema des ersten »Ruhr Ding« ist Territorien…
PETERS: Das war einfach naheliegend bei 53 Städten und einem ÖPNV, der in manchem eher trennt als verbindet. Das Ruhrgebiet will zusammenwachsen und dann gibt es immer wieder Abgrenzungsrangeleien zwischen den Städten. Manchmal ist das Ruhrgebiet wie Europa im Kleinen. Es ist also genauso ein regionales wie ein globales Thema. Wir befinden uns im Brexit-Jahr. Überall erstarken identitäre Bewegungen, die mit einer territorialen Wurzel argumentieren. Der Hardware Medienkunst Verein in Dortmund wird sich in einer Ausstellung damit auseinandersetzen und auch die Arbeit von Ulrike Naumann, die sich hier im Ruhrgebiet mit der Prepper-Szene beschäftigt. Also mit Menschen, die sich auf einen imaginierten Tag X vorbereiten, für den sie Nahrungsmittel und Waffen einlagern.
kultur.west: Sind territoriale Festschreibungen das Kernproblem des Ruhrgebiets?
PETERS: Man macht es sich dadurch zumindest komplizierter. Natürlich verstehe ich, dass es Unterschiede zwischen den Städten gibt und geben muss. Aber zurück zum ÖPNV als Beispiel: Da bringt es einfach nichts, die Dinge nicht gemeinsam zu planen und dadurch ein Vorankommen der Menschen und der Region zu erschweren. Es betrifft aber teilweise auch die Kulturinstitutionen. Ich finde es toll, dass es hier so einen Reichtum an Institutionen gibt, aber es bringt nichts, wenn man nicht das nötige Geld dafür hat. So dass es nicht möglich ist, eigenständige Profile zu entwickeln. Auch das könnte viel besser sein, wenn man gemeinsam planen würde.
kultur.west: Warum sind beim ersten »Ruhr Ding« Dortmund, Bochum, Essen und Oberhausen dabei?
PETERS: Das hat sich aus dem Planungsprozess ergeben. Wir haben die Wahl der Orte erstmal den Künstler*innen freigestellt. Da kristallisierte sich dann diese Zusammensetzung an Städten für die erste Ausgabe heraus. Das wird sich in den nächsten Jahren aber ändern. Das zweite »Ruhr Ding« im kommenden Jahr hat das Thema Klima und wird dann im Norden in der Emscherregion stattfinden. 2021 sind wir im Süden und 2022 im Westen.
Vor einem Jahr hat Britta Peters die Leitung der Urbane Küste Ruhr von ihrer Vorgängerin Katja Aßmann übernommen. Zuvor war die heute 52-jährige Kuratorin nicht nur unter anderem Leiterin des Kunstvereins Harburg, sondern hat immer wieder auch Ausstellungen für den öffentlichen Raum entwickelt – zuletzt bei den Skulptur Projekten Münster 2015. Mit dem »Ruhr Ding« hat sie nun für Urbane Künste Ruhr ein Ausstellungsformat auf den Weg gebracht, das künftig immer im Frühjahr stattfinden soll.