Neue Kunst entdecken, virtuelle Galerien besuchen, Auktionen live streamen – auch in Zeiten von Corona müssen Kunstliebhaber nicht auf ihre Streifzüge durch den Kunstmarkt verzichten. Ein Überblick.
Das Porträt einer Frau mit kurzen, schwarzen Haaren. Ihre Augen sind halb geschlossen, ihr Gesichtsausdruck schläfrig. Sie trägt ein rot gestreiftes Kleid mit weißem Kragen. Mit Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand hält sie sich eine weiße Blume vor die Brust. Die Geste wirkt abweisend, beschützend und zugleich seltsam einladend. Der 1877 in Cuxhaven geborene Maler, Grafiker und Bildhauer Emil Maetzel schuf dieses widersprüchliche Bild im Jahr 1950. Er porträtierte seine »Frau mit Blume« in groben, expressionistischen Linien aus Tusche, Bleistift und Kreide auf feinem Büttenpapier.
Maetzels Arbeit aus einer Berliner Privatsammlung wird derzeit bei dem Auktionshaus Ketterer Kunst versteigert. Aktuelles Gebot: rund 1040 Euro. Sammler, die sich für diese Arbeit interessieren, müssen sich für einen Kauf allerdings nicht auf den Weg zu den Niederlassungen des Auktionshauses in Berlin, München, Hamburg oder Düsseldorf machen. Denn Maetzels »Frau mit Blume« wird im Internet verkauft – in einer »Online Only« Auktion.
Im Zuge der Digitalisierung haben viele Auktionshäuser, Galerien und sonstige Kunstplattformen ihre Angebote im Netz ausgebaut – vom Livestream einer Saalauktion bis hin zur Möglichkeit des Online-Bietens. Im virtuellen Raum herrscht vielleicht nicht die lebendige Atmosphäre einer großen Kunstmesse, aber das Browsen durch Online-Kataloge und virtuelle Auktionen ist dennoch eine interessante Alternative. Vor allem dann, wenn man aufgrund der Corona-Epidemie das Haus nicht oder nur noch selten verlassen sollte.
Entdeckungen machen in Privatsammlungen
Ein besonders breit gefächertes Online-Angebot für die Ersteigerung von Kunst und Antiquitäten gibt es bei großen internationalen Auktionshäusern wie Sotheby’s, Phillips, Christie’s oder Bohnhams. So genügt bei Sotheby’s ein Klick auf den virtuellen Auktionskalender, um sich die anstehenden Online-Versteigerungen für Kunst, Mode oder Filmplakate anzeigen zu lassen. Spannend verspricht eine Auktion für zeitgenössische Malereien, Skulpturen und Drucke zu werden, die vom 1. bis 16. April auf der Sotheby’s Website stattfindet. Unter anderem werden die verspielten Werke des japanischen Malers Yoshimoto Nara oder Plastiken des amerikanischen Pop-Art-Künstlers und Designers Brian Donnelly alias KWAS versteigert. Kunst aus der Privatsammlung der amerikanischen Kunstmäzenin Jayne Wrightman wird dagegen bei christies.com angeboten. Gemeinsam mit ihrem Mann Charles sammelte Wrightman vor allem Werke aus der Zeit des 18. Jahrhunderts. Ein Teil davon steht nun vom 17. bis 27. April als Online-Auktion bei Christie’s zum Verkauf.
Wer sich besonders für Mode interessiert, sollte einen Blick auf die Website von Artcurial werfen: Das Auktionshaus mit Hauptsitz in Paris versteigert online regelmäßig hochwertige Vintage-Kleidung, Accessoires, Schmuck und Uhren, etwa von Designerlabels wie Chanel oder Hermès. Und bei dem Londoner Auktionshaus Phillips dreht sich am 9. April im Rahmen der Online-Auktion »Wired« alles um zeitgenössische Kunst, Möbel und Editionen. Ein Highlight ist unter anderem »Blautopf, rain«, eine Fotografie von Wolfgang Tillmans aus dem Jahr 2001. Sie zeigt die vielschichtige, grün-blaue Oberfläche eines Sees, der in der Sonne glitzert und der mit den Pflanzen an seinem Ufer zu verschwimmen scheint.
Auch viele deutsche Auktionshäuser setzen auf »Online-Only«-Auktionen. So können sich Bieter bei Lempertz über den Online-Katalog anmelden und an einer »Live-Auktion« teilnehmen. Bei Ketterer Kunst gibt es monatlich zeitlich begrenzte Auktionen, die jeweils am 15. eines Monats um 15 Uhr beginnen beziehungsweise enden. Aktuell sind beispielsweise Kunstwerke aus der Zeit nach 1945 sowie der Klassischen Moderne verfügbar, darunter Stücke von Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer – oder eben die »Frau mit Blume« von Emil Maetzel. Bei Dorotheum finden ebenfalls jeden Monat Online-Auktionen statt. Ein Schwerpunkt liegt hier auf Werken aus der Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts, sortiert nach Kategorien wie »Gemälde« oder »Graphiken und Zeichnungen«. Mit dabei sind beispielsweise Radierungen mit Landschaftsszenerien des österreichischen Malers und Graphikers Gottfried Kumpf.
Von Josef Albers bis zur Gruppe Zero
Damit auch der digitale Kunstkauf Freude macht, stellt ein großer Teil der Auktionshäuser Online-Kataloge oder digitale Verkaufsräume mit zahlreichen Fotos, Videos sowie 3D-Ansichten zur Verfügung. Hier kann zudem durch Filter- und Suchfunktionen gezielt nach der Lieblingskünstlerin oder einem bestimmten Medium gesucht werden. Bei dem Münchner Auktionshaus Karl & Faber können User sich zudem einen »Artist Alert« einrichten, um Künstlern zu folgen – von Josef Albers bis zur Gruppe Zero – oder um interessante Arbeiten auf einem virtuellen Gebotszettel zu sammeln.
Wer eine große Saalauktion miterleben möchte, kann sich bei vielen Auktionshäusern kostenlos registrieren und das Event im Live-Stream von zuhause aus mitverfolgen. Möglich ist dies beispielsweise bei Lempertz, Sotheby’s, Christie’s oder auch bei dem Wiener Auktionshaus Im Kinsky. Fast alle Häuser bieten dabei auch den Service »Live-Bidding« an, so etwa das in Düsseldorf ansässige Auktionshaus Hargesheimer Kunstauktionen, wo in den kommenden Monaten beispielsweise japanische oder russische Kunstwere zum Verkauf stehen. Einige Auktionshäuser wie Griesebach, Venator & Hanstein, Nagel Auction oder Karl & Faber arbeiten hierfür mit Auktionsportalen wie lot-tissimo.com oder invaluable.com zusammen, über die Bieter sich registrieren und bei ausgewählten Auktionen live mitbieten können. Kleiner Tipp: Werfen Sie regelmäßig einen Blick auf die aktuellen News von Auktionshäusern. Wegen der Corona-Pandemie werden zahlreiche Saalauktionen verschoben und finden stattdessen digital im Internet statt.
Kunst im Warenkorb
Auch abseits der Auktionshäuser gibt es interessante, mitunter deutlich erschwinglichere Kunst zu entdecken. Interessante Werke von Künstlern wie Louise Bourgeois oder Robert Wilson vereint die Website »Collectors Sale«, die von der Essener Galerie Frank Schlag & Cie verwaltet wird und auf der Werke aus privaten Kunstsammlungen zum Verkauf stehen. Aktuell sind unter anderem zahlreiche Bleistift- und Aquarellzeichnungen der chilenischen Künstlerin Sandra Vásquez de la Horra verfügbar. Ihre Motive sind mal märchenhaft, mal morbid und setzen sich beispielsweise mit der Militärjunta Augusto Pinochets in Chile auseinander.
Die Plattform Kunstsupermarkt führt ein vielfältiges Angebot an Zeichnungen, Aquarellen, Acryl- und Ölgemälden sowie Kleinplastiken von rund 100 nationalen und internationalen Künstlern. Die Preisspanne für einzelne Werke reicht von 69 Euro bis zu maximal 359 Euro. Auf Gegenwartskunst und Designobjekte hat sich hingegen Argato spezialisiert. Hier können Werke direkt vom Künstler oder einer Galerie erworben werden; Filterfunktionen nach »Farbe«, »Preis«, »Stilrichtung« oder »Material« erleichtern die Auswahl. Auch bei Argato finden regelmäßig Auktionen im Livestream statt.
Den Fokus auf Fotografien legt Lumas – viele von ihnen sind als Originalabzüge in limitierter Auflage erhältlich. Das Portfolio reicht von Porträts über Architekturfotografien bis hin zu Landschaftsbildern. Regelmäßig wird zudem ein »Künstler des Monats« vorgestellt, aktuell ist dies die US-amerikanische Fotografin Ysabel LeMay, die für hyperrealistische Fotocollagen bekannt ist.
Einen Klick wert ist auch die Online-Plattform Kunstmatrix, die virtuelle Tools für den Kunstmarkt anbietet. So können hier unter anderem virtuelle 3D-Ausstellungsräume internationaler Galerien oder digitale Ausstellungen einzelner Künstler besucht werden. Wer eine bestimmte Arbeit kaufen möchte, kann über die Plattform zudem Kontakt zu Galeristen oder Künstlern aufnehmen. Der Andrang auf Online-Formate wie diese wachse derzeit exponentiell an, berichtet Christoph Lauterbach, Mitgründer und Managing Director von Kunstmatrix. Die Plattform erhalte nicht nur verstärkt Anfragen von Galerien, die ihren Geschäftsbetrieb in Zeiten von Corona aufrechterhalten wollen, sondern auch von Schulen und Universitäten aus der ganzen Welt, die die Arbeiten ihrer Schüler online ausstellen möchten. Soweit es die Kapazitäten erlauben, sagt Lauterbach, stellt Kunstmatrix ihnen virtuelle Kunsträume zur Verfügung – kostenfrei.