Am Strand, auf Zeche, in der Fußgängerzone – das »Ruhr Ding: Klima« macht sich breit im Revier. Zum dezentralen Ausstellungsprojekt der »Urbanen Künste Ruhr« reisen in diesem Frühjahr um die 20 internationale Künstler*innen an und beziehen mit ihren oft eigens für Ort und Anlass konzipierten Werken Stellung. Zwischen Herne und Haltern hat kultur.west ihre kreativen Kommentare zum aktuellen Thema erkundet.
Woher nur hat Haltern seine Seenplatte? Diese Frage geht einem auf dem Strand durch den Kopf. Aber nicht lange, denn quasi am Straßenrand türmt sich haushoch die Antworten: Paletten über Paletten voller Sandsteinziegel, lagernd auf dem Hof eines Baustoffherstellers. Weiterhin baggert die Industrie in Haltern am See heftig nach dem feinkörnigen Rohstoff. Doch einige Abbaugebiete haben bereits zur renaturierten Ruhe gefunden. Wieder andere wurden zum Naherholungsgebiet mit Südseeflair herausgeputzt und tragen nun den klangvollen Namen Silbersee II, wo das »Ruhr Ding« seinen Hauptschauplatz hat. Ein Blick über den Großparkplatz, und man ahnt, was hier an sonnigen Sommer-Wochenenden los ist.
Haus am See
An diesem April-Vormittag allerdings fühlt man sich noch wohl im Wintermantel, und die Kühle lässt den Klimawandel vergessen. Still und beinahe menschenleer liegt der Strand da. Nur ganz am Ende kurvt ein Minibagger. Und zwei Künstler*innen mit Plänen unterm Arm schauen zu. Seit einer Woche etwa sind Yukihiro Taguchi und Chiara Ciccarello vor Ort und vor allem damit beschäftigt, Baumaterial zusammenzutragen. Nur noch ein paar Kleinigkeiten, viel brauchen sie nicht, denn ihr Kunstwerk haben die beiden praktisch komplett im Container mitgebracht. Der Bauzaun steht, und das Fundament ist auch schon gegossen. Den Rest müssten sie in drei Tagen schaffen, Yukihiro weiß wovon er spricht. Denn seine Partnerin und er haben das Holzhäuschen schon mehrfach aufgebaut.
Das allererste Mal auf einem leerstehenden Baugrundstück in Berlin, wo das japanisch-sizilianische Künstlerpaar lange schon lebt und 2013 verzweifelt eine bezahlbare Wohnung suchte. Ihre Do-it-yourself-Idee machte Schule und so verwandelte sich die Brache rasch in eine beachtliche illegale Wohnsiedlung, die 2014 von der Polizei geräumt wurde. Seither sind Taguchi, Ciccarello mit ihrer ganz aus Fundstücken gezimmerten Behausung gern gesehen in der Kunstwelt. In Dänemark und Japan war das Paar bereits in den eigenen vier Wänden zu Gast. Nun in Haltern werden sie demnächst ein paar Wochen am See verweilen und hoffentlich trotz Corona viele Menschen rund um ihr klimafreundlichen Kunstwerk treffen können. Denn, so betonen sie, erst das Miteinander mache die Arbeit komplett – beim Reden, Kochen, Singen, Tanzen….
Schwimmen kann man natürlich auch im Silbersee II. Und muss es sogar, will man das Klima-Kunstwerk von Michel de Broin aus der Nähe betrachten. Denn die gigantische Nachbildung eines Halterner Quarz-Sandkorns wird im Wasser installiert und dort hochglänzend den Wert des begehrten Rohstoffs ins Bewusstsein rücken. Wer Ruhe sucht, dem will Deborah Ligorio ein schattiges Plätzchen am See bieten und dafür drei Bäume in die Sandlandschaft setzen. Doch im Mai oder Juni könnte die Sonne schon sengen. Dann sollen die Neupflanzungen einen verlässlichen Schutz bieten vor den gefährlichen UV-Strahlen, so Ligorios Gedanke. Gleichzeitig markieren sie den Start zu einem Spaziergang am Ufer entlang. Die Künstlerin hat dazu eigens einen Audiowalk entwickelt, der den Blick auf die Naturphänomene im neu entstandenen Ökosystem in der künstlichen Seenlandschaft lenkt.
»Es ist mir wichtig, dass die Themen für das Ruhr Ding ganz viel zu tun haben mit der Region«, sagt Britta Peters. Sie konnte reiche Erfahrungen mit Kunstprojekten ähnlicher Art sammeln – zum Beispiel im Kurator*innen-Team der Skulptur Projekte Münster 2017.
Als Leiterin der »Urbanen Künste Ruhr« hat Peters dann 2019 das »Ruhr Ding« als neues dezentrales Ausstellungsformat aus der Taufe gehoben. Die erste Ausgabe unter dem Motto »Territorien« galt regionalen und nationalen Abgrenzungsbewegungen, nicht zuletzt der überall erstarkende Rechtspopulismus war Thema.
Mit dem Territorien-Projekt war Peters 2019 in Bochum, Dortmund, Essen und Oberhausen unterwegs. Dass sie die Schauplätze für das »Klima Ding« nun weiter im Norden des Ruhrgebiets sucht, hat einen Grund: »Diese Gegend ist unter Umweltgesichtspunkten noch immer am stärksten beeinträchtigt durch die Industrialisierung«, sagt sie. Der Süden habe die montane Vergangenheit weiter hinter sich gelassen und sich von ihren Folgen besser erholt. Der Norden sei noch nicht so weit.
Gartenkunst auf der Zeche
Vielleicht hilft ihm Hayden Fowler ja ein Stückchen voran auf dem Weg back to nature. Ein Jahr lang hat der in Sydney und Berlin lebende Künstler geforscht und Saatgut gesammelt von allerlei Pflanzen, die einst heimisch waren im Revier, jedoch längst von hier verschwunden sind. Verdrängt durch andere Arten, untergegangen in der Industrialisierung. Auf dem Gelände der 1992 stillgelegten Zeche General Blumenthal in Recklinghausen hat Fowler ihnen ein neues Zuhause eingerichtet. Unter einer Art Gewächshausglocke trifft man den Künstler dort liebevoll gärtnernd, beglückt von ersten zarten Keimen, die sich zeigen. Gehegt, gepflegt und belebt durch ein friedlich plätscherndes künstlerisches Bewässerungssystem will er sie zum Wachsen und Blühen bringen.
Unbehelligt vom martialischen Aufmarsch im Inneren des Zechengebäudes. Noch liegen Johannes Büttners Gestalten aus Asche und Staub, Ton, Beton, Metall und Motoren auf dem Fußboden. Doch bald schon werden sie den düster-gedrungenen Raum einnehmen. Und, gesteuert vom Algorithmus zitternd und vibrierend, ein beklemmendes Klima von Ohnmacht und Gewalt verbreiten. In der weiten Halle nebenan installiert Büttner dazu weit oben unter der Decke eine Art Riesenmobile aus Ventilatoren, die ein massives Metallgerüst in Schwingung bringen. Über alles legt sich ein Knirschen, und der Sound von Drohnen könnte an ferngesteuerte Überwachung denken lassen. Wer will da nicht das Weite suchen?
Die nächste Station auf der Ruhr-Ding-Reise klingt nach Mittagsimbiss. Doch Fritten und Frikadellen sind schon lange nicht mehr über die Theke gegangen im McDonald‘s in der Herner Fußgängerzone. Es war einmal eine der ersten Filialen des Fastfood-Konzerns im Ruhrgebiet, doch seit 2011 steht der Laden leer. In filmischen Recherchen nähert sich Silke Schönfeld dem Ort – seiner Geschichte, seiner Gegenwart als Band-Probenraum und auch seiner möglichen Zukunft, die in Schönfelds Film von vier Schauspieler*innen diskutiert wird. Daraus macht die Künstlerin eine Installation mit drei Monitoren, die sie im Restaurant platziert. Zwischen den Original Imbiss-Tischen, -Stühlen und Vertäfelungen, die uns zurückversetzen in eine Zeit, da wir Pappbecher und Kunststoffkisten noch hemmungslos entsorgten und bei »zwei Lagen reinem Rindfleisch« zwischen weichen Weizendeckeln nicht zuerst an Erderwärmung dachten.
Kreuchen und Fleuchen
Wer heute trotz allem noch Appetit auf einen Big Mac hat, findet ihn im Herner Hauptbahnhof. Kommt dort aber möglicherweise auf andere Gedanken. Denn im alten Wartesaal schaut Ana Alenso über den Tellerrand. Die Arbeit der in Venezuela aufgewachsenen, in Berlin lebenden Künstlerin führt in den Amazonas, wo illegale Goldgräber tiefe Schneisen in den Regenwald schlagen. Mit verheerenden Auswirkungen für Pflanzen, Tiere und das Klima.
Was wäre wohl, wenn alle mitreden könnten? Kratzdistel und Weinbergschnecke, Mönchsgrasmücke, Egerlingschirmling, Kanadische Goldrute… Die in Wien und Berlin beheimatete Künstlergruppe »Club Real« meint es ernst und schaut genau hin, was da so kreucht und fleucht, wächst und gedeiht. Etwa in Gelsenkirchen. Jeder, der dort in einem abgesteckten Lebensraum daheim ist, bekommt eine Stimme im »Parlament der Organismen«, wo Abgeordnete die Interessen aller Lebewesen und Gewächse diskutieren und um Lösungen ringen.
Für die Protagonisten in der Arbeit von Alisa Hecke, Julian Rauter und Franz Thöricht kommt diese demokratische Initiative definitiv zu spät. Denn sie haben ihr Leben gelebt und sind nur mehr als haltbare Hülle präsent. Seit Jahren schon gehen Hecke & Rauter mit dem Thema Tier-Präparation um – eine eher ausgefallene kulturhistorische Praxis, die mit Blick auf das Artensterben durch Umweltschmutz und Klimawandel aber ungeahnte Aktualität erlangen könnte. Für das »Ruhr Ding« war das Berliner Künstler*innen-Duo in NRW unterwegs auf Recherchetour. Im Walter-Gropius-Berufskolleg in Bochum etwa, dem deutschlandweit einzigen Institut, wo man zoologische Tierpräparation erlernen kann. Und bei einer Studienabgängerin, die sich in ihrer Werkstatt in Waltrop auf die Herrichtung von Haustieren spezialisiert hat. Aus Bild-, Ton- und Soundmaterial basteln die beiden mit Hilfe von Thöricht eine audiovisuelle Installation, die in einem 50er-Jahre-Kiosk in Gelsenkirchen sicher einen stimmungsvollen Rahmen finden wird.
Egal ob Hauskatze oder Wasserbüffel, Kratzdistel oder Weinbergschnecke – viele Fürsprecher in Flora und Fauna würde sicher das »Ruhr Ding« von Natalie Bookchin finden. Lange schon hatte Kuratorin Peters die US-amerikanische Netzkunst-Pionierin im Auge, doch wegen der weiten Wege bisher immer gezögert vor einer Zusammenarbeit. Vor allem weil es bei diesem Projekt um ortsspezifische Arbeiten gehe, die einen längeren Aufenthalt im Revier voraussetzten. Corona und die neue Rolle, die in der Pandemie dem Digitalen als Treffpunkt und Ort des Austauschs zugewachsen sei, habe sie aber zum Umdenken gebracht.
Bookchin hat ihr Projekt nun einfach von New York aus geplant. Sie bat Menschen in Quarantäne um kleine Handyvideos. Sie sollten Geräusche des eigenen Körpers aufnehmen und Dinge, die sie in ihrer unmittelbaren Umgebung sehen oder hören. Daraus will die Künstlerin eine große Video- und Soundinstallation kreieren, die im Mai ihren Weg ins oberste Stockwerk eines Herner Hochauses finden wird – ganz ohne klimaschädlichen Langstreckenflug.
»RUHR DING: KLIMA«
Im öffentlichen Raum in Gelsenkirchen, Herne, Recklinghausen, Haltern am See
8. Mai bis 27. Juni 2021
Aufgrund der Pandemie-Lage musste der geplante Start der Ausstellung verschoben werden. Ein neuer Termin steht noch nicht fest. Ab dem 8. Mai 2021 sind digitale Formate geplant. Aktuelle Infos finden Sie hier