// Nordrhein-Westfalen tanzt! Anders als beim Pina Bausch Festival präsentieren sich diesmal aber keine internationalen Gäste, sondern ausschließlich zeitgenössische Produktionen aus der Region. Vom 7. bis 17. Mai sind im Rahmen von »tanz nrw 09« über 25 aktuelle Arbeiten zu sehen, darunter vier Uraufführungen. An sieben Spielorten stellt die zweite Edition des landesweiten Festivals etablierte Choreografen und viel versprechende Talente vor. Neue theatrale Formate und Stilrichtungen im Tanz, jüngste Entwicklungen eben, sind Programm. Darunter natürlich auch die vier Choreografen bzw. Kompanien, die dem Land NRW eine Spitzenförderung wert sind: Cocoondance, Samir Akika / Renegade Theatre, Stephanie Thiersch / Mouvoir und Ben J. Riepe. Sie alle erhalten über drei Jahre Projektzuschüsse in Höhe von 65.000 Euro per anno. Wir stellen eine Auswahl der Produktionen vor. //
Uraufführungen
Das Epos »Orlando Furioso«, der rasende Roland des italienischen Renaissance-Dichters Ludovico Ariosto, liegt der neuen Arbeit der Bonner Kompanie Cocoondance zugrunde. Es geht um Liebe, die Roland den Verstand verlieren lässt und um eine Reise zum Mond, wo das Verlorene in einer Flasche auf seinen rasenden Besitzer wartet. Die lunare Spiegelwelt inszenieren die Bonner in ihrer neuen Produktion »Orlando – scrapped« in Kooperation mit der Oper Bonn. Jörg Ritzenhoff schuf eine Komposition nach Händel, zu der elf Tänzer und eine Opernsängerin auf der Bühne stehen – eine anspruchvolle Besetzung für ein freies Ensemble. // Am 15.5. um 19:30 Uhr in der Oper Bonn)
Henrietta Horn zeigt ihr erstes Tanzsolo als freie Choreografin, nachdem sie im vergangenen Sommer die künstlerische Leitung des Folkwang Tanzstudios niedergelegt hat. Horns Arbeiten sind geprägt von ästhetischer Eigenwilligkeit – im positivsten Sinne: originelle Themen, Musikalität, Dichte. In den jüngsten Stücken ließ sie zu Live-Musik improvisieren. »Schimmer« befasst sich nun mit dem Verhältnis von Farben und Musik, Licht und Bewegung. // Am 8.5. um 19:00 Uhr in der Fabrik Heeder, Krefeld; am 16.5. um 20:30 Uhr in der Studiobühne Köln)
Laurent Chétouane, ein Ästhet der Enthaltsamkeit, der sein Texttheater gerne auch zum Körpertheater macht, produziert »Tanzstück # 3: Doppel/Solo/ein Abend« auf Zollverein. Klingt, zumindest in der Ankündigung, ziemlich verkopft: einen »ortlosen Ort« kreieren »zwischen Körper und Bewegung«. Oder: »sich im Dialog mit sich selbst Grundfragen seiner Existenz stellen«. Als Ergebnis ist dann eine »utopielose Utopie« zu erwarten. // Am 8.5. um 20:30 Uhr, PACT Zollverein, Essen
Luca Giacomo Schulte, bekannt als Tänzer bei Raimund Hoghe, interessiert sich für die Verbindung von Tanz und bildender Kunst. In »Rosenzeit – getanzte Lieder« lässt er Ornella Balestra, ehemalige Tänzerin Maurice Béjarts, mit ihrem Körper Lieder aus mehreren Jahrhunderten singen. Poesie, die auf zeitlose Gefühle aus ist, angelegt zwischen Erzählballett und Tanzavantgarde. // Am 14., 16. und 17.5. im tanzhaus nrw, Düsseldorf
Samir Akika / Renegade Theatre: »Extended Teenage Era«
Der Franzose Samir Akika hat die Vierzig überschritten und weigert sich beharrlich, erwachsen zu werden. Mit »Extended Teenage Era« hat er seinen Lebensstil auf die Bühne gehoben. Doch Akika entwickelt sich weiter: Cineastische Motive und Anspielungen, die sein Tanz-Theater-Kino vor einigen Jahren bekannt gemacht haben, spielen keine Rolle mehr. Das Lebensgefühl, das »Extended Teenage Era« vermittelt, wirkt so authentisch wie (selbst-)ironisch. Dabei färben die Individualität der Künstler, ihr Tanzstil, ihre Charaktere und Biografien das Chaos bunt. Das Stück mag improvisiert daherkommen, doch es ist mit Bedacht komponiert. HipHop-Szenen, Modern Dance-Elemente und Spielszenen voller Drive und Witz, exakt getimt und inhaltlich klug verbunden. Natürlich idealisiert der Choreograf und Regisseur seine ausgedehnte Teenagerzeit: Der tägliche Kampf ums Überleben und die bescheidenen Verhältnisse stimmen die alten Teenies beinahe heiter. Den Melancholiker in sich hat Samir Akika ignoriert, um das zu tun, was er wunderbar kann: unterhalten. // Am 16.5. um 19:30 Uhr in der Brotfabrik, Bonn
Lotte Rudhart: »Frank Z.«
Aus dem NRW-Tanz-Nachwuchs sticht Lotte Rudhart mit ihrer abgedrehten Hommage an »Frank Z.« schillernd heraus. Eigentlich kennt man die langbeinige Tänzerin als Ballerina u. a. aus Arbeiten Rodolpho Leonis. Nun choreografiert sie selbst und zeigt, was sie kann: Rudhart setzt Sprache und Rhythmus des Alt-Rockers Zappa in Tanz um, steppt, stakst und stöckelt über die Bühne. Modern, Klassik, Hip Hop, Text – alles mixt sie durcheinander, klebt sich einen Schnauzbart an, wird zur Comic- und Clownsfigur. Erfrischend! Dabei macht sie sich auch noch Gedanken über den – laut Zappa – hässlichsten Körperteil des Menschen: die Gedanken. // Am 15.5. um 21:30 Uhr in der Studiobühne Köln
Gudrun Lange: »Fernsehabend«
Gudrun Langes »Fernsehabend« ist ein Ereignis, das staunen macht und schmunzeln lässt. Die Nachwuchschoreografin mimt eine Zuschauerin, die sich beim Zappen durch die Kanäle derart in die TV-Figuren vertieft, dass sie alles Gesehene durchlebt. Gudrun Lange wird Kylie Minogue, Wolfgang Schäuble, Uri Geller. Sie bewegt die Lippen zu eingespielten Texten, imitiert Mimik, Gestik. Als Cowboy stürzt sie über die Bühne, räkelt sich als Pop-Queen, schwingt die Hüften als Model auf dem imaginierten Catwalk. Zwischendurch, wenn ihre Lippen nicht mehr synchron mit dem Text sind, wird sie wieder zur Zuschauerin, die betroffen dem Gespräch einer eingespielten Talkshow lauscht. Ein starker Talentbeweis. Schöner als jeder Fernsehabend! // Am 16.5. um 18:00 Uhr in der Brotfabrik, Bonn
Alexandra Waierstall / Noemi Dance Works: »In Fluid Times«
Ein echter Geheimtipp ist Alexandra Waierstall (»Noema Dance Works«). In ihrer jüngsten Arbeit »In Fluid Times« verschwimmen spannungsgeladene Bilder menschlichen Miteinanders: Gewalt, Zuwendung, Gleichgültigkeit. Alexandra Waierstall komponiert »Flüssige Zeiträume« aus Licht, Unter-Wasser-Video, Elektro-Sound und tanzenden Nachtgestalten. Mit geometrischer Präzision erzeugt sie einen geradezu rauschhaften Sog. Die Stimmungen und Situationen wirken so glaubwürdig, weil die Tochter einer zypriotischen Choreografin und eines Wuppertalers mit »Grenzen und Fremdsein«, dem Thema des Stückes, aufgewachsen ist. Sie kam als Kleinkind nach Zypern und erlebte die Teilung des Landes. Seit acht Jahren ist sie nun in Düsseldorf und Nicosia/Zypern zuhause. // Am 14.5. um 19:00 Uhr im tanzhaus nrw, Düsseldorf
In-Jung Jun / Blue Elephant Company: »Soloparty«
Die Koreanerin In-Jung Jun lädt zur »Soloparty«. Wer einen rauschenden Ball mit Eintänzerin erwartet, sieht sich enttäuscht: Ruhig geht es zu – und ein wenig mystisch. Die Auszeichnungen der vergangenen Jahre scheinen dem Ego der Choreografin und Tänzerin geschmeichelt und ihr Mut zum Experiment gemacht zu haben: In-Jung Jun feiert sich selbst, auf ihre ganz eigene Weise. Das Publikum soll ihr dabei Vertrauter sein, den sie nonchalant mit »Wie geht’s« begrüßt. Man klopft gemeinsam Rhythmen, dann rückt In-Jung Jun ungeniert ihre BH-Träger zurecht und zieht auch mal die Nase hoch. Der Raum erinnert an einen Zen-Garten mit seinen winzigen, versprengten Topfpflanzen. Im Dialog mit dem Musiker Simon Rummel entstehen immer neue Szenen unterschiedlicher Energien: Spielkind, Irrwisch, Zirkusartistin und Zauberin, kreiert In-Jung Jun Atmosphären und Stimmungen. // Am 15.5. um 22:00 Uhr im Theater im Ballsaal, Bonn