Bridget Breiner findet Glück in ihrer Kunst: als Tänzerin und Choreografin. Die neue Chefin des Ballett am Rhein hat eine glänzende Karriere als Erste Solistin in Dresden und Stuttgart hinter sich, als Choreografin gewann sie zweimal den wichtigsten deutschen Theaterpreis Der Faust – 2013 für »Ruß« und 2015 für »Charlotte Salomon: Der Tod und die Malerin«. Die Amerikanerin (50) ist gerade von Karlsruhe nach Düsseldorf gewechselt – im Team mit dem weltweit gefragten Ballettmeister Raphaël Coumes-Marquet, mit dem sie künftig eine Doppelspitze bildet. Ein zeitgemäßes Leitungsmodell, von dem die Künstlerin und Mutter sich mehr künstlerische Freiheit erhofft. Und mehr Lebensqualität.
Beim Telefonat sitzt Bridget Breiner, kurz vor dem Umzug nach Düsseldorf, noch in Karlsruhe, auf einer Bank im Park – denn zu Hause arbeiten Handwerker und für ihr Büro im Badischen Staatstheater hat sie keinen Schlüssel mehr.
kultur.west: Frau Breiner, was bedeutet für Sie Glück?
BREINER: Oh, jetzt bin ich überrascht … Wenn ich eine schöne Aufgabe habe, die mich inspiriert und die ich mit Ruhe erfüllen kann.
kultur.west: Was wäre das zum Beispiel?
BREINER: Tanzen oder Choreografieren! Aber es muss mit Hingabe sein, stressfrei. Es ist wie bei familiären Beziehungen oder guten Freunden: Man gibt viel, bekommt aber auch viel zurück.
kultur.west: Sie waren eine Top-Tänzerin und sind eine preisgekrönte Choreografin. Da muss Ihr Körper jede Menge Adrenalin, aber auch Glückshormone ausgeschüttet haben.
BREINER: Nicht jeden Tag… (sie lacht).
kultur.west: Sind Sie ein glücklicher Mensch?
BREINER: Ja. Ich bin ein glücklicher Mensch und ich habe auch viel Glück gehabt. Aber ich bin auch ein »worrier«. Ich mache mir zu viele Sorgen und Gedanken. Wenn etwas Schönes bevorsteht, denke ich sofort daran, was möglicherweise danach kommt.
kultur.west: Erzählen Sie mir einen besonderen Moment aus ihrem Leben?
BREINER: Als ich Tänzerin in Stuttgart war, gab es eine sehr bereichernde Spielzeit, in der alles stimmte: nur neue und interessante Rollen, gutes Klima mit den Kolleg*innen. Damals habe ich mir gesagt: »Vergiss diese Zeit nicht, es werden andere kommen.« Besondere Glücksmomente hatte ich auch auf dem See, wenn es mir gelang, nach drei Wochen Urlaub, mein Ego zu vergessen.
kultur.west: …auf dem See?
BREINER: Mein Mann ist Kanadier – da hat fast jeder ein Cottage an einem See. Er hatte viele Jahre mit seiner Schwester ein solches Haus. Dort war ich weit weg von meinem eigentlichen Leben. Ich war einfach nur da und habe nicht an mich gedacht. Ganz anders als beim Tanzen, wenn man vollkommen fokussiert ist auf sich selbst. Aber ab und an verliert man sich auch auf der Bühne. Und dann kommt das Glück.
kultur.west: Dennoch ist Ihre Work-Life-Balance offenbar nicht ausgeglichen. An ihrer neuen Wirkungsstätte geben Sie das Management aus der Hand an Ballettdirektor Raphaël Coumes-Marquet und kümmern sich als Chefchoreografin nur um das Künstlerische – Neukreationen und die Spielpläne. War das Ihre Idee oder wollte das die Düsseldorfer Politik?
BREINER: Nein, das kam sehr von mir. Ich habe über die Jahre immer mal wieder mit Raph über eine solche Aufteilung gesprochen. Denn es wurde für mich immer schwieriger, gleichzeitig Choreografin und Ballettdirektorin zu sein und dann kam noch die Mutterrolle dazu. Ich habe mich ständig gestresst gefühlt und kam bei all meinen Aufgaben nicht nach. Ich tue mich schwer mit Entscheidungen und brauche dafür Ruhe. Die Rolle des Ballettdirektors hat sich auch verändert. Bei John Cranko damals in Stuttgart erzählt man gerne, dass er gar kein Büro hatte. Das kann ich mir heute überhaupt nicht vorstellen. Man sitzt am Computer, führt Gespräche, konzipiert und organisiert Projekte. Ich kann der Kunstform am meisten geben, wenn ich mit dem Ensemble arbeite.
kultur.west: Sie starten die Spielzeit mit Demis Volpis »Krabat« am 21. September, das schon lange im Repertoire ist und gespielt wird. Warum nicht mit einer eigenen Arbeit zum Auftakt?
BREINER: Dafür hätte die Zeit nicht gereicht. Unsere erste Premiere »Signaturen« findet im Oktober statt. Außerdem legen wir Wert auf Kontinuität und wollten nicht einfach alles wegschmeißen. »Krabat« ist ein schönes Familienstück.
kultur.west: Auch der Dreiteiler »Drei Meister – drei Werke« aus der vergangenen Saison steht weiterhin im Programm…
BREINER: Ich finde die drei Werke von George Balanchine, Hans van Manen und William Forsythe ganz toll. Sie sind auch für die neuen Ensemblemitglieder sehr spannend zu tanzen.
kultur.west: Wollen Sie in Zukunft weitere Stücke Ihrer Vorgänger auf den Spielplan setzen? Vielleicht auch Martin Schläpfer oder Erich Walter?
BREINER: Ja, das wäre schon schön. Es ist ja eine große Besonderheit in Deutschland, dass eine große Kompanie in ihrer Geschichte ausschließlich von Choreografen mit eigener Handschrift geleitet worden ist.
kultur.west: Im Rahmen des mehrteiligen Programms »Signaturen« zeigen Sie Ihre erste Uraufführung »Biolographie«. Worum geht es darin?
BREINER: Diese Worterfindung hat mit Biografie, Geologie, Geographie zu tun. Mein Ausgangspunkt ist die Frage: Wo kommen wir her? Das ist auch künstlerisch gemeint. Wir haben gerade über »Drei Meister – drei Werke« gesprochen. Diese Drei haben uns alle geprägt. Es geht auch um die spannende Frage, wo unser Platz auf der Erde ist. Aber ich bin nicht sicher, ob man das alles herauslesen wird (sie lacht).
kultur.west: Gibt es jetzt schon etwas, was Ihnen in Düsseldorf und Duisburg Glücksgefühle beschert?
BREINER: Düsseldorf ist einfach eine Stadt, die eine große Bandbreite an Kunst bereithält auf allen Ebenen. Auf der elitären Ebene in den Museen, aber auch auf der Straße. Ich finde alle Arten von Kunst und Gesellschaft spannend.
»Signaturen«: 16. Oktober (Ballettwerkstatt),
19. Oktober (Premiere), 27. Oktober
Zur Person
Bridget Breiner, geboren 1974 im US-Staat Connecticut, wuchs in Columbus/Ohio auf. Mit 17 Jahren kam sie nach München, um ihre Ballettausbildung an der Heinz-Bosl-Stiftung zu vervollständigen. Neben Stationen an der Staatsoper München und der Semperoper Dresden tanzte sie viele Jahre als Erste Solistin beim weltberühmten Stuttgarter Ballett. 2012 trat sie ihre erste Ballettdirektion in Gelsenkirchen an und gewann gleich zweimal den „Faust“. 2019 wechselte sie an das Badische Staatstheater Karlsruhe, wo sie unter anderem eine imponierende „Maria Stuart“ vorstellte. Seit 2024/25 ist sie Chefchoreografin des Ballett am Rhein. Breiner ist verheiratet mit dem Opernbass Phillip Ens und hat einen Sohn.