Mitten im lebhaften Düsseldorfer Stadtteil Flingern: Im kleinen Hof vor Büro und Studio von Ben J. Riepes Compagnie herrscht entspannte Ruhe. Jetzt, am frühen Nachmittag, scheint die Sonne zwischen den Häusern bis hinunter zu den Kübelpflanzen und der hölzernen Gartensitzgruppe. Der 41-Jährige sitzt auf der vorderen Kante der Bank, nur selten lehnt er sich zurück. Dem schlanken Mann ist immer seine derzeitige Verfassung buchstäblich ins Gesicht geschrieben: Manchmal hager und etwas ausgezehrt, jetzt aber frisch und voller unaufgeregter Wachheit. Riepe nimmt sich ausgiebig Zeit für das Gespräch, scheint bereit, den ganzen Nachmittag zu plaudern.
Zwei ausverkaufte Vorstellungen seiner neuen Arbeit »Medo / Angst« beim Kölner Sommerblut-Festival liegen hinter ihm, eine über dreiwöchige Summerschool zum Thema im Düsseldorfer Weltkunstzimmer beginnt am folgenden Tag. Das Programm war zunächst mit zwei öffentlichen Proben geplant und ist dann angewachsen: auf Lectures, Panels, Workshops, Performances, Screenings rund um das Thema Ängste in Zeiten eines zunehmenden Populismus’ und der Unterdrückung nichtkonformer Lebenskonzepte.
Recherchen in Brasilien
Riepes Stück, das er in Salvador de Bahia mit brasilianischen Tänzerinnen, Tänzern und Aktivisten der LGBTIQ-Szene (was für lesbisch, schwul, Bi, Trans, Inter, Queer steht) erarbeitet, hat eine lange Vorgeschichte. Schon mit 20, noch vor seinem Studium an der Folkwang Universität, war er in Brasilien. Lernte nicht nur Portugiesisch, sondern als »Gringo« auch die Lebensbedingungen in den sogenannten Favelas, die aus Siedlungen befreiter Sklaven entstanden, kennen. Dann war er vor zwei Jahren erneut in Salvador, wo er auf Einladung des Goethe Instituts eine Residenz an der Villa Sul hatte. Aus den Recherchen entstand die Idee, ein Stück zu entwickeln, das sich mit der alltäglichen Gewalt gegen die Farbigen auseinandersetzt. »Es geht um Gewalt gegen die Körper«, sagt Riepe, gegen die Hautfarbe und die Sexualität der Menschen, sowohl von staatlicher Seite als auch von Drogenkartellen. Das Thema ist ihm wichtig, es bewegt ihn. Dennoch ist »Medo / Angst« kein Agitprop geworden. Riepes Bildsprache, die ihre Inspiration immer auch aus der bildenden Kunst bezieht, verleiht dem Stück eine universelle Kraft. Jenseits der Gewalt, der allgegenwärtigen Angst, zeigen sich auch Auswege, die in der Gemeinsamkeit liegen können, in der Hoffnung, die das Gegen-Kollektiv bietet. Eine Gruppe, die das Individuelle erlaubt und zu ihrer Stärke und Schönheit macht.
Nach der Summerschool wird »Medo / Angst« noch zweimal beim Düsseldorfer Asphalt Festival gezeigt – am 11. und 13. Juli. Parallel nimmt ein ganz anderes Projekt gerade Gestalt an. Es heißt »Freiraum« und wird durch die Tanzpakt-Förderung des Bundes ermöglicht – und natürlich durch Riepes Engagement. »Wir planen ein offenes Zentrum für die freie Szene der Region«, sagt der Choreograph. Sicher, an die umfassende Organisation von Produktionen ist er gewöhnt. Nun aber geht es um ganz andere Dinge: Immobilien anschauen, mit potenziellen Vermietern verhandeln – nicht unbedingt das Kerngeschäft eines Choreographen. Doch Riepe scheint auch hier ein Händchen zu haben. Die passenden Räume sind bereits in Düsseldorf gefunden, Vertragsverhandlungen laufen. Die eigentliche Arbeit beginnt dann allerdings erst.
Wohnzimmer-Café, Studio, Arbeitsplatz
Schon jetzt steht fest: Das »Freiraum«-Konzept wird gerade durch seine extreme Offenheit zu einer besonderen Herausforderung. Geplant ist weder ein Produktionshaus, noch eine Spielstätte für die freie Szene, sondern einen Raum für Begegnungen. Unkuratiert – und darin könnte die Schwierigkeit liegen. »Mir geht es darum, dass ein Raum für andere Begegnungen entsteht, abseits von dem üblichen Konkurrenz-Gebahren, das oft in der freien Szene zu beobachten ist.« Ein Studio-Raum, in dem etwas ausprobiert werden kann, ein Wohnzimmer-Café, um zu arbeiten, zu recherchieren oder sich auszutauschen und ein größerer Arbeitsplatz, an dem Kostüme, Requisiten und Bühnenbild-Teile entstehen können, soll die freie Szene spartenübergreifend in den Freiraum locken. Und dann, so hofft Riepe, entwickelt sich daraus eine Dynamik, ein Austausch, der die Einzelkämpfer zusammen bringt. »Im besten Fall entwickelt sich daraus eine Kraft, eine Stimme.«
»Es gibt eine große Einsamkeit in der freien Szene. Als ich Unterstützer für den Antrag gesucht habe, gab es Künstler und Künstlerinnen, die hier im Studio vorbei kamen und fast geweint haben, weil sie zum ersten Mal mit einem Kollegen über ihre Arbeit und ihre Bedürfnisse reden konnten.« Das will der Freiraum ändern – auch durch seine nicht-hierarchische Organisation. »Ab er ich bin mir genauso bewusst, dass es immer wieder Arbeit sein wird, das sensible Gleichgewicht aufrecht zu erhalten und Basis-Demokratie nicht ins Chaos abrutschen zu lassen.« Wenn alles so gelingt, wie er es sich vorstellt, dann könnte sich aus dem Freiraum heraus eine neues Selbstbewusstsein der freien Szene NRWs entwickeln, eine Präsenz, die den tatsächlich schon längst vorhandenen Qualitäten auch gerecht wird.
Für Riepe selbst geht es als nächstes erstmal – nach seiner Arbeit am Ballett am Rhein in Düsseldorf im vergangenen Jahr – in den institutionalisierten Betrieb. Am 9. November wird er mit der Compagnie des Theaters Osnabrück dort die Uraufführung »Geister« präsentieren. Trotz seiner Verwurzelung in der freien Szene, fremdelt er erstaunlicherweise gar nicht mit den Abläufen im Stadttheater. Ganz im Gegenteil: Mittlerweile, so gesteht er, könne er sich durchaus auch vorstellen, die Leitung einer städtischen Ballett-Compagnie zu übernehmen.
Medo / Angst: 11. und 13. Juli, Alte Farbwerke Halle 29 Düsseldorf, www.asphalt-festival.de