Damals im Osten hatte sie Fotografien übermalt, Performances entwickelt, Körpermalaktionen gestartet. Cornelia Schleime experimentierte mit Super-8-Filmen und gründete die Punk-Band »Zwitschermaschine« – ein Werk, das keinen Platz fand im offiziellen Kunstbetrieb der DDR. Die Partei wünschte eine gegenständliche Kunst, bevorzugt Malerei, die im Dienste der Arbeiterklasse stehen und helfen sollte, die Gesellschaft aufzubauen. Das passte nicht zu Schleime. Bald schon nach dem Studium wurde sie mit Ausstellungsverbot belegt. Was sie aber, so betont die Künstlerin, natürlich nicht daran gehindert habe, weiter Kunst zu machen.
Schleime, inzwischen Mitte 60, steht an diesem Tag als gern gefragter Interview-Partner im Düsseldorfer Kunstpalast zwischen den eigenen Werken, die im letzten Raum der Ausstellung »Utopie und Untergang. Kunst in der DDR« zusammenkommen. Aus den wilden Jahren in Dresden und Ost-Berlin ist nicht viel dabei. Denn nachdem ihrem fünften Ausreiseantrag 1984 stattgegeben worden war, musste alles ganz schnell gehen: Innerhalb von 24 Stunden hatte die unliebsame Künstlerin das Land zu verlassen und konnte nur einen Bruchteil ihrer Arbeiten mitnehmen, der Rest ist bis heute verschollen.
Von Schleime kann man viel darüber erfahren, wie es unbequemen Kreativen im Osten Deutschlands erging. Doch kommt auch der Westen in ihren Antworten nicht ungeschoren davon: »Die waren völlig ignorant«, bemerkt sie. Noch immer wundert sich die Künstlerin darüber, dass nach dem Mauerfall keiner nachgeschaut habe, was für ein Potential in den Ateliers der einstigen DDR-Künstler*innen schlummerte.
Druck und Repression zwischen 1949 und 1989
Die Gleichgültigkeit hat sich lange gehalten und gepaart mit diversen Vorbehalten dafür gesorgt, dass der Kunst von Drüben die große Show im Westen so lang verwehrt blieb. Selbst im runden Jubeljahr der Wiedervereinigung bleibt der Kunstpalast hier das einzige Museum, in dem Kunst aus der DDR umfangreich angegangen wird. In seiner Überblicks-Ausstellung mit 130 Werken hebt Kurator Steffen Krautzig gar zur Neubewertung an, die das Kunstwerk, nicht aber die politischen Umstände seiner Entstehung in den Vordergrund rücken will. Dazu holt der Kunstpalast neben Schleime ein Dutzend ihrer Kollegen*innen ins Haus. Eine recht beschränkte Auswahl, die exemplarische Schlaglichter wirft. Und zeigen kann, wie unterschiedlich man zwischen 1949 und 1989 mit Druck und Repression umgegangen ist.
Der eine passte sich an und profitierte, die andere zog sich still zurück, wieder andere rebellierten offen. Zu dieser Sorte gehörte A.R. Penck. Vor Ort wohl der prominenteste – hatte der Künstlernach seiner Ausbürgerung 1980 doch über Jahrzehnte im Rheinland gelebt und an der Düsseldorfer Akademie gelehrt. Im Kunstpalast kann man sich sehr frühe Strichmännchen ansehen, die bereits um 1960 – ganz unbeeindruckt von der offiziellen Lehre des Sozialistischen Realismus – die Leinwände eroberten. Ein Kunststudium war Penck verwehrt geblieben, ebenso die Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler. Damit war er ausgeschlossen vom staatlichen Kunsthandel, durfte nicht offiziell ausstellen, bekam auch keine öffentlichen Aufträge. Bis zur Ausreise schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch.
1963 etwa schuftete er in der Fabrik als kohleschaufelnder Nachtwächter und malte nebenbei sein vom Aachener Großsammler Peter Ludwig erworbenes Bild »Der Übergang«: Über einen schmalen Steg balanciert da ein Strichmann, während aus dem Abgrund unter ihm das Feuer lodert. Leicht könnte man das Bild als Metapher der deutschen Teilung lesen und als Hinweis auf Pencks viel späteren »Übergang« vom Osten in den Westen.
Die übrigen elf Künstler*innen der Düsseldorfer Schau sind im Land geblieben und mussten sich irgendwie arrangieren – der eine tat dies mehr, der andere weniger. Doch wäre es zu einfach, ihre Werke immer nur als Ausdruck oder Ergebnis von Unfreiheit und Diktaturzu betrachten. Das geht schon zu Beginn des Parcours’ schief – mit Blick auf die Bilder von Wilhelm Lachnit und Elisabeth Voigt, denen das Ideal des Sozialistischen Realismus fern lag. Lachnits Werke waren unter den Nationalsozialisten verfemt und auch in der DDR nicht gern gesehen. Von seiner Professur an der Dresdner Kunsthochschule musste er zurücktreten. Voigt dagegen passte sich den Vorstellungen der Nazis an. Als Professorin in Leipzig unterrichtete sie Wolfgang Matheuer und Werner Tübke. Aus dem mächtigen Verband Bildender Künstler aber trat Voigt später aus, um sich der kulturpolitischen Vereinnahmung zu entziehen.
Mit vermeintlichen Kinderkritzeleien über die Grenze
Noch weniger scheint sich Hermann Glöckner mit seinen expressiven Schwüngen, seinen geometrischen Konstruktionen oder Faltungen um die Wünsche der Partei geschert zu haben. Er machte sein eigenes, durchweg abstraktes Ding und zog die Einsamkeit der offiziellen Anerkennung vor. Weitere Exempel der unangepassten Art bietet im Kunstpalast
Gerhard Altenbourg, der zurückgezogen seine surrealen Strichwebereien aufs Papier brachte: Menschen und Landschaften zwischen Traum und Wirklichkeit. Oder auch Carlfriedrich Claus, der wie ein Eremit im Erzgebirge lebte. Feine Linien, Schrift und rätselhafte Zeichen wuchern auf seinen Blättern – zuweilen bearbeitete er Transparentpapier von beiden Seiten. Die Stasi verdächtigte den Künstler gar einer »geheimschriftlichen Agententätigkeit«. Unter den Werken von Claus im Kunstpalast sind drei, die der Düsseldorfer Sammler Willi Kemp einst aus dem Lande geschmuggelt hatte, wobei er beinahe aufgeflogen wäre. Als eine Grenzbeamtin ihn anwies, die Aktentasche zu öffnen, und kurz darauf zur Rede stellte, erklärte Kemp, das seien Kinderkritzeleien – und durfte passieren.
Auf diese und jene Weise entzogen sich Kreative in der DDR immer wieder dem Druck der Partei, dem verordneten gesellschaftlichen Auftrag. Und beförderten damit wohl auch den Wandel, was Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Schirmherr der Schau in Düsseldorf herausstellt, wenn er daran erinnert »dass der friedlichen Revolution auch der Eigensinn von Künstlern vorausgegangen ist.« Kürzlich erst hatte er die Eingangsgalerie von Schloss Bellevue umdekoriert. Ausschließlich aus der DDR stammen die fünf regimekritischen Neuzugänge, darunter auch eine punkige »Medea« von Angela Hampel, mit heftigen Gesten und Farben auf die Leinwand geknallt: Die mythologische Mörderin ist gerade im Begriff, das eigene Kind abzustechen.
Auch im Kunstpalast ist Hampel nun mit ein paar ihrer starken, widerständigen Frauen vertreten. Daneben gesteht die Schau aber auch den vier weniger widerständigen Vorzeige-Männer aus der DDR einigen Raum zu: Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und auch Willi Sitte – in der DDR leitete er lange den Künstlerverband, war Politiker und in den späten 80ern sogar Mitglied des Zentralkomitees der SED. Schon im Vorfeld hat die Düsseldorfer »Nachsicht für die Stützen des SED-Regimes« an prominenter Stelle Kritik provoziert. Der Spiegel stößt sich daran, dass der Kunstpalast die »Stars des Systems« wie selbstverständlich einbezieht.
Will man einem wenig bewanderten, jüngeren Publikum im Westen allerdings die Kunst der DDR nahe bringen – und genau das hat sich die Düsseldorfer Schau vorgenommen – so gehören auch die vom Staat Hofierten dazu. Und sieht man sich ihre Bilder in Düsseldorf genauer an, so zeigt sich auch bei ihnen nicht alles so klar und bloß konform – leicht lesbar und politisch erbaulich. Etwa bei Tübke, der seine vielfigurigen Szenerien vollstopft mit Rätseln und Symbolen aller Art. Auch bei Mattheuer, der in der DDR offiziell geschätzt, von der Staatssicherheit aber beargwöhnt und in der Bundesrepublik als Systemkritiker gefeiert wurde. Immer wieder nutzte er mythologische Themen, um Kritik zu verschlüsseln. Zwiespältig wirkt auch sein Bild jener müden, abgearbeiteten alten Frau, die mit gesenkten Augen am Tisch sitzt. Mattheuer tituliert sie als »Die Ausgezeichnete«, doch sind keine Urkunden zu sehen, keine Orden, wie sie die DDR so gern verteilte. Nur ein paar Tulpen auf dem Tischtuch. Was bleibt am Ende übrig vom verheißungsvollen Leben im Arbeiter- und Bauernstaat?
»Der Osten ist Grau, der Westen hat auch etwas Farbe«
Titel eines Bildes aus dem Jahr 1986 von Cornelia Schleime
Nach der Wende ging Cornelia Schleime daran, sich an den eigenen Stasi-Akten abzuarbeiten und formulierte in Collagen sarkastische Kommentare zu den Vermerken der Überwacher. Auch sie sind im Kunstpalast zu sehen.
Schleime hat ihren Weg gemacht, ebenso wie alle anderen Künstler*innen der Düsseldorfer Schau. Ungezählte aber, die dem alten System im Osten nicht genehm waren, die vergessen oder nie zur Geltung gekommen sind, bleiben unbeachtet. Dies könnte man den Macher*innen im Kunstpalast vorwerfen: Dass sie nur hinter ohnehin offene Türen geschaut, die verschlossenen aber links liegen gelassen haben. Doch vielleicht fruchtet ja der Düsseldorfer »Denkanstoß« und schubst ein paar Kunsthistoriker und Kuratoren auf die Spur in unbekannte Ateliers.
»UTOPIE UND UNTERGANG. KUNST IN DER DDR«
BIS 5. JANUAR 2020
KUNSTPALAST DÜSSELDORF