Malen und streiten am Rhein: Das »Junge Rheinland« hat 100. Geburtstag und der Düsseldorfer Kunstpalast feiert mit.
Schrille Damen bei Nacht – sie schauen, knien, weinen, tanzen, proben dramatische Posen. Und mitten in der Menge der Künstler selbst: Gert Wollheim zeigt sich erschöpft im Frack und mit Zylinder auf dem gesenkten Haupt. Glamour und Elend liegen nahe beieinander in seinem 1924 vollendeten Gemälde. Man könnte an »Babylon Berlin« denken, doch auf dem Titelschild steht »Abschied von Düsseldorf«. Fast sechs Jahre hatte der Künstler hier verbracht und sich aufgerieben als Wortführer des streitlustigen »Jungen Rheinland«. Den 100. Geburtstag dieser prägenden Düsseldorfer Künstlervereinigung nimmt der Kunstpalast zum Anlass für eine große Ausstellung und hängt Wollheims überdrehtes Großstadtpanorama als Blickfang ins Zentrum. Wie der müde Künstler im Gemälde, so kann auch die Schau auf eine spannende Zeit zurückblicken.
Zu Beginn der Weimarer Republik
Hergekommen war Wollheim kurz nach dem Ersten Krieg, den er als Soldat an der Front hinter sich gebracht und trotz Bauchschuss überlebt hatte. Malend und zeichnend verarbeitete der junge Mann nun die Kriegsgräuel und machte sich in Düsseldorf gleichzeitig stark für den Neuanfang; wie so viele in dieser schweren, aber auch hoffnungsvollen Zeit. Die Aufbruchsstimmung zu Beginn der Weimarer Republik spiegelt sich nicht zuletzt in etlichen Künstlergruppen, die damals voll Enthusiasmus zusammenfanden. In Düsseldorf wurde das »Junge Rheinland« groß.
»Allen Mitgliedern dieses Kreises war der Durst nach Leben, Poesie, nach Freiheit, dem Absoluten, nach Wissen gemein«, so beschrieb Max Ernst euphorisch die Stimmung. Früh schon war er bei der neuen Gruppe eingestiegen und nahm regelmäßig an ihren Ausstellungen teil. Ernst fasst zusammen: »Es war zu schön, um wahr zu sein.«
Keine Manifeste
Als »Zusammenschluss der gesamten rheinischen Künstlerschaft« verstand man sich. Dabei verfasste das »Junge Rheinland« keine Manifeste – es ging hier weder um politische Ideale noch um ästhetische Maximen. Die Vereinigung glich vielmehr einem Zweckverband, der möglichst vielen Künstlern ein Forum für Ausstellungen und Diskussionen bieten wollte – Malern, Architekten, Schriftstellern, Schauspielern. »Jugendlichkeit und Ehrlichkeit des Schaffens«, das reichte schon, um Mitglied zu werden. Es kamen rund 400 zusammen, namhafte wie Max Ernst und Otto Dix, aber auch etliche, die – zu Unrecht oder nicht – in Vergessenheit geraten sind. Es hatte sicher seinen Grund, dass die Presse die erste Ausstellung des »Jungen Rheinland«, 1919 in der Düsseldorfer Kunsthalle, als »Sammelsurium gutgemeinter Liberalität« beschrieb.
Etwas davon klingt jetzt an im Kunstpalast. Wenn gleich im ersten Raum der Schau ein bunter Mix die stilistische Bandbreite der Positionen anschaulich macht: Zur Linken steht da ein akademisches Gurken-Stillleben von Ernst te Peerdt und Fritz Westendorps spätimpressionistischer Blick auf das Pariser Pantheon für die konservative Fraktion, während sich rechts der fortschrittlichere Flügel formiert mit Jankel Adler etwa, mit Heinrich Campendonk und mit Walter Opheys kubistisch inspirierter Felsenlandschaft, glühendrot und gewaltig. Nach dem gemischten Einstand ist man froh, dass die Kuratoren sich für den Rest des Rundgangs auf ein Dutzend beispielhafte Vertreter des »Jungen Rheinland« konzentrieren.
Der Prominenteste: Max Ernst
Als zweiter Anführer und streitbarer Gegenspieler von Gert Wollheim tritt hier der künstlerisch weniger radikale Maler und Autor Adolf Uzarski in den Ring. Auch wenn ihre Standpunkte recht nah beieinander lagen, richteten diese beiden wesentlichen Motoren des »Jungen Rheinland« ihre Kräfte bevorzugt gegeneinander, was schon 1923 zu einer ersten Spaltung in der Gruppe führte. Ebenfalls unverzichtbar ist, allein wegen seiner Prominenz, natürlich Max Ernst. Nicht zu knapp beeindruckte Dadamax die Düsseldorfer Avantgarde-Szene rund um die berühmte Kunsthändlerin und einstige Bäckereibetreiberin Johanna Ey.
Auch Otto Dix bewegte sich in diesen Kreisen. Der junge Bürgerschreck aus Dresden war 1921 an der Rhein gekommen, um seine Karriere anzukurbeln. Dass es ihm so eindrucksvoll gelang, verdankt er nicht zuletzt Ey, die regen Kontakt zu den rebellischeren unter den Vertretern des »Jungen Rheinland« pflegte. Dix porträtierte die »mütterliche Freundin bohèmer Jugend« 1924 mit mächtigem Doppelkinn und von Kopf bis Fuß in repräsentatives Lila gehüllt. Wie ein schiefes Krönchen sitzt der verrutschte spanische Kamm in ihrer Frisur.
Nur wenige Frauen
Frauen hatte es damals schwer, neben Ey und auch im »Jungen Rheinland«. Auf zehn Prozent beschränkte sich die Frauenquote hier – also rund 40 Künstlerinnen, deren Namen heute kaum mehr jemand kennt. Schade scheint das, etwa mit Blick auf Lotte Prechner. Die Schau zeigt ihr anspielungsreiches Bild der »Epoche« und daneben grafische Arbeiten, in denen die Künstlerin auf eigene Art ihre Erlebnisse als Kriegsmalerin an der Front verarbeitete. Nach passenden Stücken mussten die Kuratoren in Düsseldorf nicht lange suchen – die Ausstellung ist immerhin zur Hälfte mit Werken aus den Kunstpalast-Beständen bestückt. Hinzu kommt als riesengroßes Ausstellungsstück das Ehrenhof-Ensemble, bis 1926 errichtet von Wilhelm Kreis, der ebenfalls zum »Jungen Rheinland« gehörte, sich später mit den Nationalsozialisten arrangierte und einen hohen Posten in der Kulturadministration des Regimes ergatterte.
Auch was die politische Richtung angeht, war in dieser Gruppe vieles möglich. NS-Karrieristen, Opportunisten, Antifaschisten – alles kam vor. KPD-Mitglied Karl Schwesig vertritt in der Ausstellung beispielhaft den politisch kämpfenden Künstler. Von 1918 bis 1920 hatte er an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert und zeitweise die satirische Zeitschrift »Die Peitsche« herausgegeben. 1930 zeigte der kleinwüchsige Maler sich ironisch mit Verdienstkreuz auf seinem »Selbstbildnis im Karneval«. 1933 wurde er von den Nazis in den »Schlegelkeller« verschleppt und gefoltert. Von seinen Erfahrungen erzählt eine Reihe erschütternder Zeichnungen.
Als entartet beschlagnahmt
Mit den Nationalsozialisten endet die Geschichte des »Jungen Rheinland«. Unzählige Werke seiner Vertreter wurden als entartet beschlagnahmt und oft auch zerstört, weil sie sich auf dem internationalen Markt schlecht verkauften. Das meiste, was nun in der Ausstellung hängt, wurde nach dem Krieg erworben, um die Lücken zu füllen. Auch Wollheims »Abschied von Düsseldorf« kam erst 1962 ans Haus.
Am Ende mag man fragen was geblieben ist, was der müde Mann im Frack und seine Mitstreiter im »Jungen Rheinland« bewirken konnten. Sie haben sich stark gemacht für neue Strömungen und die Düsseldorfer Szene zwischen den Weltkriegen sicher nachhaltig belebt. Doch hatte ihr Einstehen für die Avantgarde Grenzen. Mit Gegenstandslosem konnten sich die jungen Rheinländer nicht anfreunden. Und es geht gewiss auf ihre Kappe, dass die Abstraktion damals keinen Fuß auf die Düsseldorfer Erde bekam.
Neu: Der Chatguide
Per WhatsApp-Guide kann man in der Schau mit den Künstlern des Jungen Rheinland chatten und viel erfahren über ihr Werk und das Leben in den 1920er und 30er Jahren. Die Texte dazu haben Studierende der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität verfasst.
»’ZU SCHÖN, UM WAHR ZU SEIN’ – DAS JUNGE RHEINLAND«
BIS 2. JUNI 2019
KUNSTPALAST, DÜSSELDORF
TEL.: 0211/56642100