Starke Stämme, verzweigte Äste, gebogene Zweige. Risse in der Rinde. Laub, durch das Licht fällt. Oder Grün, das sich wie Wolken auftürmt. So hatte man den Baum noch nie gemalt. Lange Zeit übten Künstler*innen die Darstellung von Bäumen vor allem in der Grafik. Das Blattwerk wurde nur angedeutet: Zackige Linien für Eichen, runde Formen für Linden und Pappeln: Atelierroutine. Doch im 19. Jahrhundert zog es die Maler immer öfter hinaus. Auf einem Stück Papier, Pappe, Holz hielten sie ihre Eindrücke ganz unmittelbar fest. Mit Pinsel und Ölfarben, die bald nicht mehr mühsam angerührt und in Schweineblasen verpackt werden mussten, sondern ab 1841 in praktischen Tuben zu haben waren.
Eine Revolution: »Die Befreiung der Natur« in den Ölstudien des 19. Jahrhunderts. Davon handelt die sehr schöne Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast. Kuriert hat sie Florian Illies, bestens bekannt als Journalist und Bestseller-Autor, aber ebenso als Verleger und Geschäftsführer eines Auktionshauses. Nun erweitert der Kunsthistoriker also die Liste seiner Jobs und sucht sich dazu ein Lieblingsthema aus. Mit Ölstudien beschäftigt er sich schon lange leidenschaftlich und versammelt im Kunstpalast gemeinsam mit Co-Kuratorin Anna Christina Schütz rund 170 dieser meist sehr kleinen, mal mehr und mal weniger ausgeführten Stücke von 75 Künstler*innen.
Johann Wilhelm Schirmer versinkt vor bald 200 Jahren mit Pinsel und Farbe im Dickicht der »Sträucher am Hang«. Arnold Böcklins »Teich mit Seerosen« erscheint beinahe abstrakt in Farbstreifen angelegt. Carl Hummel lässt sich bei seiner »Baumstudie« hinreißen vom Licht- und Schattenspiel im Blattwerk. Und Christian Friedrich Gille interessiert sich mit Blick auf den »Gestürzten Baum« besonders für den aus der Erde gerissenen Wurzelballen.
Maler auf der Lauer
Es sind Arbeiten, die eigentlich nie für das Museum oder den Markt gemacht und gedacht waren, sondern als Anschauungsmaterial in Mappen ruhten. Öfter wohl aber in den Ateliers hingen. Eine Art Motivsammlung, die den Maler*innen Inspirationsquelle war und als Vorlage für Naturdetails in den aufwändigeren Kompositionen diente. Heute offenbaren diese Bilder, dass nicht alles so steif, akademisch, romantisch oder biedermeierlich war, wie die Gemälde dieser Zeit es vermuten lassen. So frisch, so frei, so lichterfüllt. Und so spontan. Mitunter ahnt man, wie die Maler auf der Lauer lagen. Den Augenblick einfangen wollten, bevor im nächsten Moment wieder alles ganz anders aussehen würde.
Johann Jakob Frey etwa, bei dem der Blick in den italienischen Himmel offenbar zur Obsession wurde. Immerfort versuchte er, die wechselnden Wolkenformationen und die sich wandelnden Lichtstimmungen zu erfassen. Die Schau zeigt zum Start gleich neun seiner Wolkenstudien.
Anerkennung fanden solche Momentaufnahmen erst, als sich die Idee dahinter und die skizzenhafte Herangehensweise mit dem Aufkommen des Impressionismus etablieren konnten. Weitere rund 100 Jahre später wird dann auch der Markt wach. Seit 1970 werden die Ölstudien als eigenständiges Medium gesehen und gesammelt. Und seit zwei Jahrzehnten etwa erzielen sie oft deutlich höhere Preisen als ausgeführte Ateliergemälde derselben Künstler*innen, weiß Illies.
In seiner Ausstellung trifft man auch auf einige selten gehörte Namen. Wahrscheinlich sind die Atelierbilder jener Meister kaum der Rede wert. Erst im Medium der Ölstudie zeigen sie, was in ihnen steckt. Heinrich Reinhold zum Beispiel, der die anbrausenden Wellen am sonnenverwöhnten Strand von Sorrent gleich zweimal am selben Tag einfing, um am identischen Motiv die unterschiedlichen Lichtstimmungen sichtbar zu machen – ähnlich wie es Jahrzehnte nach ihm Claude Monet in extenso mit seinen Heuhaufen oder den Kathedralen von Rouen praktizieren wird.
Frei von akademischen Vorgaben, frei auch vom Urteil des Publikums oder den Wünschen der Auftraggeber, die sich seinerzeit eher an Ideallandschaften oder erhabenen Historien erfreuten, erreichte manch ein Maler ungeahnte Höhen. Und versuchte sich an zum Teil überraschenden Sujets. Schlechtes Wetter etwa: Das sah die Kundschaft ungern an der Wand daheim. Als Bildmotiv ist es aber umso interessanter – mit Wolkentürmen und Gewitterstürmen. Mit schwerem, grauem Nebel oder mit letzten Sonnenstrahlen, wenn sie die Wolken von hinten beleuchten.
Es kommt einer Befreiung der Malerei gleich. Illies aber spricht im Untertitel seiner Ausstellung von einer »Befreiung der Natur«. Weil sie erstmals mit anderen Augen gesehen worden sei. Ernsthaft und respektvoll. Und damit schlägt seine Schau mit den alten Ölstudien sogar noch einen Bogen in die Gegenwart. Jene Wertschätzung, die sich im Blick der Maler des 19. Jahrhunderts zeigt, in ihren Wolkenstudien, den Baum-Porträts, dem Blattwerk in alle möglichen Grünschattierungen – sie wäre auch heute wieder angesagt.
bis 7. Mai
Kunstpalast Düsseldorf