Markus Heinzelmann ist Professor für Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum und hat für den Düsseldorfer Kunstpalast die erstaunliche Schau »Verborgene Schätze« mit teilweise noch nie gezeigten Werken Gerhard Richters kuratiert. Ein Gespräch über leere Wände und Lebensträume, Versicherungssummen und Schätze in Badezimmern.
kultur.west: Herr Heinzelmann, warum kam der Generaldirektor des Düsseldorfer Kunstpalastes Felix Krämer ausgerechnet auf Sie zu, um eine Ausstellung mit Gerhard-Richter-Werken aus privaten Sammlungen zusammenzustellen?
MARKUS HEINZELMANN: Ich habe 2008 als Direktor des Museums Morsbroich in Leverkusen die Ausstellung »Übermalte Fotografien« gemacht. Das war das erste Mal, dass dieser Teil von Gerhard Richters Werk systematisch präsentiert wurde. Bis dahin wurden die übermalten Fotografien eher unter der Hand gehandelt, er hat viele an Freund*innen verschenkt. Damals bin ich schon in Kontakt gekommen mit Sammler*innen und Freund*innen des Künstlers, Gerhard Richter selbst stand sehr hinter dem Projekt und wir haben eng mit ihm und seinem Studio zusammengearbeitet.
kultur.west: Hat Sie der Fokus auf Sammlungen im Rheinland gleich überzeugt?
HEINZELMANN: Ich habe erst überlegt: Ist das ein guter Ansatz? Aber wenn man einen Überblick bekommt, welche Sammlungen im Rheinland bestehen und welche Bedeutung die Sammler*innen für Richter hatten, dann ist das sehr faszinierend. Sowohl die privaten Sammler als auch Firmensammlungen hatten einen Einfluss auf sein Werk. Es gibt auch ein Zitat von ihm, in dem er die Sammler als »Mitarbeiter an meinem Werk« bezeichnet. Sie arbeiten mit, indem sie etwas akzeptieren, etwas kaufen, sich mit seiner Kunst auseinandersetzen.
kultur.west: Inwiefern haben die Sammler*innen wirklich Einfluss auf sein Werk gehabt?
HEINZELMANN: Nehmen wir die sehr großformatigen Gemälde, die 1986 die Victoria-Versicherung in Auftrag gegeben hat: Für sie hat Gerhard Richter zum ersten Mal in einem solchen Format frei gearbeitet, ohne Vorlage. Sie sind, wie ich finde, besonders bedeutend, wenn man sich die Zeit anguckt, in der sie entstanden sind: Das Unternehmen Haniel begann 1983 mit Bedacht, drei Gemälde zu kaufen. Und es hat Glück gehabt, weil er in dieser Zeit zum ersten Mal so malte, dass alle sofort sagen würden: Das sieht aus wie Gerhard Richter. Stark farbige, abstrakte, mit Rakeln bearbeitete Gemälde. Haniel hat nicht große Reklame für seinen Ankauf gemacht. 1985 machte dann Marian Goodman die erste Ausstellung mit Richter in den USA. Da wird es ganz groß, er erlebt seinen internationalen Durchbruch – und ein Jahr später kommt der Auftrag der Victoria-Versicherung, der ihn zu einer neuen Arbeitsweise bringt. Die Bilder verbleiben übrigens im Gebäude der Ergo-Versicherung, es gibt aber eine Wegeleitung vom Museum aus, das sind nur 250 Meter.
kultur.west: Was fasziniert die rheinischen Sammler*innen an Richter?
HEINZELMANN: Eine bedeutende Gruppe gehört zum sogenannten Aachener Kreis – das sind fast alles Ärzte und Wissenschaftler. Offensichtlich fühlen die sich von dieser Systematik angezogen, mit der Gerhard Richter ein Werkverzeichnis führt. Er fing damit 1969 an, als seine erste »Retrospektive« in Aachen gezeigt wurde. Damals führte es 122 Gemälde. Diese Systematik hat er beibehalten. Ich kenne eigentlich keinen anderen bedeutenden Künstler, der in dieser Ordnung ein Verzeichnis aufrecht hält. Schon als Studierender gibt es Äußerungen, dass er Disziplin hat, ordentlich gekleidet ist, den »liederlichen« Stil der Mitstudierenden nicht mag. Seine Ordnung übt eine Faszination aus. Vielleicht erinnern sich einige: Früher ging man an den Kiosk und kaufte sich Tütchen mit Aufklebe-Bildern. Die Faszination dabei war, dass es zumindest die theoretische Möglichkeit gab, etwas komplett zu kriegen.
kultur.west: Aber es ist doch unmöglich, Gerhard Richter komplett zu kriegen?
HEINZELMANN: Ja, natürlich. Viele Werke gab er direkt an Museen. Aber es gibt Teilbereiche wie die Editionen und es gibt einen Sammler wie den Essener Arzt Thomas Olbricht, das ist der Typ Komplettist und der einzige, der es geschafft hat, alle Editionen zu besitzen. Ausgerechnet »Wolfi«, die Nummer eins, der Hund, bei dem Richter die nasse Farbe nochmal verwischt hat, hat ihm ganz lange gefehlt. Jetzt hat er sogar zwei davon und er sagt, ihm sei damit ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen.
kultur.west: War es schwierig, Sammler*innen dazu zu bringen, ihr Werke zu verleihen?
HEINZELMANN: Fast alle Arbeiten aus dieser Ausstellung hängen eigentlich in Wohnzimmern, Schlafzimmern, sogar in Badezimmern habe ich welche gesehen. Es gibt Sammler*innen, denen haben wir wirklich das Wohnzimmer ausgeräumt, und für viele ist das doch ein Verlust. Sie sagen: »Fünf Monate sitze ich im leeren Zimmer.« Einer hat gefragt, ob er eine Kompensation aus dem Kunstpalast erhalten könne, also ein anderes Werk, das den Platz füllt. Das ging leider nicht. Die Sammler bekommen auch keine Ausgleichszahlung. Wie soll das funktionieren? Wenn man nur ein Promille des Werts berechnet, ist man schnell im sechsstelligen Bereich. Aber die Werke sind natürlich gut versichert – und ein positiver Nebeneffekt für Sammler*innen ist, dass sie so eine aktuelle Bewertung ihres Besitzes erfahren.
kultur.west: Haben Sie wirklich Kunstwerke in Badezimmern gefunden?
HEINZELMANN: Ich habe einen privaten Sammler besucht, der mir über Freunde genannt wurde. Er hat ein fantastisches, graues Bild. Er ist Architekt und es hängt in seinem Büro. Als ich ihn besuchte, sagte er: »Komm mal mit, wenn dich das interessiert, wir gehen mal ins Badezimmer.« Da hing ein Aquarell, dem Architekten und Hochschullehrer Karl Wimmenauer gewidmet und von Gerhard Richter zum Geburtstag geschickt. Später hat es der Sammler erworben und ganz nonchalant an diesen Ort gehängt. Kunst im Badezimmer ist natürlich ein großes restauratorisches Problem.
Bis 2. Februar 2025
»Gerhard Richter. Verborgene Schätze. Werke aus rheinischen Privatsammlungen«
Kunstpalast Düsseldorf
Markus Heinzelmann, Jahrgang 1965, stammt aus Frankfurt. Nach einem Kunstgeschichts-Studium mit Promotion in Münster, volontierte er am Sprengel Museum Hannover, arbeitete als Projektleiter für Bildende Kunst beim Münchener Siemens Arts Program und wechselte 2006 als Direktor an das Museum Morsbroich. 2008 wählte eine Kritiker*innenrunde seine Leverkusener Gerhard-Richter-Schau »Übermalte Fotografien« zur Ausstellung des Jahres. Ein Jahr später adelte der Internationale Kunstkritikerverband aica sein Haus zum »Museum des Jahres«, das er allerdings 2018 überraschend verließ. Heute ist er Professor für Museale Praxis an der Ruhr-Universität Bochum.