Eines seiner ersten Idole? Paul Anka. Giorgio Moroder hörte seinen Hit »Diana« in den 50er Jahren im Radio, im Grödnertal voller Berge und Natur – das große Musikbusiness erschien Lichtjahre entfernt. Der Sohn ladinischer Eltern wuchs in den Dolomiten auf. »Der Song hat damals irgendetwas in mir geweckt«, erinnert sich Moroder, der für ein Interview ins luxemburgische Esch-sur-Alzette gekommen ist, um im Club Rockhal über seine Tour in Europa zu sprechen. Die erste in seiner fast 60-jährigen Karriere, bei der von einer Live-Band begleitet wird. Der 78-jährige Sound-Pionier hat längst Musikgeschichte geschrieben – dabei war sein Start ziemlich beschwerlich: Mit 19 Jahre hatte er die Schule abgebrochen und war als Musiker acht Jahre lang durch Hotelbars getingelt. Weil die Gagen knapp waren, übernachtete er schon mal nach den Auftritten in seinem Auto auf der Rückbank. »In den frühen 1960er Jahren habe ich Johnny Hallyday am Bass bei einer Tour in Südfrankreich begleitet, also etwa zum Zeitpunkt, als er ‚Souvenirs Souvenirs‘ draußen hatte.« Produktionen mit Mireille Mathieu und France Gall folgten.
Mit der Hand ins laufende Aufnahmegerät
Moroder zog nach Deutschland und konzentrierte sich ab 1967 auf das Komponieren. »Beim Berliner Label Hansa wurde ich erst Tonmeister, wenig später bin ich nach München gezogen.« Mit »Looky, Looky« gelang ihm der erste Hit – ein Song im »Bubblegum-Pop«, wie er es heute nennt. Sein dicker Schnäuzer, die Minipli-Frisur und die getönte Sonnenbrille werden zu seinem Markenzeichen. Mit dem Album »Son Of My Father« 1972 folgte der zweite Grundstein seiner Karriere. Einer seiner engen Vertrauten ist damals Michael Holm, mit dem er den Hit »Ich sprenge alle Ketten« für Ricky Shayne schrieb – und der sich noch gut an die gemeinsamen Aufnahme-Sessions in München erinnert: »Synthie-Streicher gab es damals noch nicht, deshalb setzte Giorgio einen sogenannten Phasing-Effekt ein. Er griff einfach bei dem einen von zwei synchron laufenden Aufnahmegeräten zwischendurch mit der Hand ins Band. Diese winzig verschobene Geschwindigkeit ließ die Streicher künstlich klingen.« Mit dem vielseitigem Südtiroler als Gallionsfigur entwickelte sich die bayrische Metropole zu einem Zielort für internationale Bands. Von den Rolling Stones, Queen und Led Zeppelin bis zu Rainbow und Elton John kamen alle in sein Musicland-Studio direkt unter dem Arabella Hotel. »Wir hatten eine tolle Technik dort – das sprach sich rum, gerade bei den Hard-Rockern. Es war dort recht klein, aber gemütlich. Hier fühlten sich die Musiker einfach wohl«, sagt Moroder über die Begegnungen an seinem Mischpult.
Ein Welt-Hit mit 22 simulierten Orgasmen
1975 trug seine Komposition »Love To Love You Baby« die Textur von Serge Gainsbourgs Klassiker »Je t’aime« ins Disco-Zeitalter. »Bei der Aufnahme kam mir die Idee, Donna Summer mitten im Song stöhnen zu lassen. Als sie loslegte, hörte sich das aber überhaupt nicht erotisch an. Sie wirkte irgendwie verklemmt. Da habe ich alle anderen Männer im Studio rausgeschickt, auch ihren Ehemann. Und plötzlich ging sie ab.« Das Ergebnis? Ein Welt-Hit mit insgesamt 22 simulierten Orgasmen. Der Song entfachte prompt einen Skandal und landete in Großbritannien auf dem Index. Ein Jahr später folgte »I Feel Love«, dessen sogenannte Sequenzerlinie in der elektronischen Tanzmusik zu einer Art Standard wurde – und die später sogar Daft Punk zitierten.
1978 klopfte Hollywood an die Tür, Moroder zog in die USA. Filmregisseur Alan Parker vertraute ihm den Score für »Midnight Express« an: »Im Grunde gefiel ihm die Musik, die ich mit ‚I Feel Love‘ gemacht hatte. Er wollte von mir eine Art künstliche Synthesizer-Musik haben.« 1979 überreichte ihm Dean Martin dafür seinen ersten Oscar für die beste Film-Musik, zwei weitere folgten für »Top Gun« und »Flashdance«. Er kommentiert das bescheiden: »Die Leute, die Filmmusik komponieren, kommen fast immer aus der klassischen Musik, sie haben das studiert. Ich hatte, als ich in Hollywood anfing, nur zwei Hits auf meiner Visitenkarte stehen. Musik zu schreiben und Noten zu lesen habe ich ja nicht gelernt.« Auch seine Soundtracks für die Filme »Die unendliche Geschichte 2« oder »Scarface« wurden überaus erfolgreich. Moroder prägte die Pop-Musik wie kein zweiter und setzte im Sujet des Yacht-Rock mit dem Score »American Gigolo« einen ultimativen Genre-Klassiker. »Wenn ich mich auf ein Stück dieser Ära beschränken müsste, dann würde ich die Titelmusik von ‚Scarface‘ nehmen. Mich hat damals ein Stück von Klaus Nomi inspirert, ‚The Cold Song‘, der wiederum eine Adaption aus der Oper ‚King Arthur‘ von Henry Purcell ist.« Allerdings seien seine Akkordfolgen derart komplex, dass er sie heute nicht mehr spielen könnte. »Dafür müsste ich sehr lange üben.«
Erste Live-Tour in Europa
1984 spielte er den Song »Love Kills« mit Freddy Mercury für den den Film »Metropolis« ein. Weitere Produktionen mit so ungleichen Stars wie Adam Ant, Blondie, David Bowie, Cheap Trick, Daft Punk, Limahl, Kylie Minogue, Sigue Sigue Sputnik, The Sparks oder Barbra Streisand folgten. 700 Eigenkompositionen und weit über 1000 produzierte Titel – das ist der Fundus, aus dem er nun ein DJ-Set für seine Tour zusammengestellt hat. So auch für seinen Gig in der Mitsubishi Eletric Halle in Düsseldorf am 13. April. Wie es danach weitergeht? Natürlich mit Musik: »Du darfst nie denken ‚Jetzt hab ich einen Hit komponiert, jetzt werde ich berühmt‘. Denn du weißt ja nie, wie der Song bei den Leuten ankommt. Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist das Glück.« Von dem Giorgio Moroder in seinem Leben offenbar sehr viel abbekommen hat.
13. April 2019, Mitsubishi Electric Halle Düsseldorf