Das Ensemble trudelt auf der Bühne ein wie zur ersten Sitzung einer Selbsthilfegruppe oder zu einem Wochenend-Workshop in psychologischer Familienaufstellung. Unsichere Blicke, unsicheres Hampeln von einem Bein auf das andere: Was mag das hier geben? Dieses Anfangsbild von Laurent Chétouanes »Hamlet«-Inszenierung passt auch deswegen, weil unter der neuen Generalintendanz von Elena Tzavara und der Schauspieldirektion von Kerstin Grübmeyer tatsächlich einige neu dabei sind und sich zum ersten Mal ihrem Publikum vorstellen.
Tatsächlich wirkt hier alles noch ein wenig wie im Prozess. Regisseur Chétouane ist offenbar erst nach dem Druck des Programms eingefallen, dass er seine Inszenierung besser mit »Playing Hamlet« betitelt hätte, weil sein Theaterabend einer sei »über das Spielen, Sprechen, Hören selbst«. Bei der Premiere lag ein Zettel bei, der das erklärt: Jede Szene, die gänzlich ungekürzt bleibe, sei dabei wie ein eigenes Stück. »Bei jeder Aufführung geht es darum, live zu erforschen, wie weit wir mit dem Stücke gehen, wie viele Szenen an einem Abend stattfinden können.«
Es könnte also sein, dass das Stück immer wieder andere Formen annimmt. Bei der Premiere kommen die Schauspieler*innen allerdings (nach über drei Stunden) »nur« bis zur Stelle kurz nach dem Stück im Stück, das Hamlet aufführen lässt, um den neuen König Claudius des Mordes an seinem (Hamlets) Vater zu überführen. Danach schiebt sich eine Wand vor die große Bühne, die bis zum Ende fast komplett nackt bleibt, und Jonas Dumke, der zwei Nebenrollen gespielt hat, tritt hervor.
Live-Exkursion durch Shakespeares Text
Er entfaltet einen zerknickten Zettel und liest zwei Zeilen aus einem Gedicht Heiner Müllers, dessen Übersetzung man vorher erforscht hatte: »Vor dem Spiegel zerbrechen die Masken Kein / Schauspieler nimmt mir den Text ab Ich bin das Drama«. Die Hoffnung auf die Beantwortung aller Fragen durch das Theater, die auch im Stück durchscheint, wenn Hamlet Ophelia erklärt: »Die Schauspieler können nichts geheim halten, sie plaudern alles aus«, sie bleibt also aus.
Diese Live-Exkursion durch Shakespeares Text fällt etwas durchwachsen aus. Durchaus Sinn ergibt der Fokus des Premierenabends, der die politische Dimension fast komplett auslässt und deshalb auch keinen norwegischen Prinzen Fortinbras als handelnde Figur kennt. Auch die Liebesgeschichte zwischen Hamlet und Ophelia spielt eigentlich keine Rolle, obwohl Ophelia fast die ganze Zeit mit auf der Bühne sitzt oder steht. Das neue Ensemblemitglied Puah Kriener, die sie in dieser Familienaufstellung verkörpert, bleibt allerdings noch mehr als die anderen die Schauspielerin oder der Mensch, der sie ist, schlüpft kaum einmal glaubhaft in die Rolle der tragischen Liebenden.
Es geht an diesem Abend ganz und gar um die Fragen: Was kann ich erkennen? Was soll ich tun? Diese stellt weitestgehend großartig Furkan Yaprak als Hamlet. Auf seinem Gesicht und an seinem schlaffen Körper spielt sich das ganze Drama der menschlichen Existenz ab – das Zweifeln, die Ungewissheit, all die Widersprüche, die uns so oft das Handeln erschweren. Wie viele der anderen Schauspielerinnen und Schauspieler spricht er deshalb oft leise, langsam und verzagt. Auch das ergibt durchaus Sinn, macht diesen Abend zwischen all den irre spannenden Momenten, die die Poesie und Weisheit eines alten und tausendfach gespielten Textes grandios zu neuem Leben erwecken, aber leider manchmal auch extrem anstrengend.
4., 10., 19. und 25. November