Das Colectivo Yama aus Ecuador macht aus Henry Purcells Semi-Oper »Indian Queens« in Aachen eine Geschichte über Aktivistinnen in Südamerika.
Der Komponist Henry Purcell steht auf der Bühne, schon wenn das Publikum den Theatersaal betritt. Der Übergang ist fließend, das Orchester spielt, während sich alle hinsetzen. Es wird ein ungewöhnlicher Opernabend am Theater Aachen, mit Barockmusik und Liedern aus den Anden, mit Schauspielszenen und dokumentarischen Videos aus Peru und Ecuador.
»Indian Queen« – so heißt das letzte Stück von Henry Purcell. Es blieb unvollendet und erzählt eine Liebesgeschichte über Inkas und Azteken. Das Colectivo Yama aus Ecuador hat den Titel nur ein bisschen angepasst, »Indian Queens« heißt er jetzt. Aber es gibt eine ganz andere Geschichte als in der Ursprungsversion. Die Königinnen sind keine liebenden und leidenden Operngestalten, sondern reale Aktivistinnen, die gegen die Ausbeutung der Natur kämpfen.
Regisseurin Carlina Derks Bustamante erzählt von den heutigen Folgen der Kolonisierung in Peru zu erzählen. Internationale Konzerne beuten die Bodenschätze des Landes aus, Gold, Kupfer und Silber. Dabei zerstören sie die Natur, vor allem die Flüsse. Dagegen wehren sich Aktivistinnen wie Wächterinnen des Wassers. Ihre Gesichter sieht man in den Nahaufnahmen der Videos. Sie sagen, was sie denken. Agua si, oro no. Ja zum Wasser, nein zum Gold.
Die Sympathien liegen klar bei den Wächterinnen. Sie erzählen von Morden der Minenbetreiber, die Videos zeigen einen Waldbrand, die Zerstörung der Natur. Und Henry Purcell (Philipp Manuel Rothkopf) macht einen Wandlungsprozess durch. Erst ist der Komponist ganz in der Welt der Kolonisatoren verhaftet und denkt nur an seine Kunst. Er will nach über 300 Jahren endlich sein Stück vollenden. Dann wenden sich erst seine Begleiterinnen, Figuren aus seiner Oper, von ihm ab. Schließlich kommt er selbst zur Erkenntnis, dass die Musik nicht alles ist, dass er Solidarität zeigen und sich einmischen muss. Er setzt sich einen Hirschkopf auf.
Tiermasken spielen eine große Rolle in Carlina Derks Bustamantes Inszenierung. Der Bär symbolisiert die waldreichen Anden, der Leopard die Dschungelwelt des Amazonas. Die surreale Ebene ist wichtig für die Aufführung, sonst bekäme das Plädoyer gegen die Auswüchse des Kapitalismus die Nüchternheit eines Lehrstücks. Doch durch die Masken und Kostüme bekommt die Inszenierung einen großen sinnlichen Reiz.
Dazu trägt auch das hohe musikalische Niveau bei. Das Sinfonieorchester Aachen spielt komplett auf Barock-Instrumenten aus eigenem Besitz. Es kann mit Spezialensembles mithalten, Dirigent Jori Klomp sorgt für einen geschmeidigen und direkten, historisch informierten Klang. Auch die Stimmen des Aachener Ensembles haben die virtuose Geläufigkeit und Feinheit, die eine Barockoper erfordert. Besonders ragt Evelyn Grünwald mit strahlendem Sopran als Aqua Amazonas heraus. Und am Ende verbinden sich Barockklang und peruanische Lieder zu einer bewegenden Fusion.
Aus Henry Purcells »Indian Queen« ist in Aachen ein völlig neues Stück geworden, mit alter Musik und aktuellen Inhalten. Und es wird klar, dass die Wächterinnen des Wassers in Peru nicht nur für sich selbst kämpfen. Sondern für alle.
17., 21. November und weiter bis Mitte Januar