Was für ein Thrill: Sie bekommen einen Schlüssel für eine fremde Wohnung und eine Eieruhr. Sie betreten diese Wohnung, stellen die Uhr auf 30 Minuten und verstecken sich, vielleicht hinter einem Vorhang, vielleicht im Schrank. Dann kommt ihr Gegenüber, der Wohnungsmieter oder die -besitzerin. Eine halbe Stunde sind Sie beide im selben Raum, Sie begegnen sich ohne sich zu treffen. Sie spüren sich vielleicht, aber Sie sprechen sich nicht.
»Nobody’s there« haben Hofmann&Lindholm ihr radikal-reizvolles, nervenkitzelndes Versteckspiel ohne Suche genannt. Nach einer ersten Station im September in Frankfurt veranstaltet jetzt Pact Zollverein das häusliche Kammerspiel des Künstler*innen-Duos in Essen. Teilnehmende können sich entweder als Nobody in fremden Wohnungen verstecken oder die eigene Wohnung bereitstellen und für ein unbekanntes Gegenüber öffnen. Im Raum gibt es keine Kamera, kein Mikrofon. Was bleibt, ist die individuelle Erfahrung.
In Frankfurt hätten die Bewohner*innen Kaffee gekocht, Musik gehört, auch mal an einer Zoom-Konferenz teilgenommen, erzählt Hannah Hofmann. Und die Verborgenen lauschen. Ein älterer Mann berichtete später, wie er in seinem Versteck eine Familiensituation erleben durfte. Die seien so liebevoll miteinander umgegangen, wie er es noch nie erlebt habe. Berührt habe ihn das. Und nun laufe er durch die Stadt und denke immer wieder, wenn er einer Familie begegnet, es könnte diese eine sein. Eine andere Versteckte fühlte sich wie in einem 3D-Godard-Film. Ihr Herz habe wahnsinnig geklopft, als sie durch den Vorhangspalt bestrumpfte Füße vorbeischleichen sah. »Es ist die echte Wohnsituation, die echte Lebenswirklichkeit, in der wir zwei Menschen präsent sein lassen«, erklärt Hofmann. »Die Menschen bringen genau das in die Situation mit, was sie selbst beschäftigt.«
Die Idee für dieses sehr intime Kunstprojekt haben Hofmann&Lindholm bereits vor einigen Jahren entwickelt. Ihr Ausgangspunkt: Wir sind von einer digitalen Wirklichkeit umgeben, die uns massiv beeinflusst und die wir nicht mehr zu fassen bekommen. Wir werden ständig subtil beobachtet. Eben diese Erfahrung will das Duo mit »Nobody’s there« in eine analoge, leibliche Situation übertragen. Mit der Pandemie bekommt das Projekt eine weitere brisante Dimension. Es ist die Einladung zum totalen Übertritt in den privaten Rückzugsraum.
Dieser Raum muss nicht groß sein. Es gibt auch ein mobiles Einsatzkommando, das innerhalb von zehn Minuten drei Verstecke herzaubern könne, verspricht Hofmann. Möglich sei alles von der kleinen, bescheidenen Ein-Raum-Wohnung bis zur Luxusvilla.
Wer in welcher Wohnung und bei welchem Gegenüber landet, ist vom Zufall abhängig. Und alles, was die Teilnehmenden über ihr Gegenüber in Erfahrung bringen, bleibt unsicher. Mann, Frau, alt, jung, Herkunft – jede Zuschreibung bleibt projektiv. »Wie kann man zusammen sein, ohne jemand Bestimmtes sein zu müssen?« Eben solche Fragen forderten sie zurzeit heraus, sagt Hannah Hofmann. In dieser Arbeit nehmen sich Hofmann&Lindholm, die immer nah dran am Menschen, aber gerne auch mal in opulenterer Ausführung arbeiten, extrem zurück. Da wird die Urheberschaft zur offenen Fragestellung.
Zum Projekt gehört eine begleitende Gesprächsreihe. Alle Beteiligten sind eingeladen, sich über ihre Erfahrungen auszutauschen, müssen das aber nicht. »Nobody’s there« darf auch ein stilles, privates Erlebnis bleiben.
»Nobody’s there«: 10. bis 20. März, in Essen und Umgebung
Anmeldung: nobodysthere@hofmannundlindholm.de, Infotelefon: 0176 5259 6064
www.pact-zollverein.de
www.hofmannundlindholm.de