Es war Anfang der 2000er. Im Kölner Schauspielhaus gab es eine lange Theaternacht, die britische Gruppe Forced Entertainment lud zur sechsstündigen Performance »And on the Thousandth Night«, von Mitternacht bis sechs Uhr in der Früh. Was für ein Trip. Mit Pappkronen auf dem Kopf und roten Samtmänteln um die Schultern saßen die Künstler*innen auf ihren Stühlen und taten eigentlich nichts außer Geschichten zu erzählen. »Once upon a time…« fing eine jede an. Und so banal das klingt, so fesselnd und verführerisch war die Situation, in der sie sich unterbrachen und die nächste Geschichte leicht verändert, vielleicht aus einer anderen Perspektive oder mit einer neuen Hauptfigur neu erzählten. Kaum jemand wollte den Saal verlassen, pausieren, essen, trinken – das war jederzeit erlaubt. Sie erzählten diese Geschichten für uns, und wir schauten beim Entstehen zu, dabei, wie sie nachdachten, wie sie sich verhedderten, wie sie sich übereinander und über ihre Ideen freuten.
Seit 40 Jahren macht Forced Entertainment gemeinsam Theater – eine Gruppe ehemaliger Studierender, die sich im nordenglischen Sheffield zusammenfand und als Vorreiter des europäischen Experimentaltheaters die Welt erreiste. Sie wurde zu Festivals eingeladen, hat Bücher herausgebracht und 2016 den Ibsen Award bekommen. Seit 2007 sind ihre Arbeiten regelmäßig bei PACT Zollverein in Essen zu sehen. Stefan Hilterhaus lud das Kollektiv damals mit gleich drei Arbeiten innerhalb einer Woche ein, um seine vielfältigen Formate vorzustellen. Die Dauer-Performance »And on the Thousandth Night« war eine davon. Es war die »kluge, unterhaltsame, liebevolle Art, sich uns und sich selbst vorzuführen«, die den PACT-Leiter faszinierten.
Komisch und todernst
Jetzt zeigt Forced Entertainment seine neue Arbeit »Signal to Noise« zum Jubiläum als Uraufführung bei PACT. »Verspielt und beunruhigend, komisch und todernst«, soll die Inszenierung werden. Und die Bühne zu einer halluzinatorischen Fläche, auf der sich einsame Figuren begegnen in einer Welt aus Zwängen, Fallen und Verhaltensgewohnheiten. Auch KI-Stimmen sollen vorkommen. Aber so richtig viel lässt sich sechs Wochen vor der Uraufführung noch nicht über die Arbeit erzählen – und das ist üblich so. Zwei Wochen vor der Premiere hält PACT die Bühne für die Kompanie frei. Zwei Wochen, in denen die Performer*innen »so viel be- und hinterfragen, austesten und überprüfen«, weiß Hilterhaus aus Erfahrung. Da kann ein Konzept auch noch mal umgeworfen und neu gedacht werden. Diese Freiheit und das gegenseitige Vertrauen sei Teil ihrer jahrelangen Beziehung, einer Beziehung, in der Stefan Hilterhaus mit Tim Etchells, dem Kopf der Truppe, auch über das PACT-Programm und neue Ideen spricht. Denn er schätzt den erfahrenen Theatermacher als Begleiter und Ratgeber.
Etchells Wahrnehmung sei so sehr geschärft auf das menschliche Miteinander, da lerne man die Welt anders anzuschauen. Sprache und Stimmen, die in den vergangenen Jahren so bezeichnend waren für diese Weltbetrachtungen von Forced Entertainment, über die sie immer direkten Bezug zum Publikum hergestellt haben, sind in der letzten Zeit auch mal in den Hintergrund gerückt oder komplett verschwunden. Vielleicht war genau diese Sprachlosigkeit eine Antwort auf die Entwicklungen und Krisen unserer Zeit. Was jetzt kommt, bleibt abzuwarten und spannend.
»Signal to Noise«
21. bis 23. März
PACT Zollverein, Essen